Marx ist Murks - Teil 1

Seite 3: Einwand 3: Mehrwert ist gar kein Kriterium für die Produktion

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Auch hier scheiden sich die Geister der anti-marxistischen Forenten.

a) Die einen bestreiten, dass der Mehrwert überhaupt ein Kriterium für das Was und Wie der Produktion ist. Als Gegenbeispiele werden Freeware und Hobbyimkerei aufgeführt. Als Einlassung könnte man sie zunächst gelten lassen, aber was ist dann mit den Fällen, wo es sich so verhält, wie ich beschrieben habe, d.h. die gesamte Massenproduktion der Gesellschaft? Sind die dadurch abgesegnet? Gehen die durch dieses seltsame Gegenbeispiel jetzt plötzlich klar? Sind es die Hobbytüftler, die den stofflichen Kreislauf der Gesellschaft am Laufen halten?

Man könnte auch das weit verbreitete Ehrenamt als zusätzliches Gegenbeispiel einwerfen. Ich bin durchaus gewillt, es gelten zu lassen. Aber letztlich ist doch auch dieses nicht wirklich eins. Wo tritt das Ehrenamt denn überhaupt in Erscheinung? Z.B. im sozialen Bereich. Dort zeigt sich aber gerade, dass das Kapital diese Felder nicht anrührt, weil sie jenseits jeglicher Rentabilität sind. Es sind also gesellschaftliche Notwehrmaßnahmen, um Leistungen, die das Kapital von sich aus nicht stiftet, doch noch irgendwie mit privaten, unbezahlten Opfern bereitstellen zu können.

Die Sache ist sogar noch viel schlimmer, wie sich in späteren Artikeln der Serie zeigen wird. Das Kapital produziert überhaupt erst diese Not, und zwar systematisch und im großen Stil, der besagte Abwehrmaßnahmen gelten. Das Gesetz des Eigentums, ohne das keine Marktwirtschaft und erst recht kein Kapitalismus möglich ist, produziert den "stummen Zwang der ökonomischen Verhältnisse" (Marx).

Einerseits kommt man an die Dinge des täglichen Bedarfs nur, indem man sie kauft, andererseits hat man seine Einkommensquelle, d.h. das Mittel des Kaufs, gar nicht in der Hand, man beherrscht sie nicht, weil man nicht über sie verfügt, und selbst wenn man über sie verfügt, als Eigentümer, ist da noch die liebe Konkurrenz. Insofern ist man auch beim Ehrenamt - mal wieder, wenn auch indirekt - auf Gedeih und Verderb abhängig von einer Rentabilitätsrechnung, die alles diktiert.

Das vorgebrachte Beispiel Freeware (oder meinetwegen auch Shareware) ist alles andere als ein Gegenbeispiel. Der Augenschein trügt. Freie Software ist eine der maßgeblichen Art, wie in einigen Segmenten der IT-Branche überhaupt erst Profite generiert werden. Beispiel Facebook, YouTube, die meisten Suchmaschinen und kostenlosen Apps. Das sind doch nur Plattformen für das eigentliche Geschäft: Schaltung von Werbung, Verkauf von Daten und Beteiligung an vermittelten Geldtransaktionen (Ebay, PayPal, Uber, Drivy, Airbnb etc.). Dann gibt es auch Freeware (z.B. gewisse Linux-Distributionen) von der Art, die zwar frei herausgegeben werdend, die Firma aber am technischen Support verdient. Oft ist dann auch das Freemium nur der Appetizer für die eigentliche Bezahlsoftware als Premiumversion. Gäbe es all diese extrem lukrativen Geschäftsmöglichkeiten nicht, und zwar so lukrativ, dass die Firmen, die solchen Service kostenlos betreiben, zu den reichsten der Welt gehören, dann gäbe es auch diese Plattformen überhaupt nicht.

Bereits erfolgreiche Unternehmen können auch Freeware anbieten, um die Konkurrenz, die solchen Dienst noch gegen Bezahlung anbietet, komplett vom Markt zu fegen, um diesen dann im Anschluss nach eigenen Wünschen neu umzugestalten, oder sie aufzukaufen. In diese Kategorie fällt auch der zwischenzeitige Verkauf von jeglichen Waren zu sogenannten Dumpingpreisen. Man kann bei genügend Reserve durchaus scharf kalkulierend eine gewisse Zeit lang auf den Mehrwert verzichten, jedoch nur mit der Berechnung, ihn später umso einfacher abschöpfen zu können.

Im Prinzip machen solche Phasen sehr viele Firmenneugründungen bis zum finanziellen Breakthrough durch, aktuell bestes Beispiel ist Tesla. Noch wird beklagt, dass es nur rote Zahlen schreibt, aber wenn sich seine Technologie durchsetzen sollte, kann im Prinzip ein Gutteil der weltweiten Autoproduktion eingemottet werden oder muss schnell nachziehen. Ein anderes Beispiel war Walmart, welches, so geht jedenfalls die Legende, zu der Zeit seines Aufstiegs zur weltweit dominanten Handelskette die Reklamation von Produkten gestattete, sofern der Kunde nur vorweisen konnte, dass es dieses Produkt woanders günstiger gibt. So kriegt man die Infos über die Konkurrenz frei ins Haus geliefert. Inzwischen hat auch Walmart die Preise angepasst. Ewig kann man das Spielchen ja nicht treiben. Die Shareholder würden das auch nicht zulassen.

Wahre Freeware geht im großen Maßstab in einer kapitalistischen Umwelt schon allein deshalb nur kaum oder unter erschwerten Bedingungen, weil ihre Entwicklung, ihre Instandhaltung und ihr Betrieb allesamt Kosten in großer Höhe generieren. Diese müssen halt irgendwie gedeckt werden. Staatlich, wie z.B. die Erste-Hilfe- oder Katastrophenwarnapps, oder privat, z.B. über Spenden oder Vereinsbeiträge. Wikipedia ist ein Beispiel für einen spendenbasierten Betrieb. Aber auch die kapitalistische Kehrseite tritt dabei deutlich zu Tage: Selbst der fleißige Einsatz von tausenden fleißigen Helferlein, den Content zusammen zu tragen, bewahrt die Betreiber nicht vor der entwürdigenden Aufgabe, regelmäßig um Spendenbeiträge betteln zu müssen. Die kapitalistische Umwelt ist eben kein geeigneter Nährboden für freie Software. Mit ihr werden bestenfalls Nischen gefüllt.

Ferner gibt es dann auch noch die Sorte Freeware von Einzelpersonen oder kleinen Klitschen, die ihr Produkt umsonst raushauen, um sich so einen Namen zu machen, d.h. sich selbst und das eigene Werk als ein geschäftstüchtiges Mittel für andere anzupreisen. Der gelungene Verweis auf die eigene Expertise dient ja nicht nur der eigenen Reputation, sondern die Steigerung der Reputation selbst ist die Methode, Finanzmittel anzulocken, aus denen sich dann hoffentlich ein Geschäft machen lässt. In meinem Bekanntenkreis ist das eine sehr verbreite Praktik. Alle hoffen auf ihr lang ersehntes Start-up. Damit soll die profitliche Plusmacherei dann erst so richtig losgehen.

Und wenn es tatsächlich einmal vorkommt - ja, das mag es auch geben -, dass einer seine Software völlig umsonst und ganz ohne monetäre Hintergedanken anbietet, allein um der Sache willen, etwa Börsen für Nachbarschaftshilfe, stark verschlüsselte Instant Messanger für Aktivisten, naja, dann hat man halt mal vereinzelte Ausnahme vom allgemeinen, universell gültigen Prinzip gefunden. Das fällt dann eben wieder unter die Abteilung soziales Ehrenamt (s.o.). Diese Produkte stellen sich dann aber auch explizit als antikapitalistische Projekte auf und verweisen damit sehr direkt, was die geltenden Prinzipien in dieser Ökonomie sind.

b) Umgekehrt gibt es auch solche, die sogar bestätigen, dass der Mehrwert das maßgebliche Kriterium der Produktion ist, finden aber nichts dabei. Im Gegenteil, sie finden es geradezu hochgradig rational. Ja gut, wem es egal ist, ob Medizinprodukte nicht entwickelt oder nicht vertrieben werden, weil es sich einfach nicht für das Geschäft lohnt; wem es egal ist, dass Wohnungen massenhaft leerstehen, während allein in Deutschland die Zahl der Wohnungslosen langsam auf die Million zusteuert, weil sie außer Stande sind, eine lohnende Miete abwerfen; usw., ja solch einer Person kann man zu seiner Rationalität nur gratulieren. Das Rentabilitätskalkül geht ihr eben über alles. Was soll man da noch großartig gegen sagen?

c) Der einzige richtige Einwand in Bezug auf den Mehrwert als Kriterium der Produktion kam von einem Marxisten, als er anmerkte, dass es nicht bloß darauf ankommt, dass Produktion und Verkauf von Waren einen Mehrwert versprechen müssen, sondern dass es schon auch noch zusätzlich drauf ankommt, dass genug Mehrwert produziert wird. Das macht die Sache nur noch schlimmer als ich es angedeutet habe. Ich habe es ausgelassen, um sie nicht unnötig kompliziert zu machen. Der Forent verweist in diesem Zusammenhang auf den Unterschied zwischen Mehrwert und Profit, welches eben nur einen Teil des Mehrwerts ausmacht. Einen anderen Teil greift sich noch der Staat in Form von Steuern ab, und dann müssen ja auch noch die Geschäftsfelder der ihm feindlichen Klassenbrüder bedient werden: Kredite zurück zahlen an das Finanzkapital, Miete zahlen an den Grundeigentümer und all sowas, vielleicht sogar Schutzgeld an die Mafia.

Um mein Argument zu retten, kann man sich diese ganze Bagage der beteiligten Kapitalisten zunächst als einen Gesamtkapitalisten vorstellen. So macht es auch Marx in Band 1. Jedenfalls, genug Mehrwert muss es schon sein. Einen vorausgeplanten Mehrwert von nur 1 Euro bei 10.000 Euro Investment wird wohl kaum einen Unternehmer dazu anregen, sich fuchsteufelswild in die Produktion zu stürzen. Aber solche Präzisierungen nimmt Marx in Band 1 gar nicht wirklich vor, sondern verweist auf später geplante Werke. Allenfalls bespricht er in Band 1 die Frage, wie viel Mehrwert denn überhaupt genug ist, um den Kapitalisten als Kapitalisten zu erhalten.

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