Missernten und politische Konflikte: Migration hat eine Vorgeschichte

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Historische Gründe, warum Menschen ihr Land verlassen und sich etwas Besseres gesucht haben. Unser Autor erweitert den Blick auf eine Debatte, die immer enger gezurrt wird.

Die Migration wird vielfach als neue Erscheinung angesehen, die es zu bekämpfen gilt, dabei sind Wanderungsbewegungen lang zurückreichende, gleichsam traditionelle und situativ folgerichtige Reaktionen in der Entwicklung der menschlichen Besiedelung der Erde.

Der Ursprung der Menschheit liegt wohl in Afrika. Friedemann Schrenk vom Senckenberg Forschungsinstitut in Frankfurt am Main geht davon aus, dass der aufrechte Gang der Menschen vor rund sieben Millionen Jahren entstanden ist.

Wiege der Menschheit im Allgäu?

Wo genau die Wiege der Menschheit stand, ist eine Frage, welche bis heute nicht endgültig beantwortet wurde. Inzwischen sucht auch Deutschland nach Spuren, die einen Hinweis darauf geben könnten, dass zumindest eine Wiege der Menschheit im Allgäu stand. Diese Annahme erscheint jedoch durchaus gewagt.

Die Idee des ″out-of-africa″ herrscht bis heute vor. Nach dieser Vorstellung verbreitete sich der Homo erectus bereits vor mehr als 1,5 Millionen Jahren von dort aus in Europa und Asien auf der Suche nach besseren Lebensbedingungen.

Vor der Entwicklung von Zäunen und Staatsgrenzen musste man sich nur in den natürlichen Gegebenheiten zurechtfinden und mit der Tierwelt arrangieren und lernen, welche Früchte verzehrbar sind und welche nicht.

Großräumige Migration findet man auch in Fernost, wo Teile der mongolische Bevölkerung aus der Zeit Dschingis Khans nach Südostasien wanderten, bis sie am Golf von Thailand gestoppt wurden. Eine Besiedelung der Inseln vor der Küste gelang ihnen offensichtlich nicht mehr.

Auswanderung der Iren

In den Jahren 1845 bis 1849 verfaulten in Irland die Kartoffeln auf den Äckern und zerstörten die Lebensgrundlage vieler Menschen. Eine gewaltige Hungersnot halbierte die Bevölkerungszahl innerhalb weniger Jahre. Ursache war ein Pilz namens "Phytophthora infestans".

1842 hatte sich der Erreger von den USA aus verbreitet und nach West- und Mitteleuropa übergegriffen. 1845 trat "Phytophthora" erstmals in großem Ausmaße auf irischen Feldern auf. Hilflos mussten die Bauern zuschauen, wie die gesamte Ernte vernichtet wurde. Was man vor dem Pilzbefall retten konnte, war unreif und viel zu klein.

Schätzungsweise eine Million Iren verhungerte, weitere ein bis zwei Millionen wanderten in den folgenden Jahren aus. Ziele waren Kanada, Australien und die USA. Bis 1920 waren fünf Millionen Iren ausgewandert.

Die Jahre zwischen 1845 und 1849 sind unter dem Namen ″The Great Famine″ in der irischen Geschichte noch sehr präsent. Zum Zeitpunkt, als die Republik Irland der EU beitrat, lebten mehr Iren außerhalb Irlands als in ihrem Heimatland.

Dass die englischen Landlords den kläglichen Rest der Kartoffelernte ebenso wie die normal ausgefallene Weizenernte nach England exportierten, weil die Iren kein Geld mehr hatten, Mehl und Brot zu kaufen und aus England keine Hilfe kam, sorgte für den Unmut der Iren und für ihren Aufstand sowie die Staatsgründung im Süden.

Der immer wieder aufflammende Konflikt im Norden der Insel ist eine Folge der englischen Kolonialisierung und wurde erst mit dem Beitritt beider Länder zur EU gemildert. Seit dem Brexit schwebt das Schwert des Damokles jedoch wieder über dem eingefrorenen Konflikt.

Auswanderung aus süddeutschen Realteilungsgebieten

Hungersnöte im Südwesten der heutigen Bundesrepublik und die rechtlichen Rahmenbedingungen, die armen Menschen kein Bürgerrecht zugestanden, weil sie es nicht kaufen konnten und in der Folge auch nicht heiraten durften, sorgte im 19. Jahrhundert für einen massiven Auswanderungsdruck.

Bis heute sind die Auswanderer in die USA wirtschaftlich am erfolgreichsten. Wer nach Algerien auswanderte, konnte sich dort langfristig nicht halten. Eine Rückkehr in seinen Heimatort wurde ihm jedoch in den meisten Fällen verwehrt und die Geschichtsforschung hat an diese gescheiterten Existenzen bis heute kein Interesse.

Da hatten die Auswanderer, die sich in Colonia Tovar in Venezuela ansiedelten, mehr Glück. Teile der Nachfahren der damaligen Auswanderer kehren jetzt aufgrund der nicht zuletzt durch die US-Sanktionen beförderten Wirtschaftskrise wieder nach Deutschland zurück.

Andere hoffen, dass die USA inzwischen andere Länder glauben dringender sanktionieren zu müssen und wieder mit Venezuela ins Gespräch kommen werden.

Strafkolonien in Australien

Nicht alle Auswanderer machten sich aus mehr oder weniger freiem Willen auf den Weg in fremde Länder. Oftmals waren militärische Expeditionen der Anfang der Kolonialisierung. Solange die Zielländer nicht so organisiert waren wie heute, war das häufig zulasten der damaligen Zielregionen möglich.

Dieses Kapitel ist für Deutschland in Bezug auf Namibia und die dort angerichteten Gräueltaten bis heute nicht wirklich aufgearbeitet.

Im 18. Jahrhundert verlor die britische Krone ihre Kolonien in Nordamerika. Diese wurden zuvor auch als Strafkolonien genutzt. Nun musste ein neuer Ort für die Strafgefangenen gefunden werden.

Seit 1788 nutzte London dann Australien als Sträflingskolonie. Zudem sollen die Kriminellen den Kontinent für die Krone erschließen.

Die folgende Geschichte Australiens wird gerne verdrängt. Zuletzt zeigte sich diese Verdrängung in der Volksabstimmung, welche den Ureinwohnern Australiens mehr Rechte zugestehen sollten. Diese Idee wurde jedoch rundum abgelehnt.

Migration der Hugenotten

Die vielfach als reformierte Konfessionsmigration bezeichnete Wanderungsbewegung der Hugenotten.

Der Name wird heute mehrheitlich auf ein Gespenst namens ″Roi Hugo″ in den Straßen von Tours zurückgeführt, die auf die nächtlichen und heimlichen Treffen der französischen Protestanten im frühen 16. Jahrhundert verweist.

Von 1560 bis 1760 hat die Wanderung der Hugenotten über zweihunderttausend Menschen betroffen, die aus Treue zu ihrem Glauben den Weg ins Exil gewählt hatten.

In Deutschland ging den Hugenotten der Ruf voraus, wirtschaftlich besonders erfolgreich zu sein und so bemühten sich mehre Landesherrscher um die Ansiedelung dieser Erfolgsmenschen.

Zu den Regionen, wo die Hugenotten willkommen geheißen wurden, zählte Erlangen sowie das heutige Brandenburg, wo zahlreiche Bürger auf hugenottische Einwanderer zurückgehen.

Vertreibung der Deutschen aus Ostpreußen und der Tschechoslowakei

Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde die deutschstämmige Bevölkerung enteignet und sowohl aus Ostpreußen als auch aus der Tschechoslowakei vertrieben. Grundlage für die Vertreibung waren die am 19. Mai 1945 erlassenen Beneš-Dekrete.

Bereits im Exil hatte Edvard Beneš sich vorgenommen, die Deutschen aus der Tschechoslowakei auszuweisen, nachdem in Böhmen und Mähren Tausende von Tschechen durch NS-Terror umgekommen waren. Als Staatspräsident setzte er die Pläne um.

In Görlitz sorgte diese Zuwanderung zu einem Zusammenbruch der Lebensmittelversorgung. In der DDR sorgte die Ansiedelung von Flüchtlinge aus der Saatzer Hopfenregion zur Entstehung von Hopfenkulturen im sogenannten Elbe-Saale-Winkel.

1,9 Millionen Vertriebene landeten in Bayern, wo sie niemand willkommen rief. Sie wurden teilweise in Barackenlagern und vielfach zwangsweise in ländlichen Bauernhöfen einquartiert.

Ganze Stadtteile wie Neugablonz wurden für die Zuwanderer errichtet, die dort ihre mitgebrachten handwerklichen Talente wieder nutzen konnten. Für den damals noch stark agrarisch geprägten Freistaat Bayern war die Zuwanderung letztlich ein Glücksfall auf dem Weg zur Industrialisierung.