Libyen: Mit brutalen Mitteln gegen radikale Islamisten

Seite 2: "Islamisten wollen Normalisierung der Lage in Benghazi verhindern"

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Der Anschlag (auf die Moschee in Benghazi, Anm. d. Red.) war nicht unerwartet. Es war absehbar, dass spätestens nach der Niederlage der Hauptkräfte des Benghazi Revolutionary Shura Council (BRSC, ein Sammelbecken von radikalen Islamisten) im letzten August zumindest einzelne Anschläge erfolgen werden. Die letzten Überlebenden des BRSC sind Ende Dezember/Anfang Jänner entweder kämpfend untergegangen, nach Derna (eine von Islamisten beherrschte Stadt weiter im Osten) ausgebrochen oder untergetaucht.

Den Sicherheitskräften war das Problem völlig bewusst. Man hat daher versucht, es durch Säuberungsmaßnahmen/Festnahmen in den Griff zu bekommen. Gleichzeitig waren/sind aber auch bewaffnete Gruppen außerhalb dieser Sicherheitskräfte unterwegs, die Festnahmen bzw. einzelne Exekutionen ohne Verfahren durchführen.

Wolfgang Pusztai

Es habe in den letzten Monaten aber trotz dieser Bemühungen im Schnitt einmal pro Woche Anschläge des BRSC mit Schusswaffen oder Bomben gegeben, mit bis zu drei Toten, so Pusztai. Mehrere Sprengkörper seien rechtzeitig entdeckt und entschärft.

Das Ziel der radikalen Islamisten ist es, eine Normalisierung der Lage in Benghazi zu verhindern. Dadurch soll auch eine Rückkehr der ausländischen Firmen verhindert werden. Diese Vorfälle haben aber medial nicht wirklich "durchgeschlagen".

Diesmal wurde bewusst eine große Anzahl an Personen getötet. Das war bisher unüblich bzw. ist auf Grund der rechtzeitigen Entschärfung von Bomben nicht gelungen. Vermutlich stehen untergetauchte Zellen des BRSC auch hinter diesem Anschlag. Die Vorgangsweise ist ein Indiz dafür, dass erfahrene Irak/Syrien-Kämpfer involviert waren.

Es ist aber nicht völlig auszuschließen, dass der IS (Islamic State) diesen Anschlag verübt hat, um sich für die schärfere Vorgangsweise der LNA (Libyan National Army) im zentralen Süden des Landes zu rächen. Dafür würde der modus operandi und die hohe Anzahl an Toten sprechen.

Wolfgang Pusztai

Laut Pusztai erklären sich die Hintergründe, warum Warfalli in Libyen als Held betrachtet wird - trotz kontroverser Gefühle und Einschätzungen - aus der Sicherheitssituation im Land.

Major Mahmoud Warfalli ist ein kampferprobter und von seinen Soldaten verehrter Kommandant der Saiqa Special Forces, der höchstwahrscheinlich schon öfters in derartige Exekutionen involviert war. Die Exekution der 10 Islamisten am Anschlagsort soll - wenn sie so wirklich stattgefunden hat - einerseits der eigenen Bevölkerung zeigen, dass Warfalli nicht gewillt ist, derartige Anschläge hinzunehmen und anderseits eine entsprechend abschreckende Botschaft ans BRSC bzw. den IS schicken.

Wolfgang Pusztai

Haftar habe entsprechend nur ein begrenztes Interesse, Warfalli festzunehmen.

Feldmarschall Heftar könnte seiner persönlichen Leibwache befehlen, Warfalli festzunehmen. Das Problem ist aber, dass mehrere dieser Leibwächter ursprünglich bei Saiqa waren, und nicht gesichert ist, dass Warfallis Leute eine Festnahme zulassen würden.

Ein gewaltsamer Festnahmeversuch von Warfalli könnte somit für Heftar leicht zum Desaster führen. Das wäre jedenfalls ein hohes Risiko für ihn, und ich erwarte nicht, dass er dieses in Kauf nehmen wird. Ein derartiges Vorgehen könnte außerdem das Vertrauen der Truppe in ihn massiv untergraben. Für viele Bewohner von Benghazi ist Warfalli ein Held.

Heftar könnte aber versuchen, Warfalli irgendwie intern aus dem Verkehr zu ziehen. Eine Auslieferung an das ICC halte ich für höchst unwahrscheinlich. Wenn ich mich richtig erinnere, wurde bis dato auch sonst niemand aus Libyen ans ICC ausgeliefert. Abdullah al-Senussi sitzt z.B. in Tripolis in Haft und wird auch nicht übergeben. Gleiches gilt für Saif al-Islam.

Heftar verstärkt die Sicherheitsmaßnahmen in der Stadt sichtbar, um das Sicherheitsgefühl der Bevölkerung wieder zu stärken. Gleichzeitig wird er den Kampf um Derna gegen das dortige Shura Council intensivieren. Insgesamt ist es für ihn erforderlich, die Lage im Osten (weiter) zu stabilisieren, bevor in anderen Regionen größere Offensiven unternommen werden können.

Mit weiteren Anschlägen in Benghazi ist zu rechnen. Insgesamt ist die Lage in der Stadt aber ruhig, vor allem im Vergleich zu Tripolis.

Wolfgang Pusztai