Machtkampf in Bolivien

Präsident Morales lenkt gegenüber der Opposition ein und gerät damit womöglich unter den Druck der eigenen Basis

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Ausgerechnet der bolivianische Präsident Evo Morales kam dem Gouverneur des Departements Cochabamba zu Hilfe. Dabei hat sich der Konflikt in der Region ausgerechnet daran entwickelt, dass Manfred Reyes Villa ein Referendum durchführen wollte, um unabhängiger von der Zentralregierung zu werden. Eine Bürgerversammlung hat ihn inzwischen für abgesetzt erklärt und es wurde eine "revolutionäre Volkregierung" in Cochabamba gebildet. Doch die Regierung von Morales erkannte sie nicht an und pocht auf die Anerkennung "der legal und demokratisch gewählten Autoritäten". Erneut will Morales das Problem per Referendum lösen. Bei den Auseinandersetzungen in Cochabamba gab es zwei Tote.

Proteste in Cochabamba am 11. Januar. Bild: bolivia.indymedia.org

Die Regierung Morales scheint mit einem Eiertanz aus der Regierungskrise im Departement Cochabamba herauswinden zu können. So verteidigte Morales auf der einen Seite das Vorgehen der eigenen Basis, will aber die Absetzung des Gouverneurs durch sie nicht hinnehmen. Nach einem Treffen mit Vertretern von Volksbewegungen in der Region erklärte er, die Reaktion der Demonstranten sei "legitim", weil der Gouverneur auf die Abtrennung der Region gesetzt habe. "Die Mobilisierung war friedlich zur Verteidigung des Landes, zur Verteidigung des Departements", erklärte Morales.

Gouverneur Reyes hatte sich den Autonomiebestrebungen der vier reichen Tieflanddepartements angeschlossen, in denen im Dezember bei Protesten sogar mit der Abspaltung gedroht wurde (Boliviens Regierungschef Morales lenkt ein). Tagelang richteten sich in Cochabamba die Demonstrationen gegen den Versuch von Reyes, das Referendum über die Autonomie zu wiederholen. Erst im vergangenen Juli hatte die Mehrheit in Bolivien bei einem Referendum das Ansinnen abgelehnt. Während sich Mehrheiten in den reichen östlichen Tieflandregionen fanden, lehnte die Mehrheit in Cochabamba den Vorschlag ab. Anhänger von Reyes und die so genannten Bürgerkomitees hatten zu Gegendemonstrationen aufgerufen. Bei gewalttätigen Zusammenstößen der beiden Gruppen wurden zwei Menschen getötet und mehr als zweihundert Menschen verletzt.

Zehntausende hatten sich gegen den Gouverneur am Dienstag auf dem zentralen Platz von Cochabamba versammelt und Reyes einstimmig für abgesetzt erklärt. Sie warfen der Regionalregierung auch Korruption und Amtsmissbrauch vor. Von den Demonstranten wurde eine "revolutionäre Volksregierung" gebildet, der 30 Führungspersönlichkeiten von Gewerkschaften und sozialen Bewegungen angehören sollten. In der nächsten Woche wollten sie einen neuen Gouverneur wählen. Doch dazu wird es nicht kommen, nachdem die Zentralregierung der Volksregierung die Anerkennung verweigerte.

Denn Morales will nicht zulassen, dass demokratisch gewählte Vertreter einfach von Demonstranten aus dem Amt gejagt werden können, auch wenn dies von seinen Anhängern geschieht. "Die Entscheidung der Regierung ist klar, beständig und transparent: Wir erkennen die an, die auf demokratischem Wege gewählt wurden", sagte Vizepräsident Alvaro García Linera. Dabei sei egal, ob sie der Regierung gefallen oder nicht, fügte er an.

Volksversammlung am 16. Januar in Cochabamba. Bild: bolivia.indymedia.org

Die Regierung forderte Reyes auf, sein Amt wieder einzunehmen und mit der Volksbewegung in einen Dialog zu treten. Das hat der Gouverneur aber nicht getan. Er ist zwar wieder aus der Hauptstadt nach Cochabamba zurückgekehrt, teilte aber in einer Ansprache über das Fernsehen mit, dass er die Regierungsgeschäfte zwischenzeitlich seinem Stellvertreter Jhonny Ferrel übergeben hat. Er sprach dabei von einem "Staatsstreich" den er international bekannt machen wolle. Zwar machte er auch die Zentralregierung verantwortlich, dass es zu einer "Konfrontation unter Brüdern" gekommen sei, doch nahm er deren Vorschlag zur friedlichen Lösung der Krise an: "Ich habe mich entschlossen, den Vorschlag des Präsidenten der Republik über die Absetzung zu akzeptieren."

Nun soll ein Gesetz ins Parlament eingebracht werden, mit dem gewählte Vertreter sich bei Bedarf einer Volksabstimmung über ihren Verbleib im Amt stellen müssen, wenn sie zuvor keine 50 Prozent der Stimmen erhielten. Die Mitglieder von Morales "Bewegung für den Sozialismus" (MAS) und viele Kokabauern zogen sich nach der Entscheidung aus Cochabamba zurück, wo nun eine gespannte Ruhe eingekehrt ist. Nach ihnen setzten auch die radikaleren Kräfte die Proteste aus. "Wir bleiben aber im Alarmzustand", erklärte der Gewerkschaftsführer Julio Salazar. Er machte die Anhänger von Reyes für die gewalttätigen Angriffe verantwortlich, die er als "Massaker" bezeichnete.

So ging der Schuss für Reyes nach hinten los. Statt einer Abstimmung über eine Autonomie, wird nun über seine Amtsenthebung abgestimmt werden. Angesichts der Kräfteverhältnisse ist es wahrscheinlich, dass es dazu kommen wird. Das Referendum ist eine vernünftige gewaltfreie Lösung, um einen dauerhaften Konflikt wie zum Beispiel in der mexikanischen Unruheprovinz Oaxaca zu vermeiden und die Bevölkerung an den wichtigen Entscheidungen direkt zu beteiligen.

Im Hintergrund des Konflikts geht es um die neue Verfassung

Im Hintergrund geht es eigentlich nicht um die Frage der Autonomie, sondern um die Ausarbeitung der neuen Verfassung (Aufstand gegen Evo Morales). Über sie sollen die Nationalisierung der Bodenschätze und die Landreform abgesichert und der Reichtum des Landes gerechter verteilt werden. Die verstärkten Autonomiebestrebungen waren eine Antwort der Konservativen in den reichen Regionen auf die Politik von Morales.

Am 8. Januar hat die Verfassungsgebende Versammlung ihre Arbeit wieder aufgenommen. Die gewählten Vertreter konnten sich bisher aber noch nicht auf den Modus zur Abstimmung des Verfassungstextes einigen. Am nächsten Donnerstag soll über den Artikel 70 verhandelt werden, worin dies geregelt ist. Ursprünglich war vorgesehen, den Text mit einer Zweidrittelmehrheit zu verabschieden. Die Opposition hatte eine Änderung an dem Modus benutzt, um die Versammlung zu blockieren. Denn im letzten Jahr hatte die Mehrheit entschieden, den Text mit einfacher Mehrheit zu verabschieden, um den Prozess zu beschleunigen. Ohnehin hat die Bevölkerung per Referendum auch hier das letzte Wort. Nun lenkt die MAS auch hier ein. Sie will wieder eine Zweidrittelmehrheit im Plenum akzeptieren, wenn noch vor dem 2. Juli über den neuen Verfassungstext entschieden wird.

So konnte die fünfmonatige Blockade der Versammlung überwunden werden und am Mittwoch wurden nun 21 Kommissionen eingesetzt: "Jetzt beginnt die wirkliche Arbeit der schriftlichen Ausarbeitung des neuen Verfassung, für welche die Kommissionen von großer Bedeutung sind", erklärte die Präsidentin der Verfassungskommission Silvia Lazarte. Die MAS von Morales hat die einfache Mehrheit in den Kommissionen und stellt in elf von ihnen auch den Vorsitzenden.