Maschinenstürmer im Netz

Über den UNABOMBER, die "wilde Natur" und den Cyberspace

Der folgende Beitrag ist vor 2021 erschienen. Unsere Redaktion hat seither ein neues Leitbild und redaktionelle Standards. Weitere Informationen finden Sie hier.

Der Unabomber wurde vor kurzem vom FBI festgenommen. Aber es geht nicht nur um einen einzelnen Terroristen, sondern auch um eine fundamentale Kritik der Informationsgesellschaft. Kommen die Maschinenstürmer?

Der über Jahre hinweg meistgesuchte Terrorist der USA, den man Unabomber nannte und der selbst unter dem Pseudonym einer Gruppe namens "FC" auftrat, wurde am 3. April, durch seinen Bruder an die Polizei verraten, festgenommen. Zumindest ist das FBI ziemlich sicher, mit dem ehemaligen Mathematikprofessor Theodore J. Kaczynsky den richtigen erwischt zu haben, der seit 1978 16 Briefbomben deponiert und damit drei Menschen getötet und 23 verletzt hatte. Meist kamen die Opfer aus dem Umkreis von Universitäten wie David Gelernter von der Yale University oder hatten mit Fluggesellschaften zu tun, weswegen man ihn auch Unabomber taufte.

Aufgespürt hatte man ihn in einer kleinen Holzhütte in den einsamen Rocky Mountains von Montana, wo er seit vielen Jahren, ähnlich wie Thoreau, das große amerikanische Vorbild der staatsunabhängigen, naturbezogenen und nach Autonomie strebenden intellektuellen Pioniere, zurückgezogen lebte. Alleine und im Selbstauftrag, ganz von seiner Mission erfüllt, zog er wie ein Westernheld oder Rambo aus, um gegen das Böse zu kämpfen: gegen den Staat, die Technik, die Wissenschaft, den Kommerz, kurz: die naturferne Lebensweise der Industriegesellschaft, die droht, ihre eigenen Lebensgrundlagen und irgendwie auch die Freiheit der Menschen zu vernichten.

Aufsehen erregte seine Forderung im letzten Jahr, daß große Zeitungen ein langes von ihm verfaßtes Manifest mit dem Titel Die Industriegesellschaft und ihre Zukunft abdrucken sollten, wobei er versprach, dann zumindest die Attentate auf Menschen einzustellen. Die Zeitschrift Penthouse wollte dem Unabomber als Kompensation gleich eine monatliche Kolumne zur Verfügung stellen. Aber Penthouse war ihm zu wenig seriös oder zu wenig verbreitet. Er drohte mit einem weiteren Attentat, bis schließlich die Times und die Washington Post eine gekürzte Fassung abdruckten. Irgendwie schien der Unabomber durch den blutigen Anschlag von rechtsgerichteten Desperados am 19.4.1995 in Oklahoma City, der 168 Todesopfer gefordert hatte, verwirrt worden zu sein. Plötzlich richtete sich das öffentliche Interesse nicht mehr auf ihn, und der anti-staatlich motivierte Terrorismus der Rechten verfolgte zumindest oberflächlich ähnliche Ziele wie der selbsternannte Retter der Menschen vor der entfremdenden Industriegesellschaft. Er sei ärgerlich, schrieb er, als er nach seinem Motiv gefragt wurde, den Terror aufzuhören: "Wir bedauern zutiefst die Art des willkürlichen Gemetzels", teilte er der Times mit, "das sich durch den Vorfall in Oklahoma City ereignete."

Diese Geschichte ist auch hier mittlerweile bekannt, sein Manifest jedoch weniger oder gar nicht. Gelesen und diskutiert hatte man es in Amerika vor allem deswegen, weil er durch seine Taten die Aufmerksamkeit der Medien fand. Die "Propaganda der Tat" ist ein altes anarchistisches Konzept, das wie die Anarchisten selbst mit dem Massenmedium Zeitung entstand. Und der Unabomber machte von ihr explizit und in klaren Worten Gebrauch, weil er der sicher richtigen Meinung war, daß es für die "meisten Individuen und kleinen Gruppen nahezu unmöglich sei, in der Gesellschaft nur durch Worte Aufsehen" zu erregen: "Um unsere Botschaft mit einer gewissen Chance, einen dauerhaften Eindruck hervorzurufen, zur Öffentlichkeit zu bringen, mußten wir Menschen töten."

Der Unabomber in den Medien

Als absoluter und puristischer Einzelgänger, der sich durch sein Eremitendasein aus der Welt des Erfolgs und Konsums freiwillig entfernte, gilt er als zwar kluger, aber doch verschrobener Spinner, der sich gegen das aufzulehnen sucht, was wir offenbar selbstverständlich hinnehmen sollen. "Wirr" seien seine Thesen, mit denen er dazu aufrief, die Industriegesellschaft zu zerstören, bemerkte etwa der SPIEGEL: "Im abstrakten Stil einer Oberseminararbeit beschrieb da einer den Dämon angeblich nicht mehr zu bändigender Technik." Als "verrückter Prophet und kaltblütiger Mörder zugleich", als "kopflastiger Sonderling" wird er beschrieben, der in seiner Hütte zwar äußerst primitiv lebte, aber "Regale voller Bücher" besaß.

People fragt - man kennt das von der hiesigen Terroristendiskussion - erstaunt: "Wie konnte ein brillanter junger Mensch mit all seinen Chancen - eine unterstützende Familie, eine gute Kindheit, eine Ivy League Ausbildung - zu einem Massenmörder werden?"

Ein WIRED-Autor sieht in ihm lediglich die Gier, Berühmtheit und damit Aufmerksamkeit als "Massenmörder" zu erlangen. "Nicht vernetzt und ungewaschen" - eine seltsame Kombination - sei er gewesen: ein "mountain man", der an die Stelle des "drogenverwirrten Manson als unser Monster des digitalen Zeitalters" getreten sei. Schließlich werde ihn, so der Autor genüßlich, eben jene Technik überführen, die er so verdammt hat, wenn man seine genetische Identität aus dem Speichel, der auf den Briefmarken seiner Botschaften sich befinde, nachweisen könne. WIRED sieht im Unabomber sowieso nur ein "altes Denken" mit einer "alten Technologie", womit man natürlich nichts zu tun haben will, weil man sich stets auf der Überholspur befindet.

Andere coole Netz- und High-Tech-Enthusiasten, die sich nichts kaputtmachen lassen wollen, lästern über sein langweiliges Anarchogeschwätz. Weil niemand ihm zuhörte, so die Schlußfolgerung, begann er die Manager und Professoren mit seinen selbstgebastelten Bomben heimzusuchen, um "sein lächerliches Manuskript den unschuldigen Medienkonsumenten aufzuzwingen und sich ganz allgemein seinen Weg ins Zentrum der Aufmerksamkeit zu bomben." Und überhaupt ist man genervt: "Es ist schon so weit gekommen, daß man nicht zu einer Party gehen oder in einer Bar sein kann, ohne daß irgendwelche langweiligen "Neo-Ludditen" einen mit seiner Zielfernrohrphilosophie der Übel der Technologie überschütten. Je nachdem, wieviel Alkohol man bereits getrunken hat, kann man über diese Typen ein- oder zweimal lachen, aber nach einer gewissen Zeit wird es hart, ihrem allzu allgemein zusammengeschusterten Angriff aus historischer Unkenntnis und zirkulärer Logik standzuhalten. Die Anarchisten und ihre zurückgebliebenen Hillbilly-Cousins, die Neo-Ludditen, können eine fundamentale menschliche Wahrheit nicht verstehen: Die Menschen ziehen MTV der Lepra vor." Überdies brauche der Unabomber uns nicht vor den Übeln des Cyberkapitalismus zu warnen: "As if we didn't already know, buddy."

Cyberkultur und Zivilisationskritik

Sicher, der Unabomber hat sich erst durch seine verwerfliche, von ihm schlicht als notwendig apostrophierte "Propaganda der Tat" in die öffentliche Aufmerksamkeit gedrängt, doch sein Manifest ist nicht verwirrter als Äußerungen anderer Menschen und seine Endzeitstimmung trifft den Nerv von vielen.

Abnormale Bedingungen unserer modernen Industriegesellschaft sind unter anderem eine extrem hohe Bevölkerungsdichte, die Isolation des Menschen von der Natur, die exzessive Beschleunigung des gesellschaftlichen Wandels und der Zusammenbruch der natürlichen kleinen Gemeinschaften wie die Großfamilie, das Dorf oder der Stamm.

Unabomber

Seine Kritik richtet sich gegen die Komplexität einer Gesellschaft, die durch die Technologie immer globaler und unkontrollierbarer wird, weil damit gleichzeitig, trotz aller Mythen von der Dezentralisierung durch den Cyberspace, ein Prozeß der politischen und wirtschaftlichen Konzentration einhergeht. Was hierzulande etwa von Ulrich Beck unter dem Titel der Risikogesellschaft als organisierte Unverantwortlichkeit formuliert wurde, hat der Unabomber ganz ähnlich zum Ausdruck gebracht, nur daß er daraus die Konsequenz eines Rückzugs aus dem Staat und der Technik zieht, um dem Individuum wieder die Möglichkeit der Autonomie zu verleihen, wie sie die Menschen vor der Industriegesellschaft, organisiert in kleinen Gemeinschaften, noch gehabt haben sollen.

Was uns ein Gefühl der Sicherheit gibt, ist nicht eine objektive Sicherheit, sondern das Vertrauen in unsere Fähigkeit, für uns selbst zu sorgen. Der primitive Mensch kann, bedroht durch wilde Tiere oder Hunger, sich selbst verteidigen oder nach Essen suchen. Über den Erfolg seiner Tätigkeiten hat er keine Gewißheit, aber er ist keineswegs hilflos den Bedrohungen ausgeliefert. Das moderne Individuum wird andererseits von vielem bedroht, gegenüber dem er hilflos ist. Unfälle bei Kernkraftwerken, Karzinogene im Essen, Umweltverschmutzung, Krieg, steigende Steuern, das Eindringen von großen Organisationen in sein Privatleben oder landesweite soziale oder wirtschaftliche Phänomene, die in seine Lebensweise eingreifen.

Unabomber

Der Unabomber zieht aus seinem Unbehagen an der High-Tech-Welt in Form eines Kurzschlusses einfache Regeln. Revolution anstatt Reform, Ausstieg anstatt Anpassung. Komplexitätsreduktion durch die Flucht in eine Welt vor der Technik, durch eine Glorifizierung der Welt vor dem technischen Sündenfall, ohne allerdings näher auszuführen, mit welcher Technik dieser einsetzt. Subtiler, aber im Kern nicht anders kritisiert etwa Neil Postman das Technopol. Während jedoch der Unabomber vor allem den Verlust der Autonomie des einzelnen Menschen in den Vordergrund stellt und das Leben in kleinen Gemeinschaften feiert, will Postman den sozialen Kitt der Gemeinschaft wieder durch große Erzählungen mit ihren gesellschaftlichen Normen und Regeln herstellen, um den Menschen Orientierung zu geben und wieder eine Verbindlichkeit zu ermöglichen.

Der Unabomber hat mit seinem Manifest wider die Industriegesellschaft, das er durch seine Anschläge in die Öffentlichkeit brachte, vielleicht einer steigenden, wenn auch diffusen Angst vor der scheinbar unaufhaltsam voranschreitenden und nicht mehr zu steuernden Dynamik technischen Fortschritts zu einem ersten Ausdruck verholfen. Diese Angst trifft heute auf den entschiedenen Widerstand der Industrie, der von der High-Tech abhängigen Bevölkerungsschicht und der Politiker, die einzig durch technische Aufrüstung glauben, den von ihnen vertretenen Standort retten zu können. In diese Zeit der Alternativenlosigkeit gegenüber dem technischen Fortschritt, aus dem in der globalen Ökonomie und Länderkonkurrenz unter der Prämisse der Bewahrung des Lebensstandards nicht auszusteigen ist und dem mehr und mehr die von einzelnen Ländern erreichten sozialen und ökologischen Errungenschaften weichen müssen, schlug das Manifest mit seiner radikalen Perspektive selbst wie eine Bombe ein.

Bedenklich aber stimmt, daß man mit der Figur des Unabomber sich von einer grundsätzlichen Kritik an unserer Gesellschaftsform überheben will, die in vielem nur die Umkehrung des Determinismus der Technophilen darstellt und ansonsten die weit verbreitete amerikanische Ideologie der Frontier und des einzelnen verinnert hat. Auch der Unabomber denkt nicht politisch und glaubt, die "alten" rechten und linken Positionen der Industriegesellschaft hinter sich gelassen zu haben, wenn nur die Technik abgeschafft wird, ähnlich wie die Technophilen meinen, daß durch die Technik, etwa durch die Computernetze, unmittelbar eine neue, direkte Demokratie entstehen wird, die auf das Prinzip der Repräsentation verzichten kann. Bei aller Kritikwürdigkeit der demokratischen Verfahren und trotz der Schwächung demokratischer Organe, die stets an ein Territorium gebunden sind, durch die Globalisierung, wiederholen Technophobe und Technophile, zumal wenn man bei ihnen anarchistischen und liberalistisches Gedankengut ein unlösbares Amalgam eingegangen ist, den Fehler der großen revolutionären Bewegungen des 19. und 20. Jahrhunderts. Die Kritik am Staat, meist verbunden mit der an parlamentarischen Verfahren, und der Glaube, an ein übermächtiges System ausgeliefert zu sein, vereint trotz aller Differenzen Anarchisten, Kommunisten, Faschisten und Fundamentalisten jeder Art.

Der Unabomber und die "kalifornische Ideologie".

Menschliches Verhalten muß verändert werden, um sich den Bedürfnissen des Systems anzupassen. Das hat nichts mit einer politischen oder gesellschaftlichen Ideologie zu tun, die das technologische System steuert. Es ist der Fehler der Technologie, weil das System nicht durch Ideologie, sondern durch technische Zwänge gesteuert wird ... Die Revolution, die wir uns vorstellen, schließt nicht notwendigerweise einen bewaffneten Aufstand gegen jede Regierung ein. Sie kann oder kann nicht von Gewalt begleitet werden, aber auf jeden Fall wird sie keine politische Revolution sein. Ihre Zentrum liegt in der Technik und der Wirtschaft, nicht in der Politik.

Unabomber

Ebenso wie der Unabomber stets beharrlich darauf hinweist, daß er nicht politisch oder sozial motiviert ist, sondern einzig die Technik für die Quelle alles Übels ansieht, ist es heute gang und gebe geworden, von einer Revolution der digitalen Technologie zu sprechen, die alles verändern werde und mit der man zurechtkommen müsse. Tauscht man das Leitbild der "wilden Natur" und des einfachen Lebens als Hoffnungschiffren gegen den Cyberspace und den mit ihm verbundenen Utopien aus, so bleibt kein großer Unterschied. Auch der Unabomber kommt aus der kalifornischen Szene der alten, in den 60er Jahren trotz hochgerüsteter Musik meist gegen die Technik eingestellter Hippies, die aus den Städten flüchteten und die ökologischen Konsequenzen der Industriegesellschaft kritisierten.

Bald jedoch ist diese Szene in den Technorausch unter Weiterführung ihrer oft irrationalen Mystizismen abgekippt und hat dadurch ein anderes, nämlich positives Verhältnis zum Geld und zum Geschäft gefunden, mit dem sich auch die Industrie und die Konservativen à la Gingrich arrangieren konnten. Stets operiert man durch die krude Antinomie von Gesellschaft und Gemeinschaft, von Individuum und System - und glaubt, daß besonders die Struktur des verteilten Netzes der individuellen Freiheit einen neuen Schub geben könnte und daß sich dadurch ein Ausstieg aus der Komplexität der Massengesellschaft finden ließe.

Schon die psychedelische Szene der 60er Jahre mit ihrem Leitbild der Selbstverwirklichung sah in der Realität nur ein Konstrukt, das sich jeder Zeit beliebig durch Drogen oder Revolutionen verändern ließ. Nachdem psychedelische Drogen, Landleben, Kommunen, freie Liebe und Buckminster Fuller Dome sich als Sackgassen im Hinblick auf Gesellschaftsveränderung erwiesen haben, erschienen Computer plötzlich in einem anderen Licht und wurden zu einem neuen Weg in die Phantasiewelt, geprägt ebenso von anarchistischen Träumen des Ausstiegs wie von Ökotopia, Herr der Ringe und Science Fiction Szenarien. Nun erwartete man, wenn man nicht zu den Grünen konvertierte, letztlich eine mehr oder weniger gemäßigte Variante der Weltanschauung des Unabomber, die Revolution, wie Mark Dery süffisant in Escape Velocity anmerkt, nicht mehr aus der Aktivität von politischen Radikalen, sondern von den technologischen Durchbrüchen der kapitalistischen Visionäre, die ein kybernetisches Eden in Aussicht stellten. Schon die primitiven Computernetze ließen mit ihrer textbasierten Kommunikation die Bildung neuer Gemeinschaften und so einer Gegenkultur entstehen, wie sie beispielsweise Howard Rheingold in seinem Buch Virtuelle Gemeinschaften so rosig beschrieben hat.

Was auch immer geschehen mag, so ist gewiß, daß die Technologie für die Menschen eine neue materielle und soziale Umwelt schafft, die völlig verschieden von derjenigen ist, an die die natürliche Selektion den Menschen körperlich und geistig angepaßt hat. Wenn der Mensch dieser neuen Umwelt nicht durch eine künstliche ingenieursmäßige Transformation angepaßt wird, dann wird er es durch einen langen und schmerzvollen Prozeß der natürlichen Selektion. Doch ersteres ist viel wahrscheinlicher als letzteres. Es wäre besser, daß ganze verfaulte System zu zerstören und die Konsequenzen zu ziehen.

Unabomber

Einig sind sich die linken und rechten Netzutopiker beim Kampf gegen jede staatliche Regulierung. "Demassifying" ist das Losungswort. Gemeinsam ist ihnen auch, daß sie die sozialen Folgen bei der Einrichtung der Informationsgesellschaft nicht diskutieren. Individuelle Freiheit und Freiheit der Meinungsäußerung verbinden sich mit der Freiheit des Marktes. Vom Staat als einer Solidargemeinschaft, die den wirtschaftlichen Liberalismus kompensiert und den sozialen Frieden durch Ausgleich zu wahren versucht, hat man sich abgelöst. Richard Barbrook und James Cameron nennen diese seltsame, auch schon in Europa verbreitete Haltung der neuen virtuellen Klasse die kalifornische Ideologie.

Über die Verurteilung des Unabombers will man nicht nur die allgemeine Kritik an der Informationsgesellschaft lächerlich machen, sondern man führt auch einen Prozeß gegen die linken Intellektuellen und gegen die eigene Verwurzelung in der Szene der 60er Jahre, aus der einzig die Suche nach Selbstverwirklichung und Fun zusammen mit dem Glauben, Avantgarde und Gegenkultur zu sein, übrigblieben. Die schillernde und romantisierte Figur des Hackers, der an der technologischen Front steht und unerschrocken in die abgeschlossenen Bereiche der Macht eindringt, um die Information frei zirkulieren zu lassen, ist Vorläufer der Cyberpunks und der "virtuellen Klasse" der hochbezahlten Spezialisten und High-Tech-Firmengründer.

Verabscheuen Sie Computer? Ärgert Sie die fortgeschrittene Industriegesellschaft zutiefst? Suchen Sie einen Fahrradweg auf dem Information Superhighway? Luddites On-Line ist der einzige Ort im Cyberspace, der ausschließlich den Ludditen, Technophoben und anderen Flüchtlingen der Informationsrevolution gewidmet ist.

Luddites On-Line

Aber der Unabomber hat mit seinem Manifest auch die Maschinenstürmer wieder stärker ins Licht der öffentlichen Aufmerksamkeit geholt. Im Internet sei, so die New York Times, der Unabomber bereits ein Star.

Pathfinder hat eine Page für den Unabomber eingerichtet. Man kann erwarten, daß mit der Durchsetzung der Informationsgesellschaft und ihren teilweise verheerenden Folgen - duale Stadt, Arbeitslosigkeit, Verarmung von breiten Gesellschaftsschichten, zunehmende wirtschaftliche Konzentration etc. - auch der Widerstand gegen die virtuelle Klasse und gegen die Technologie, den technologischen Fortschritt und die technischen Utopien wächst. Selbst im Netz breitet sich die neue Stimmung aus, geht es um die Ludditen, bilden sich Fangruppen und ist sogar eine ironisch-anarchistische Bewegung entstanden, die den Unabomber als Präsidentschaftskandidaten nominieren will, um die Wahl zu karikieren, die nur eine Farce sei, weil das System zu mächtig ist, um anders verändert werden zu können.

Mit den Boys wie Clinton, Gingrich, Powell, Perot, Forbes, Dole, Gramm, Lugar, Alexander, Dornan, Keys etc. Ist nichts anzufangen: "Kann man sich überhaupt einen Kandidaten, eine Wahl oder eine Debatte vorstellen, die die wirklichen Fragen behandeln?" Der Unabomber hat wenigstens eine Vision, er würde, wenn gewählt, nicht Präsident werden und die Diskussion seiner Thesen hätte immerhin Unterhaltungswert. Und überhaupt ist er vertrauenswürdig.

"Die vom Unabomber gebrauchte Gewalt sollte ihn nicht für die Reflexion disqualifizieren. Seine Bereitschaft und seine Fähigkeit, Gewalt effektiv einzusetzen, um strategische politische Ziele zu erreichen, zeigen nur die entscheidenden Qualifikationen für einen Präsidenten. Schließlich ist Colin Powells EINZIGE Qualifikation seine Leistung als guter Killer. Niemand hat ihn einen Massenmörder genannt oder gesagt, er sehne sich nach Aufmerksamkeit. Keiner der Präsidentschaftskandidaten hat den Genozid des Golfkrieges verurteilt. ... Berufliche verursachte Tode und Krankheiten ... Gewalt? Tod durch Krebs, verursacht durch Toxine in der Luft, im Essen und am Arbeitsplatz ... Gewalt? Ein Mindestlohn, der weit unter der Armutsgrenze liegt, mit Hunger, Stress, Krankheit und frühem Tod als Folgen ... Gewalt? In den Medien wurde gerade die Rechtfertigung für den Bombenabwurf auf Hiroshima und Nagasaki wieder ausgearbeitet ... Gewalt? Terror?"

Und ein Geschäft will man auch mit dem Unabomber auf dem schnell vergänglichen Aufmerksamkeitsmarkt machen. Schon stehen die ersten beiden Bücher über Theodore Kaczynsky in der Warteschleife. Bei Pocket Books wird der pensionierte FBI-Beamte John Douglas zusammen mit einem Ghostwriter das Buch "Unabomber: On the Trail of America's Most-Wanted Serial Killer" schreiben, das bereits Ende April erscheinen soll. Und Nancy Gibbs wird bei Warner Books ihr Buch "Mad Genius: The Odyssey, Pursuit, and Capture of the Suspected Unabomber" im Mai veröffentlichen.