Meinungsfreiheit und das "Hausrecht" im Zeitalter des Internets
Seite 3: Die "mittelbare Drittwirkung" von Grundrechten
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Allerdings gibt es auch einen indirekten Weg, auf dem Grundrechte in private Zusammenhänge eingreifen können. Juristen nennen dies die "mittelbare Drittwirkung" der Grundrechte, die ich am Beispiel von zwei Fällen diskutieren möchte: Der erste betrifft ein Stadionverbot, der zweite das Löschen eines Kommentars auf Facebook.
Im ersten Fall bekam ein damals Sechzehnjähriger Stadionverbot für Fußballspiele, weil er beim Mitlaufen in einer Ultra-Gruppe, aus der heraus Körperverletzungen und Sachbeschädigungen begangen worden waren, von der Polizei aufgegriffen wurde. Daraufhin wurde gegen den Mann ein Verfahren wegen Landfriedensbruchs eingeleitet. Das ereignete sich im Zusammenhang mit dem Spiel zwischen dem MSV Duisburg und dem FC Bayern München vom 25. März 2006.
Die Polizei teilte dem Duisburger Verein am 11. April 2006 den Vorgang mit und regte ein bundesweites Stadionverbot für den Mann an. Dies sprach der MSV Duisburg dann auch für den Zeitraum vom 18. April 2006 bis zum 30. Juni 2008 aus. Obwohl das Strafverfahren gegen den Betroffenen am 27. Oktober 2006 wegen Geringfügigkeit eingestellt wurde, hielt der Fußballverein das Verbot aufrecht. Es kam sogar noch schlimmer: Der FC Bayern München schloss den Mann gänzlich dem Verein aus und kündigte auch dessen Jahreskartenabonnement.
Weg durch die Instanzen
Der junge Fußballfan wandte sich daraufhin an das Amtsbericht Duisburg (Urteil vom 13. März 2008), das dortige Landgericht (20. November 2008) und schließlich sogar den Bundesgerichtshof (30. Oktober 2009). In allen Instanzen scheiterte er: Die Gerichte bestätigten, dass die Stadionbetreiber hier rechtmäßig ihr Hausrecht ausgeübt hätten. Dabei komme es nicht darauf an, dass dem Mann tatsächlich eine Straftat nachgewiesen wurde. Der Verdacht, ein Störer zu sein, reiche bereits aus.
Daraufhin schaltete er mit seinem Anwalt das Bundesverfassungsgericht ein: Es gehe hier nicht bloß um einen normalen Vertrag, sondern wegen der überragenden sozialen Bedeutung und des öffentlichen Stellenwerts des Fußballs seien auch die Grundrechte betroffen, nämlich vor allem das aus Artikel 2, Absatz 1 im Zusammenhang mit Artikel 1, Absatz 1 GG abgeleitete allgemeine Persönlichkeitsrecht. Ein besonderer Kritikpunkt war auch, dass man ihm wenigstens eine Anhörung hätte anbieten müssen, damit er das Missverständnis habe aufklären können.
Fall fürs Bundesverfassungsgericht
Das Bundesverfassungsgericht entschied den Fall nun am 11. April 2018, also genau zwölf Jahre(!) nach der Mitteilung durch die Polizei an den Fußballverein. Dafür hatte auch der Deutsche Fußball-Bund eine Stellungnahme eingereicht, dass es sich um eine private Ausübung des Hausrechts und um keinen Fall für das Verfassungsgericht handle. Diesen Punkt verneinten die Richter aber, weil die Möglichkeit der Grundrechtsverletzung des Mannes hinreichend dargelegt worden sei und die Umstände auch noch lange nach Auslaufen des Stadionverbots das Ansehen des Mannes schädigen könnten.
In der Sache gaben Sie dem Fußballfan aber unrecht. Dabei folgten die Verfassungsrichter jedoch nicht dem Argument, das auf das Ausüben des Persönlichkeitsrechts abzielte, sondern verglichen die ebenfalls grundgesetzlich gesicherte Eigentumsgarantie der Stadionbetreiber mit dem Schutz vor willkürlicher Ungleichbehandlung nach Artikel 3, Absatz 1 GG: "Alle Menschen sind vor dem Gesetz gleich." Daraus ergebe sich ein Schutz vor willkürlicher Ungleichbehandlung.
Die "Ausstrahlung" des Grundrechts ins Privatrecht, wie es in Rechtssprache so schön heißt, begründeten die Richter dabei wie folgt:
Maßgeblich für die mittelbare Drittwirkung des Gleichbehandlungsgebots ist dessen Charakter als einseitiger, auf das Hausrecht gestützter Ausschluss von Veranstaltungen, die aufgrund eigener Entscheidung der Veranstalter einem großen Publikum ohne Ansehen der Person geöffnet werden und der für die Betroffenen in erheblichem Umfang über die Teilnahme am gesellschaftlichen Leben entscheidet. Indem ein Privater eine solche Veranstaltung ins Werk setzt, erwächst ihm von Verfassung wegen auch eine besondere rechtliche Verantwortung. Er darf seine hier aus dem Hausrecht - so wie in anderen Fällen möglicherweise aus einem Monopol oder aus struktureller Überlegenheit - resultierende Entscheidungsmacht nicht dazu nutzen, bestimmte Personen ohne sachlichen Grund von einem solchen Ereignis auszuschließen.
1 BvR 3080/09, Rn. 41
Keine willkürliche Ungleichbehandlung
Mit anderen Worten: Die Stadionbetreiber können nicht erst alle zum Fußballgucken einladen und dann willkürlich Personen den Zugang verbieten, insbesondere weil dem Fußball eine gesellschaftliche Bedeutung zukommt. Dafür bedarf es schon eines besonderen Grunds und nicht etwa: "Weil mir dein Gesicht nicht gefällt!"
Soweit kamen die Richter dem Mann also entgegen. In letzter Konsequenz scheiterte er jedoch mit seiner Verfassungsbeschwerde: Die Verfassungsrichter fanden den Verdacht, dass von ihm eine Gefahr ausgehe, nämlich schlicht schon aufgrund der Tatsache als geben, dass er mit den Ultras mitgelaufen war.
Das stelle "einen auf Tatsachen beruhenden Anfangsverdacht" dar, der für das Stadionverbot reiche, zumal den Fußballvereinen bei laufenden Verfahren regelmäßig keine endgültigen Ermittlungserkenntnisse vorliegen würden. Das gelte selbst dann noch, wenn das Verfahren später wegen Geringfügigkeit eingestellt werde.
Den Punkt mit dem Anhörungsrecht behandeln die Richter noch kurz am Rande: Zwar hätte man den Mann wohl vorsprechen lassen müssen, als er um die Überprüfung des Verbots bat. Die Regeln der Stadionbetreiber seien inzwischen aber bereits in diesem Sinne angepasst und der Fußballfan habe immerhin in den zivilrechtlichen Verfahren die Möglichkeit gehabt, sich zu dem Stadionverbot zu äußern. Kurzum: Das zwölfjährige Klagen, nachdem er als Jugendlicher einmal in einer gewalttätigen Gruppe erwischt worden war, hat ihm gar nichts gebracht.
Logik der Instanzen
Das Urteil erweckt in mir den Eindruck, dass man die Sache so zwar sehen kann, dass man dem Mann aufgrund des vagen Verdachts und seines jungen Alters aber auch etwas hätte entgegenkommen können. Er konnte sich im Weg durch die Instanzen noch nicht einmal damit durchsetzen, das Verbot wenigstens nur auf Duisburg einzuschränken und nicht für das ganze Land gelten zu lassen. Und das, obwohl er als 16-Jähriger die Folgen seines Mitlaufens bei den Gewalttätern wohl noch nicht so gut abschätzen konnte.
Manchmal ist es aber auch schlicht so, dass die Instanzen - hier: die Fußballvereine, Stadionbetreiber, Polizei, Staatsanwaltschaft und Gerichte - zusammenhalten, wenn erst einmal eine Entscheidung getroffen wurde. Dann liegt die Hürde besonders hoch und würde eine Änderung der Entscheidung implizieren, dass jemand einen Fehler gemacht hat: dass die Einschätzung der Polizei falsch war, dass die Staatsanwaltschaft vorschnell gehandelt hat, dass der Verein den Fall nicht gut geprüft hat.