Spannung steigt in Mexiko
Am Montag lässt sich der Kandidat der Linkskoalition Obrador als Gegenpräsident einsetzen. Die offizielle Vereidigung des knappen Wahlgewinners Calderón als Regierungspräsident soll verhindert werden
Es ist scheinbar still geworden um den umstrittenen Wahlausgang in Mexiko. Der Blick richtete sich derweil eher auf die Versuche der Zentralregierung den Widerstand der Streikbewegung im Bundesstaat Oaxaca gewaltsam zu brechen. Doch am 20. November, dem Jahrestag der Revolution von 1910, lässt sich der Kandidat der Linkskoalition Andrés Manuel López Obrador (AMLO) in der Hauptstadt zum "legitimen Präsidenten" ausrufen. Er hat seine Anhänger auch dazu aufgerufen, die offizielle Vereidigung des Konservativen Felipe Calderón zum Regierungschef am 1. Dezember zu verhindern. Die brutalen Einsätze, die der Noch-Präsident Vicente Fox im Bundesstaat Oaxaca befohlen hat, erreichten ihr Ziel nicht. Sie führten eher dazu, den Widerstand zu einen. So stützt nun die Linkskoalition den Widerstand in Oaxaca und dort beteiligt man sich mit einer Delegation an der Ernennung von Obrador.
Am 20. November, dem 96. Jahrestag der mexikanischen Revolution, wird es wieder eine der großen Kundgebungen geben, wie sie die mexikanische Hauptstadt seit den Wahlen vom 2. Juli etliche gesehen hat. Erneut machen die Anhänger der Linkskoalition "Für das Wohl aller" mobil, hinter der federführend die "Partei der Demokratischen Revolution" (PRD) steht. Sie demonstrieren nicht nur gegen den behaupteten "Wahlbetrug" (Calderón auf dem Weg zum Präsidentenamt in Mexiko), sondern setzen dann ihren Kandidaten öffentlich zum Gegenpräsidenten ein. Das geschieht, bevor der mit knapper Mehrheit offiziell zum Wahlsieger ernannte Calderón am 1. Dezember das Amt vom Vorgänger und Parteifreund Fox übertragen bekommt.
Dieses Vorgehen wurde von einem "Nationalen Demokratische Konvent" Mitte September auf dem zentralen Platz in Mexiko beschlossen. Auf und um dem "Zócalo" herum hatten sich mehr als eine Million Menschen versammelt, um per Handzeichen Obrador ihre Unterstützung zur Bildung einer "parallelen Übergangsregierung" zu versichern. Nun nimmt die linke Opposition den massiven Widerstand gegen den von zahlreichen Anomalien begleiteten Wahlsieg von Calderóns "Partei der Nationalen Aktion" (PAN) wieder auf.
"Es ist keine symbolische Regierung", bekräftigte Obrador, der sich auch gegen den Begriff Schattenkabinett wandte, zu dem er sechs Frauen und sechs Männer ernannt hat. Es sind vorwiegend Vertraute, mit denen er bis 2005 die Hauptstadt als Bürgermeister regierte. Es werde eine aktive Regierung sein, "um die gerechtfertigten Angelegenheiten der mexikanischen Bevölkerung und ihre nationalen Besitztümer zu verteidigen", kündigte er an.
Doch bei der Einsetzung der Gegenregierung soll es nicht bleiben. Die Führung der PRD hat Calderón aufgefordert, davon Abstand zu nehmen, das Amt am 1. Dezember von Fox zu übernehmen. Bei der Aufforderung können es die Gegner von Calderón aber nicht belassen, wenn sie selbst Anspruch auf die Regierung anmelden. Die Führung der PRD hat auf einem Treffen nun die Entscheidung bestätigt, die Amtseinführung Calderóns zu verhindern.
Geplant ist, "die gesamte Energie der Bewegung" in Widerstandstagen zwischen dem 20. November und dem 1. Dezember zu bündeln, um die "Usurpation" der Macht zu verhindern. Proteste soll es im und um das Parlaments von San Lázaro herum geben. Darin hat die PRD Übung. Im September verhinderte sie, dass Präsident Fox seinen Rechenschaftsbericht im Parlament ablegen konnte.
Die verschiedensten Modelle werden nun diskutiert, wie Calderón trotz der Proteste Präsident werden kann. Die Unternehmensvereinigung (CCE) würde das Problem gerne polizeilich lösen. Die Blockade der Amtsübernahme dürfe nicht hingenommen werden, sagte der CCE-Präsident José Luis Barraza. Gegen die Proteste müsse das ganze Gewicht des Gesetzes zum Einsatz kommen: "Wir lehnen es ab, dass weiterhin Gruppen auf dem Weg der Anarchie und gegen die Institutionen wandeln und dürfen das natürlich nicht erlauben". Barraza ist auch dagegen, den Ort der Zeremonie zu verlegen, was als Alternative überlegt wird. Das verbiete die Verfassung, wonach die Vereidigung vor dem Kongress zu geschehen habe, erklärte er und fügte an, die Mexikaner dürften sich nicht denen beugen, welche eine "Ungewissheit" erzeugen wollten.
Der Einsatz der Polizei und des Militärs gegen Hunderttausende in der Hauptstadt könnte die Lage eskalieren, denn bisher blieben die Proteste hier weitgehend friedlich. Gescheitert ist dagegen der Versuch, die Widerstandsbewegung im Bundesstaat Oaxaca polizeilich-militärisch zu zerschlagen (Blutige Lösung in Mexiko). Die gleichnamige Hauptstadt wurde seit Juni weitgehend von der "Volksversammlung der Völker Oaxacas" (APPO) kontrolliert. Der Konflikt hatte sich am Streik der Lehrergewerkschaft entwickelt. Die tödlichen Angriffe auf streikende Lehrer hatten erst dazu geführt, dass sich immer breitere Kreise der Bevölkerung dem Widerstand angeschlossen haben und den Rücktritt von Gouverneur Ulises Ruiz Ortiz von der "Partei der Institutionellen Revolution" (PRI) fordern. Die ehemalige Staatspartei regierte Mexiko bis 2000 rund 71 Jahre lang mehr oder weniger autokratisch, Oaxaca bis heute.
In Oaxaca gehen die Proteste weiter
Die Zentralregierung unter Fox sprang Ende Oktober dem in Not geratenen Autokraten bei und schickte paramilitärische Einheiten. Obwohl die Stadt nun von ihnen militärisch besetzt ist, führen die Aufständischen ihre Proteste fort. Die Kontrolle über die Universität haben die Sicherheitskräfte noch immer nicht. Der brutale Angriff auf das Radio Universitario wurde Anfang des Monats abgewehrt.
Nun setzt die Zentralregierung offenbar wieder auf eine friedliche Lösung dieses sozialen Konfliktes, den sie sonst nur über ein Massaker im PRI-Stil der 1960er Jahre in den Griff kriegen könnte. Dass bei einem Konflikt, bei dem es ursprünglich um bessere Arbeitsbedingungen und Bezahlung ging, bisher siebzehn Menschen ihr Leben verloren haben, hat den Widerstand nicht gebrochen. Die meisten der Toten waren Aktivisten der Volksversammlung, die von paramilitärischen PRI-Gruppen ermordet worden seien, erklärten Menschenrechtsorganisationen. Sie sprechen von etwa 60 verhafteten Menschen, deren Verbleib weiter unbekannt ist.
So gibt die Zentralregierung nach der gescheiterten Intervention die Verantwortung wieder an Gouverneur in Oaxaca ab. Er solle beweisen, dass er den Bundesstaat regieren kann oder sein Amt abgeben, forderte ihn das Bundesinnenministerium derweil auf. Die Bundesregierung drohte ihm, in absehbarer Zeit die Polizeikräfte wieder abzuziehen.
Damit ist klar, dass Noch-Präsident Fox mit dem Ansinnen scheiterte, seinem Parteifreund Calderón das Problem Oaxaca noch vor der Amtsübergabe vom Hals zu schaffen. Damit sollte verhindert werden, dass sich Calderón schnell die Hände schmutzig machen muss. Das geschah auch im Hinblick darauf, dass eine Regierung unter Calderón die PRI im Parlament als Mehrheitsbeschaffer braucht, weil die PAN keine eigene Mehrheit hat.
Doch erreicht hat Fox mit seinem Vorgehen nur, dass sich die Widerstandsbewegungen in Oaxaca und die gegen die Amtseinführung von Calderón nun auf einander zu bewegt haben und sich gegenseitig unterstützen. Tausende demonstrierten auch in Hauptstadt gegen die Angriffe in Oaxaca. Am Montag wird eine Abordnung der APPO an der Einsetzung der Gegenregierung von Obrador in der Hauptstadt teilnehmen und dessen linksliberale PRD beteiligt sich nun auch offiziell an der Volksversammlung in Oaxaca.
Die APPO hat vergangene Woche einen wichtigen Schritt getan. Knapp 1000 Vertreter von Gewerkschaften, indigener und sozialer Organisationen, welche die Volksbewegung bisher getragen haben, trafen sich in Oaxaca zu einem konstituierenden Kongress. Dabei wurde ein Nationaler Rat gegründet, an dem sich 260 Organisationen beteiligen. Der soll die Volksversammlung in eine politische Organisation überführen. Der Kongress hat auch beschlossen, die Proteste wieder zu verstärken und erneut Blockaden der Stadt durchzuführen. So ist auch in Oaxaca mit einer Zuspitzung der Lage zwischen dem 20. November und dem 1. Dezember zu rechnen. Vergangene Woche haben tausende Menschen dort verhindert, dass der Gouverneur dem Regionalparlament Berichte erstattet. Ab dem 25. November soll die historische Altstadt von Oaxaca belagert werden, um es den Bundestruppen (PFP) unmöglich zu machen "hinein oder heraus zu kommen". Damit soll der Abzug der PFP erzwungen und weiter Druck für den Rücktritt von Ruiz Ortiz gemacht werden. Der aber stellt sich weiter stur und machte erneut sein eigentümliches Verständnis von Demokratie deutlich: "Nur Gott setzt Gouverneure ein oder ab", sagte er.
Widerstand ganz anderer Art gegen die Politik der Regierung manifestierten Guerillagruppen am 6. November in der Hauptstadt. Von den drei Bombenanschlägen distanzierte sich die APPO genauso wie die PRD. Fünf Guerillagruppen haben sich zu den untereinander koordinierten Anschlägen auf das oberste Wahlgericht, den Hauptsitz der PRI und in einer kanadischen Bank bekannt und sie auch mit der Repression in Oaxaca begründet. Insgesamt waren acht Bomben gelegt worden, von denen fünf gefunden und entschärft wurden. Angekündigt wurden weitere Aktionen gegen insgesamt 40 multinationale Unternehmen und Institutionen, die "den Staatsbetrug" finanziert und durchgeführt hätten und hinter der "institutionalisierten neoliberalen Gewalt" stünden, die auf dem Volk von Mexiko laste.