Mexiko: Überraschende Einigung der Linken

Seite 3: Abkehr von demokratischen Prinzipien

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Im Jahr 1996 gewann Andrés Manuel Lopez Obrador den Parteivorsitz und spielte vom ersten Tag an eine widersprüchliche Rolle. Auf der einen Seite bezog sich der charismatische Politiker in seinem radikalen Diskurs sehr auf soziale Forderungen, die soziale Bewegung und insbesondere auf die kleinbäuerliche Bewegung seines Heimatstaates Tabasco. Auf der anderen Seite verkündete der Politiker, zugleich Anhänger einer evangelischen Freikirche, einen "neuen Pragmatismus".

Der ebenfalls frisch gewählte Generalsekretär Jesus Ortega - ansonsten aber ein politischer Kontrahent von Lopez Obrador - entwickelte diesen Ansatz weiter und setzte fortan auf Wahlallianzen mit der erzkatholischen "Partei der Nationalen Aktion" (PAN); die PRD war nur wenige Jahre nach ihrer Gründung auf dem Weg eine "Partei wie die anderen" zu werden, ein gutes Stück voran gekommen und das bedeutete in Mexiko, einem Land, in dem die Politik von Betrug und Korruption geprägt ist, keine gute Nachricht. Dennoch stand die junge Partei noch vor wichtigen Erfolgen: Bei der ersten demokratischen Wahl zum Bürgermeister von Mexiko-Stadt (zuvor wurde der Stadtregent vom Präsidenten ernannt) gewann Cuauhtémoc Cárdenas für die PRD. Bis heute ist die Hauptstadt PRD-Hochburg.

In Hinblick auf demokratische Prinzipien ist das Verhalten der PRD widersprüchlich. Auf der einen Seite war es der gemeinsamen Anstrengung von PRD und PAN zu verdanken, dass 1999 mit dem IFE erstmals ein unabhängiges Wahlinstitut aus der Taufe gehoben wird, welches den Wahlsieg des ersten Nicht-PRI-Präsidenten im Jahr 2000 ermöglichte. Innerparteilich wurde aber das höchst umstrittene Instrument der "Befragung” durch kommerzielle Meinungsforschungsinstitute eingeführt, welche innerparteiliche Wahlen, Urabstimmungen oder Befragung der Sympathisanten an der Wahlurne ablösten. Ein schwerer Schlag gegen die Glaubwürdigkeit der PRD ist ein Korruptionsskandal im Jahr 2004: Der PRD-Politiker René Bejarano (Ehemann der amtierenden Generalsekretärin Dolores Padierna) wird bei der Annahme von Millionen US-Dollar Bestechungsgeld gefilmt.

Heute stellt die PRD nur noch in fünf (nach der Regierungsübergabe in Michoácan an die PRI Anfang 2012 werden es nur noch vier sein) der 32 Bundesstaaten den Gouverneur. Alle fünf dieser Spitzenpolitiker haben zuvor in der PRI Karriere gemacht, in den meisten Fällen wechselten sie erst 2010 oder 2011 zur PRD, was als Beleg für die Beliebigkeit der Partei gewertet werden darf.

Eine Gegentendenz zu dieser Logik läutete Andrés Manuel Lopez Obrador indes bereits vor über zehn Jahren nach seiner Wahl zum Bürgermeister von Mexiko-Stadt im Jahr 2000 (bis zu seinem Rücktritt 2005) ein: Soziale Rechte wurden per Gesetz verbrieft, eine neue autonome Universität sowie 16 Gymnasien gegründet, samt Stipendien für Kinder aus Arbeiterfamilien. Diese Leistungen unterschieden sich fundamental von dem, was Regierungschefs von Bundesstatten bis dato gemacht haben und so erreichte der Politiker eine Beliebtheit, die ihn in Umfragen zum aussichtsreichsten Präsidentschaftskandidaten machen. Für seine Kandidatur bei den Wahlen im Juli 2006 legte er 2005 sein Bürgermeisteramt nieder.

Die Ära Fox

Die Hoffnung auf einen demokratischen Wandel in Mexiko durch die Bildung einer Regierung ohne die PRI hatte im Jahr 2000 auch dazu geführt, dass viele linke Stammwähler für Vincente Fox, den Ex-Coca-Cola-Manager und Kandidaten der erzkonservativen PAN, votierten. Doch diese Hoffnung blieb unerfüllt.

Mit schmutzigen Tricks und Kampagnen versuchten Präsident Fox und die Massenmedien die Präsidentschaftskandidatur von Lopez Obrador 2006 zu vereiteln. Das gelang ihnen zwar nicht, aber zahlreiche Indizien deuten darauf hin, dass die PAN 2006 das wiederholte, was die PRI 1988 getan hatte: Dem siegreichen Kandidaten der Linken den Sieg durch Wahlbetrug zu stehlen (Obrador gibt nicht auf, Calderón auf dem Weg zum Präsidentenamt in Mexiko). Das umstrittene offizielle vorläufige Ergebnis machte den PAN-Politiker und Technokraten Felipe Caldéron mit 0,54 Prozent Vorsprung zum Sieger, einem Ziehkind der spanischen Volkspartei PP. Eine Nachzählung der Stimmen lehnten Calderón und das Wahlinstitut IFE ab, bis heute gibt es kein offizielles Endergebnis der Präsidentschaftswahlen von 2006.

Lopez Obrador übernimmt die Führung einer sozialen Bewegung, deren Hauptforderung das Nachzählen der Stimmzettel ist, 42 Tage lang besetzen hundertausende Mexikaner das Zentrum der Hauptstadt. Und er scheitert damit wie mit seiner Ausrufung als "legitimer Präsident" (Spannung steigt in Mexiko). Wichtige Faktoren dafür waren der Mangel an Organisation in anderen Bundesstaaten, fehlende Annährung an andere wichtige soziale Bewegungen und vor allem die Halbherzigkeit beim Aufruf zum "zivilen Ungehorsam". Zum Beispiel hätte ein organisierter Boykott das Medienimperium von Televisa – ein Grundpfeiler des Wahlbetruges – zum Einknicken bringen können”, analysiert Francisco Saucedo. Die Bewegung bricht nach der freiwilligen Räumung des Zocalo für die Militärparade zum Nationalfeiertag am 16. September zusammen. In der Folge spitzen sich die Widersprüche in der PRD weiter zu. Nach einem skandalösen parteiinternen Wahlbetrug wird der Verfechter von Allianzen mit der PAN Jesus Ortega ausgerechnet von dem Wahlgericht zum Parteivorsitzenden ernannt, welches den Wahlbetrug gegen Lopez Obrador geschehen ließ. Innerhalb der Partei verlieren Lopez Obrador und seine Unterstützer fast jede Position. In Staaten wie Oaxaca oder Puebla geht die PRD nicht nur Allianzen mit der PAN an, sondern übernimmt sogar gemeinsam Regierungsverantwortung. Diese Allianzen bremsten zwar den Siegeszug der PRI etwas ab (und im Fall von Oaxaca gelang es den verhassten Gouverneur Ulises Ruiz Ortiz aus dem Amt zu jagen), aber bei den Teilwahlen zum Parlament im Juli 2009 fällt die PRD von 29 auf knapp 13 Prozent der Wähler und verliert strategisch wichtige Bundesstaaten wie die Gouverneurswahlen im November 2011 in der einstigen Hochburg Michoácan. Die Außenwahrnehmung der PRD war fatal. Bei den Wahlen befand sie sich im Dauertief, nationale Umfragen sahen sie nach PRI und PAN mit nur knapp 20 Prozent auf Platz Drei in der Wählgunst abgeschlagen. Lopez Obrador hatte sich von der PRD abgewandt und mit Morena seit Ende 2010 begonnen, seine eigene Bewegung aufzubauen. Es schien sogar denkbar, dass es mit Lopez Obrador für die PT und den amtierenden Bürgermeister von Mexiko-Stadt, Marcelo Ebrard, als "offiziellen" PRD- Kandidaten zwei konkurrierende linke Präsidentschaftsanwärter bei den Wahlen am 1. Juli 2012 geben könnte.

Eher mit Sorge als mit Spannung betrachteten die Anhänger von Lopez Obrador und Ebrard das Ergebnis der "Trendumfrage" Mitte November 2011 durch ein Meinungsforschungsinstitut. Der beliebtere solle als Kandidat der PRD antreten, hieß es. Unbekannt ist das wirkliche Ergebnis dieser Umfrage bis heute, genau wie die Umstände ihrer Durchführung. Es wirkte dann auch wie ein einstudierter Akt einer Wahlkampagne, als die beiden Kontrahenten am 15.11. strahlend vor die Kameras traten und das Ergebnis anerkannten. Lopez Obrador habe die Umfrage knapp gewonnen, heißt es. Und dann die bereits erwähnte überraschende Ankündigung von Wahlbündnis und Parteienfusion.