Maschinenstürmer im Netz

Seite 4: Der Unabomber und die "kalifornische Ideologie".

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Menschliches Verhalten muß verändert werden, um sich den Bedürfnissen des Systems anzupassen. Das hat nichts mit einer politischen oder gesellschaftlichen Ideologie zu tun, die das technologische System steuert. Es ist der Fehler der Technologie, weil das System nicht durch Ideologie, sondern durch technische Zwänge gesteuert wird ... Die Revolution, die wir uns vorstellen, schließt nicht notwendigerweise einen bewaffneten Aufstand gegen jede Regierung ein. Sie kann oder kann nicht von Gewalt begleitet werden, aber auf jeden Fall wird sie keine politische Revolution sein. Ihre Zentrum liegt in der Technik und der Wirtschaft, nicht in der Politik.

Unabomber

Ebenso wie der Unabomber stets beharrlich darauf hinweist, daß er nicht politisch oder sozial motiviert ist, sondern einzig die Technik für die Quelle alles Übels ansieht, ist es heute gang und gebe geworden, von einer Revolution der digitalen Technologie zu sprechen, die alles verändern werde und mit der man zurechtkommen müsse. Tauscht man das Leitbild der "wilden Natur" und des einfachen Lebens als Hoffnungschiffren gegen den Cyberspace und den mit ihm verbundenen Utopien aus, so bleibt kein großer Unterschied. Auch der Unabomber kommt aus der kalifornischen Szene der alten, in den 60er Jahren trotz hochgerüsteter Musik meist gegen die Technik eingestellter Hippies, die aus den Städten flüchteten und die ökologischen Konsequenzen der Industriegesellschaft kritisierten.

Bald jedoch ist diese Szene in den Technorausch unter Weiterführung ihrer oft irrationalen Mystizismen abgekippt und hat dadurch ein anderes, nämlich positives Verhältnis zum Geld und zum Geschäft gefunden, mit dem sich auch die Industrie und die Konservativen à la Gingrich arrangieren konnten. Stets operiert man durch die krude Antinomie von Gesellschaft und Gemeinschaft, von Individuum und System - und glaubt, daß besonders die Struktur des verteilten Netzes der individuellen Freiheit einen neuen Schub geben könnte und daß sich dadurch ein Ausstieg aus der Komplexität der Massengesellschaft finden ließe.

Schon die psychedelische Szene der 60er Jahre mit ihrem Leitbild der Selbstverwirklichung sah in der Realität nur ein Konstrukt, das sich jeder Zeit beliebig durch Drogen oder Revolutionen verändern ließ. Nachdem psychedelische Drogen, Landleben, Kommunen, freie Liebe und Buckminster Fuller Dome sich als Sackgassen im Hinblick auf Gesellschaftsveränderung erwiesen haben, erschienen Computer plötzlich in einem anderen Licht und wurden zu einem neuen Weg in die Phantasiewelt, geprägt ebenso von anarchistischen Träumen des Ausstiegs wie von Ökotopia, Herr der Ringe und Science Fiction Szenarien. Nun erwartete man, wenn man nicht zu den Grünen konvertierte, letztlich eine mehr oder weniger gemäßigte Variante der Weltanschauung des Unabomber, die Revolution, wie Mark Dery süffisant in Escape Velocity anmerkt, nicht mehr aus der Aktivität von politischen Radikalen, sondern von den technologischen Durchbrüchen der kapitalistischen Visionäre, die ein kybernetisches Eden in Aussicht stellten. Schon die primitiven Computernetze ließen mit ihrer textbasierten Kommunikation die Bildung neuer Gemeinschaften und so einer Gegenkultur entstehen, wie sie beispielsweise Howard Rheingold in seinem Buch Virtuelle Gemeinschaften so rosig beschrieben hat.

Was auch immer geschehen mag, so ist gewiß, daß die Technologie für die Menschen eine neue materielle und soziale Umwelt schafft, die völlig verschieden von derjenigen ist, an die die natürliche Selektion den Menschen körperlich und geistig angepaßt hat. Wenn der Mensch dieser neuen Umwelt nicht durch eine künstliche ingenieursmäßige Transformation angepaßt wird, dann wird er es durch einen langen und schmerzvollen Prozeß der natürlichen Selektion. Doch ersteres ist viel wahrscheinlicher als letzteres. Es wäre besser, daß ganze verfaulte System zu zerstören und die Konsequenzen zu ziehen.

Unabomber

Einig sind sich die linken und rechten Netzutopiker beim Kampf gegen jede staatliche Regulierung. "Demassifying" ist das Losungswort. Gemeinsam ist ihnen auch, daß sie die sozialen Folgen bei der Einrichtung der Informationsgesellschaft nicht diskutieren. Individuelle Freiheit und Freiheit der Meinungsäußerung verbinden sich mit der Freiheit des Marktes. Vom Staat als einer Solidargemeinschaft, die den wirtschaftlichen Liberalismus kompensiert und den sozialen Frieden durch Ausgleich zu wahren versucht, hat man sich abgelöst. Richard Barbrook und James Cameron nennen diese seltsame, auch schon in Europa verbreitete Haltung der neuen virtuellen Klasse die kalifornische Ideologie.

Über die Verurteilung des Unabombers will man nicht nur die allgemeine Kritik an der Informationsgesellschaft lächerlich machen, sondern man führt auch einen Prozeß gegen die linken Intellektuellen und gegen die eigene Verwurzelung in der Szene der 60er Jahre, aus der einzig die Suche nach Selbstverwirklichung und Fun zusammen mit dem Glauben, Avantgarde und Gegenkultur zu sein, übrigblieben. Die schillernde und romantisierte Figur des Hackers, der an der technologischen Front steht und unerschrocken in die abgeschlossenen Bereiche der Macht eindringt, um die Information frei zirkulieren zu lassen, ist Vorläufer der Cyberpunks und der "virtuellen Klasse" der hochbezahlten Spezialisten und High-Tech-Firmengründer.

Verabscheuen Sie Computer? Ärgert Sie die fortgeschrittene Industriegesellschaft zutiefst? Suchen Sie einen Fahrradweg auf dem Information Superhighway? Luddites On-Line ist der einzige Ort im Cyberspace, der ausschließlich den Ludditen, Technophoben und anderen Flüchtlingen der Informationsrevolution gewidmet ist.

Luddites On-Line

Aber der Unabomber hat mit seinem Manifest auch die Maschinenstürmer wieder stärker ins Licht der öffentlichen Aufmerksamkeit geholt. Im Internet sei, so die New York Times, der Unabomber bereits ein Star.

Pathfinder hat eine Page für den Unabomber eingerichtet. Man kann erwarten, daß mit der Durchsetzung der Informationsgesellschaft und ihren teilweise verheerenden Folgen - duale Stadt, Arbeitslosigkeit, Verarmung von breiten Gesellschaftsschichten, zunehmende wirtschaftliche Konzentration etc. - auch der Widerstand gegen die virtuelle Klasse und gegen die Technologie, den technologischen Fortschritt und die technischen Utopien wächst. Selbst im Netz breitet sich die neue Stimmung aus, geht es um die Ludditen, bilden sich Fangruppen und ist sogar eine ironisch-anarchistische Bewegung entstanden, die den Unabomber als Präsidentschaftskandidaten nominieren will, um die Wahl zu karikieren, die nur eine Farce sei, weil das System zu mächtig ist, um anders verändert werden zu können.

Mit den Boys wie Clinton, Gingrich, Powell, Perot, Forbes, Dole, Gramm, Lugar, Alexander, Dornan, Keys etc. Ist nichts anzufangen: "Kann man sich überhaupt einen Kandidaten, eine Wahl oder eine Debatte vorstellen, die die wirklichen Fragen behandeln?" Der Unabomber hat wenigstens eine Vision, er würde, wenn gewählt, nicht Präsident werden und die Diskussion seiner Thesen hätte immerhin Unterhaltungswert. Und überhaupt ist er vertrauenswürdig.

"Die vom Unabomber gebrauchte Gewalt sollte ihn nicht für die Reflexion disqualifizieren. Seine Bereitschaft und seine Fähigkeit, Gewalt effektiv einzusetzen, um strategische politische Ziele zu erreichen, zeigen nur die entscheidenden Qualifikationen für einen Präsidenten. Schließlich ist Colin Powells EINZIGE Qualifikation seine Leistung als guter Killer. Niemand hat ihn einen Massenmörder genannt oder gesagt, er sehne sich nach Aufmerksamkeit. Keiner der Präsidentschaftskandidaten hat den Genozid des Golfkrieges verurteilt. ... Berufliche verursachte Tode und Krankheiten ... Gewalt? Tod durch Krebs, verursacht durch Toxine in der Luft, im Essen und am Arbeitsplatz ... Gewalt? Ein Mindestlohn, der weit unter der Armutsgrenze liegt, mit Hunger, Stress, Krankheit und frühem Tod als Folgen ... Gewalt? In den Medien wurde gerade die Rechtfertigung für den Bombenabwurf auf Hiroshima und Nagasaki wieder ausgearbeitet ... Gewalt? Terror?"

Und ein Geschäft will man auch mit dem Unabomber auf dem schnell vergänglichen Aufmerksamkeitsmarkt machen. Schon stehen die ersten beiden Bücher über Theodore Kaczynsky in der Warteschleife. Bei Pocket Books wird der pensionierte FBI-Beamte John Douglas zusammen mit einem Ghostwriter das Buch "Unabomber: On the Trail of America's Most-Wanted Serial Killer" schreiben, das bereits Ende April erscheinen soll. Und Nancy Gibbs wird bei Warner Books ihr Buch "Mad Genius: The Odyssey, Pursuit, and Capture of the Suspected Unabomber" im Mai veröffentlichen.