Meinungsfreiheit und das "Hausrecht" im Zeitalter des Internets

Seite 2: "Mein Haus, mein Hausrecht"

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Als Blogger seit über zehn Jahren auf dem Portal eines deutschen Verlags - der einem amerikanischen Verlag gehört, der wiederum zu einem deutschen Medienkonzern gehört - hatte ich schon so manche Diskussion über Zensurvorwürfe und Meinungsfreiheit im Internet. Ein beliebter Standpunkt war, dass ein Blogger in seinem Blog das Hausrecht habe, wie in seinem Wohnzimmer, und dort mehr oder weniger machen könne, was er wolle: Wenn Gäste die Diskussion stören oder sich nicht so verhalten, wie man sich das vorstellt, dann könne man eben ihre Beiträge löschen oder sie gleich ganz herausschmeißen.

Der Wohnzimmervergleich leuchtete mir nie so ganz ein, denn in mein Wohnzimmer lade ich ja nicht die ganze Welt ein. Ich schicke auch keine gutbezahlten Suchmaschinenoptimierer auf den Weg, damit meine Sofagarnitur möglichst gut gefunden wird. Damit der Vergleich stimmt, müsste es eher ein Wohnzimmer sein, zu dem die Tür permanent offen ist und draußen auch noch jemand steht und ununterbrochen ruft: "Kommen Sie herein!" Und, falls es ein Diskussionsforum gibt: "Diskutieren Sie mit!"

Wenn man sich so viel Mühe gibt, gesehen, besucht und gelesen zu werden, dann muss man auch damit umgehen können, wenn die Leute wirklich kommen und mitmachen. Leute, die mitunter andere Ansichten haben, als man selbst. Und diese auch äußern; vielleicht in einer anderen Form, als man es selbst täte. So ist der Mensch.

Deutliche Regeln

Der Wohnzimmervergleich hinkt also gehörig. Trotzdem ist die Sache mit dem Hausrecht aber nicht gänzlich aus dem Nichts gegriffen. Die Hausregeln sollten aber auch verständlich formuliert und einsehbar sein, wenn sie nicht so selbstverständlich sind, wie dass man beim Bäcker für seine Brötchen bezahlt. Ansonsten kann man es seinen Gästen auch nicht wirklich vorwerfen, wenn sie sich nicht daran halten.

Sprich: Auch mit den Besuchern eines Blogs kommt ein Vertrag zustande, insbesondere dann, wenn man ihnen die Gelegenheit gibt, die Beiträge zu kommentieren. Nun haben Verlagshäuser und in noch größerem Maße Konzerne wie Facebook ganze Rechtsabteilungen, die Nutzungsbedingungen formulieren. Das sind dann eben die berühmt-berüchtigten Dokumente, die wir in sekundenschnelle wegklicken.

"Marktplatz" im Internet

Dennoch kam mir in den alten Diskussionen schon der Gedanke, dass der Verweis aufs Privatrecht nicht die ganze Geschichte sein kann: Was wäre denn, wenn so gut wie alle Kommunikation eines Tages über private Kanäle stattfände, wenn also der traditionelle Marktplatz nur noch im virtuellen Raum existierte, auf den Servern von Privatunternehmen? Wer würde denn dann noch die für die Demokratie so wichtigen Grundrechte wie die Meinungs- oder Versammlungsfreiheit gewährleisten?

Dass die Grundrechte nicht unmittelbar zwischen Privatparteien gelten, ist ebenso eine Binsenweisheit, wie die Tatsache, dass man nicht über alles Verträge schließen kann: Man kann sich zum Beispiel nicht für jemanden versklaven. Nun gibt es zwar vielleicht Internetseiten, auf der sich "Sklaven" und "Herren" anbieten.

Der springende Punkt ist aber, dass niemand die Polizei einschalten könnte, um die Erfüllung so eines Sklavenvertrags zu erzwingen. Es handelt sich eher um Spiele oder Hobbys, denen manche Erwachsene nachgehen. Der Staat mischt sich also durchaus in die Vereinbarungen von Privatpersonen ein. Spätestens dann, wenn es zu Missverständnissen kommt, und jemand den Staat um Hilfe bittet.

Auch das (kommerzielle) Anbieten von Peepshows beschäftigte schon in den 1980ern das Bundesverfassungsgericht und wurde damals für sittenwidrig und mit der Menschenwürde unvereinbar befunden. Ähnlich entschieden bereits französische und deutsche Gerichte über das Zwergenwerfen als Jahrmarktsattraktion, das zeitweise in Australien und den USA populär war.

Nun ist Sittenwidrigkeit im Privatrecht, nämlich im § 138 des Bürgerlichen Gesetzbuchs, ausdrücklich genannt. Im ersten Absatz heißt es dort: "Ein Rechtsgeschäft, das gegen die guten Sitten verstößt, ist nichtig." Dafür braucht man also nicht erst das Grundgesetz zu bemühen.