Machtgeplänkel zwischen Medien, Militär und Politik
Unter dem Damoklesschwert eines drohenden Irak-Kriegs führte das Auswärtige Amt Kriegsreporter, Spin-Doktoren, Außenpolitiker und Forscher zusammen, die über den CNN-Effekt und die Tyrannei der Echtzeit philosophierten
Die Frage ist ungefähr so alt wie die Gutenbergsche Druckerpresse: Bestimmen die Massenmedien die politische Agenda oder missbrauchen staatliche Kräfte Journalisten für ihre Zwecke? Welche Macht der Realitätsdefinition haben die Medien wirklich? Besonders aktuell wird dieser Richtungsstreit immer wieder in Konfliktsituationen, also wenn Propaganda und Zensur Hochkonjunktur haben. Eine klare Antwort haben Praktiker wie Theoretiker bislang nicht gefunden, außer vielleicht, dass es keine gibt. Mitten in der weltweiten Debatte um einen neuen Krieg gegen den Irak ließ nun das Auswärtige Amt Experten über die "Medialisierung der Weltpolitik" in Berlin diskutieren. Beide Seiten haben aufgerüstet, stellte sich heraus. Aber der künftige Gewinner im Kampf um die öffentliche Meinung und die Glaubwürdigkeit konnte nicht dingfest gemacht werden.
Nik Gowing ist ein rechtschaffener Journalist mit einer veritablen Anstalt im Hintergrund. Der Frontmann von BBC World TV war selbst schon einige Male an der Front, zuletzt im Afghanistankrieg. Dort musste sein Team sich einiges anhören. Zum Beispiel die Drohung von westlichen Sondereinheiten, an Ort und Stelle über den Haufen geschossen zu werden, falls man weiter aus der Region berichte. Nur Pech für die Militärs, dass die massive Einschüchterung vor laufender Kamera erfolgte. Im Endeffekt ist sich Gowing daher sicher, dass es trotz aller Zensurmaßnahmen und der in Afghanistan noch gezeitigten Vertuschungserfolge ("Das Schweigen, wenn auf einmal 3 000 Menschen verschwinden") den Kriegsparteien in Zukunft nicht mehr gelingen wird, einen ähnlich von der Öffentlichkeit abgeschotteten Krieg wie die Schlacht um Bagdad vor zwölf Jahren zu führen.
Selbst wenn das Pentagon bereits eine Strategie) angekündigt habe, der zufolge Hunderte von Journalisten direkt in die kämpfenden Truppen integriert und damit emotional an sie gebunden werden sollten, werde es vor Ort immer noch genug unabhängige Reporter geben, die über ihre Satelliten-Telefone das mit ihrer Videokamera aufgezeichnete Bildmaterial den Augen der Welt zuführen würden. "Das wird große Spannungen geben", weiß der Medienmacher, der sich bisher noch immer der fürsorglichen Umarmung durch das Militär zu entziehen wusste und sich keineswegs als "Geheimwaffe seiner Regierung" versteht. Etwa, wenn in einem kommenden Irak-Krieg frühzeitig durch Berichterstatter im Feld Erkenntnisse über Truppenzusammenführungen quasi in Echtzeit an die Sendeanstalten weitergefunkt würden.
Politik mit Vorsprung?
Sind die Medien - ausgerüstet durch neueste Technik - also in künftigen Krisen- und Kriegssituationen in der Lage, direkt ins Geschehen mit einzugreifen? Werden sich Oberbefehlshaber und die hinter ihnen stehenden Politiker nach den Gesetzen der rund um die Uhr gefüttert werdenden Sender zu richten haben? Definieren Leitmedien wie CNN nicht auch vielfach schon zuvor, worauf sich die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit und damit die der Politiker sowie der Militärs richten soll?
"Es gibt einen maßlosen Druck auf die Regierungen", sagt Michael Gerdts, Leiter der Auslandsabteilung des Bundespresseamts. Beispiel Mosambik: Als Bilder von der großen Flut in dem afrikanischen Land die Bildschirme strömten, hätte die Bundeswehr gar nicht rasch genug zur Hilfeleistung gen Süden geschickt werden können. "Da ist kaum mehr eine Koordinierung mit anderen Regierungen möglich".
Ganz anders sieht Christoph Bertram, Direktor der Stiftung Wissenschaft und Politik, das Verhältnis zwischen Medien und den gewählten Machthabern. Seiner Ansicht nach "hat die Politik im Wettlauf um die öffentliche Meinung einen erheblichen Vorsprung." Die Bilder des blutigen Bürgerkriegs aus Bosnien etwa hätten es allein nie vermocht, die NATO-Länder zum Eingreifen zu bewegen. Der eigentliche Rahmen fürs Handeln "wird in aller Regel nach wie vor von der Politik bestimmt", so der ehemalige Journalist. "Es gibt keinen Mächtigeren, um die Bilder zu prägen, als die Spitzenpolitiker", so seine These. Die Medien könnten in punkto Themensetzung erst dann mit den Politikern konkurrieren, wenn deren Glaubwürdigkeit bereits angefressen sei.
Doch genau das ist immer öfter der Fall, legte BBC-Anchor Gowing dar. Als jüngstes Beispiel nannte er den "Geheimdienstbericht" der britischen "Bond-Behörde" MI6 zu angeblichen Massenvernichtungswaffen-Arsenalen des Irak, in dem über die Hälfte des "belastenden" Materials aus einer veralteten Arbeit eines kalifornischen Studenten abgekupfert war (Geheime Cut-and-Paste-Informationen). Aber auch die australische Regierung sei kürzlich auf frischer Tat dabei ertappt worden, als sie in der jüngsten Flüchtlingskrise ein Foto verbreitete, auf dem scheinbar aus einem Boot ins Wasser gesprungene Rettungssuchende zu sehen sind. Das Originalfoto zeigte in einem viel größeren Ausschnitt aber, dass die Flüchtlinge nicht freiwillig baden gingen, sondern ihr Schiff am Sinken war. Die Regierung habe mit dem "getrimmten Bild" einfach die Dramatik der Situation steigern wollen.
Nur gut, dass das Außenministerium zu der Veranstaltung, die in der Reihe "Forum Globale Fragen" stattfand, auch Jamie Shea geladen hatte. Wie immer in Topform gab der NATO-Sprecher, der sich während des Kosovo-Kriegs einen Namen und ein Gesicht als König der "Spin-Doctors" machte, zum Besten, dass der Sensations- und Übertreibungswahnsinn weder für die Medien noch für politische Abteilungen gut sei. "Der beste Weg, für beide Seiten das Beste voneinander rauszuholen, ist, mit dem Spinning Schluss zu machen", erklärte der Propaganda-Experte (Interview mit Jamie Shea, der als NATO-Sprecher den Kosovo-Krieg verkaufte).
Medien sind keine Kriegsgewinnler
Die Medien würden mit ihren Kampagnen generell Kriege nur verlieren, niemals gewinnen. Und Regierungen, die Medien dazu benutzen wollten, ihre Botschaft zum Publikum zu bringen, sollten das Internet nicht vergessen. Denn das hat für Shea endgültig die "Demokratisierung der Informationsproduktion mit sich gebracht." Der versammelten Surfergemeinde ließe sich so kaum noch etwas vormachen. Dem Netz kann der PR-Chef der NATO aber nicht nur Gutes abgewinnen. So hätten während des Kosovo-Krieges mehrere hundert Websites ständig nur üble Gerüchte verbreitet, etwa, dass seine Organisation in Griechenland chemische Waffen zum Einsatz in Jugoslawien vorbereite. Die traditionellen Medien seien dann immer tagelang damit beschäftigt gewesen, derlei Lügen zu widerlegen.
Konkretere Vorschläge wie Sheas "Stop Spinning" zur Lage der Weltmedienpolitik gab es am Donnerstag kaum auf dem Berliner Forum. Die parlamentarische Staatssekretärin im Auswärtigen Amt, Kerstin Müller, griff zwar tief in die Philosophenkiste und aktualisierte Platons Höhlengleichnis fürs Medienzeitalter. Ansonsten blieb sie aber in allgemeinen Erinnerungen an die journalistische Ethik stecken. Gedankengänge, ob "Rating-Agenturen" für mehr Qualität in den Medien sorgen könnten, ob der öffentlich-rechtliche Rundfunk ausgebaut werden müsste oder wie die Hysterie der Echtzeit durch eine Besinnung auf mehr Langfristigkeit in der Berichterstattung zurückgepfiffen werden könnte, wurden nicht vertieft.
Deutlich machen konnte Martin Kotthaus, Leiter der Öffentlichkeitsabteilung bei Gruner + Jahr, aber zumindest, dass die private Medienwirtschaft keineswegs einen neuen Golfkrieg oder sonstige Krisensituationen herbeisehnt. Profite seien daraus nämlich nicht zu ziehen. "Kriegsberichterstattung ist für Anzeigenkunden nicht förderlich", konstatierte der Verlagsmensch. RTL etwa habe "grausam viel Geld verloren durch den 11. September". Kaum einer habe Werbung in den Sondersendungen buchen wollen. "Die beste Methode," so Kotthaus, "ein Medienunternehmen zu schädigen, ist der Irak-Krieg."