Lebende Dinosaurier

Die Schönheit der Bestie Krokodil

Der folgende Beitrag ist vor 2021 erschienen. Unsere Redaktion hat seither ein neues Leitbild und redaktionelle Standards. Weitere Informationen finden Sie hier.

Das Krokodil macht meistens nur Schlagzeilen, wenn es einen Touristen verspeist oder mitten im Sommer einen Ausflug in einen Badesee unternimmt. Das ist schade, denn diese Tiere sind nicht nur schön, sondern auch ausgesprochen faszinierend. Eine Art heute noch lebender Dinosaurier – oder zumindest deren nächste noch lebende Verwandte.

Krokodile sind Raubtiere und sie können auch dem Menschen gefährlich werden. Allein in Australien fallen jährlich mehrere Menschen den Attacken der urzeitlichen Reptilien zum Opfer (Croc/Gator News Archive). Und selbst Deutschland erzitterte im Sommerloch immer wieder vor Angst, sei es nun vor zehn Jahren, als der Kaiman Sammy im niederrheinischen Dormagen einen Baggersee unsicher machte oder 2001, als das mysteriöse Rheinkrokodil den Häschern immer wieder entkam.

Bild: Andrea Naica-Loebell

Allerdings war Sammy ein Winzling seiner Art, gerade mal einen guten Meter lang und stark unterkühlt, als ein Taucher ihn rettete (Sammy hat kräftig an Länge zugelegt) – und im Fall des von den Medien sinnig "Rheinhart" getaufte Schuppenkriechtiers im deutschesten aller Flüsse handelte es sich wohl um eine optische Täuschung (Ein Krokodil zu viel...).

Vom Aussterben bedroht

Das Krokodil zeigt seit mehr als 200 Millionen Jahren seine spitzen Zähne. Seine damaligen Vorfahren lebten in Afrika. Selbst in Deutschland gab es im Jura Panzerechsen (Öko-Tod im Jurameer). Vor 110 Millionen machte ein Superkrokodil seine Umgebung unsicher, auf dem Speiseplan dieses in der Sahara ausgegrabenen Ungetüms Sarcosuchus imperator), das bis zu 12 Meter lang wurde und 10 Tonnen wog, standen auch Dinosaurier.

Die Angehörigen der Ordnung Crocodylia sind sehr erfolgreiche evolutionäre Überlebenskünstler – oder waren es zumindest, bis ihnen der Mensch gegenübertrat und sie erbarmungslos jagte oder vertrieb.

Alle heute lebenden Krokodile leben in Flüssen, Sümpfen und Seen der Tropen und Subtropen, das Salzwasserkrokodil unternimmt auch Ausflüge ins Meer. Einst gab es etwa 200 Krokodilarten, überlebt haben davon 23, die zu drei Familien gehören: Echte Krokodile, Alligatoren (inklusive Kaimane) und Gaviale (Systematik der Krokodile). Alle stehen unter dem Schutz des Washingtoner Artenschutzübereinkommens und mindestens ein Drittel von ihnen gilt als akut vom Aussterben bedroht.

Inzwischen gibt es weltweit Krokodilfarmen, die das begehrte Leder und Fleisch liefern, Touristenattraktionen sind (Gatorland) und zudem Tiere nachzüchten, um den Bestand in freier Wildbahn wieder aufzustocken (Crocodile Talk).

Verkannte Eleganz

"Ich liebe diese Geschöpfe voll und ganz", erklärte die Neurobiologin Daphne Soares der New York Times, die sich kürzlich der Faszination der Panzerechsen annahm, und sie ergänzte:

Sie sind gleichzeitig schön, elegant und albern. Sie haben den schlechten Ruf, kleine dumme Reptilien zu sein. Aber sie sind sehr neugierig, sehr geistesgegenwärtig und sie wollen wissen, was los ist.

Daphne Soares versteht etwas von ihren Lieblingen, ihrem Team gelang vor zwei Jahren die Entdeckung des sechsten Sinns der Tiere: Der Druckrezeptoren (Dome Pressure Receptor Movies), die es Alligatoren möglich macht, selbst in völliger Dunkelheit auf kleinste Bewegungen des Wasserspiegels zu reagieren (Drucksensoren aus der frühen Kreidezeit).

Unterschiede im Gebiss zwischen Alligatoren und echten Krokodile (Bild: Bundesamt für Veterinärwesen):

Alligatoridae: Unterkieferzahn ist bei geschlossenem Mund nicht sichtbar
Crocodylidae: Unterkieferzahn ist bei geschlossenem Mund sichtbar. Er ragt in eine seitlich offene Furche des Oberkiefers.

Sie sind Bewegungskünstler, die hervorragend schwimmen, springen, kriechen, spazieren oder sogar als einzige Reptilien im Galopp eine Geschwindigkeit bis zu 20 Stundenkilometern erreichen können (Locomation).

Krokodile sind auch Meister des Immunsystems, Infektionen sind ihnen wesensfremd. Mitten in mikrobiologisch hyperaktiven Umgebungen wie fauligen Schlammlöchern kommen sie selbst mit schweren Verletzungen gut zurecht. Perran Ross, Krokodilspezialist von der University of Florida kommentiert:

Krokodile besitzen eine erstaunliche Robustheit gegen bakterielle Infektionen. Die Art von Wunde, die bei jedem von uns eine ernste Sepsis hervorrufen würde, scheint sie nicht mal zu berühren.

Dieser faszinierende Aspekt der Panzerechsen hat Forscher auf der Suche nach neuen Antibiotika dazu inspiriert, das krokodilige Blut genau unter die Lupe zu nehmen (The search for answers).

Nicht umsonst stellen sie eine ganz eigene Ordnung von Reptilien, sie sind etwas ganz spezielles. Kein anderes Reptil betreibt eine so vielfältige und intensive Kommunikation über Laute (Crocodile Talk). "Sie sind nicht wie große Eidechsen", meint George Amato, ein Genetiker vom Bronx Zoo), "Wenn man mit ihnen Zeit verbringt, wird klar, dass sie sehr komplex sind." (Crocs on Film).

Neuere Analysen weisen daraufhin, dass Dinosaurier, Krokodile und Vögel enge Verwandte sind ("Der Dino schläft heut' nacht"). "Krokodile sind von allem was wir haben am nächsten dran, lebende Dinosaurier zu sein", erläutert John Thorbjarnarson von der Wildlife Conservation Society.

In vielem sind die Panzerechsen den Vögeln ähnlicher als den Schlangen oder anderen Reptilien, denn die haben Herzen mit drei Kammern, während Krokodile wie die geflügelten Cousins über vier Kammern und Herzklappen verfügen. Das führt (wie bei den Säugetieren, die ganz unabhängig davon eine ähnliche Entwicklung durchmachten) zu mehr Flexibilität des Stoffwechsels und besserer Gehirnleistung. Und es gibt noch mehr Ähnlichkeiten. "Wie Vögel bauen Krokodile gute Nester, brüten ihre Eier aus und beschützen ihre Eier – sie betreiben eine Menge Aufwand um ihre Eier." Die Krokodilmännchen verhalten sich sehr territorial und sind genauso hierarchiebewusst wie ihre fliegenden Verwandten.

Das Nilkrokodil sind zwei

John Thorbjarnarson und George Amato haben sich zusammen mit anderen Kollegen intensiv mit dem Nilkrokodil beschäftigt, das ganz Afrika bevölkert. Bei ihren genetischen Analysen stießen sie auf verblüffende Unterschiede – anscheinend gibt es in Afrika zwei verschiedene Arten, die sich zwar äußerlich sehr ähnlich sehen, aber sich im Erbgut erheblich unterscheiden. Die riesigen Räuber können bis fünf Meter lang werden und jagen auch ausgewachsene Zebras oder junge Flusspferde.

Die Wissenschaftler sind überzeugt, dass die beiden innerlich sehr verschiedenen Arten sich räumlich aufteilen: das eine Nilkrokodil lebt in Ostafrika und auf Madagaskar, das andere in den Flüssen, Seen und Schlammlöchern Zentral- und Westafrikas.

Wenn die Forscher Recht behalten, wäre das eine Sensation in der Krokodilforschung. Die beiden wollen auch untersuchen, welches das "echte" Nilkrokodil ist, dass die alten Ägypter verehrten und zum Gefallen ihres krokodilköpfigen Gottes Sobek in Tempeln hielten und nach dem Tod mumifizierten. Genetische Proben einer Panzerechsen-Mumie aus der Pharaonen-Zeit soll nun Aufschluss darüber geben, welche der beiden Arten für sich den Titel Nilkrokodil beanspruchen darf.