Experten warnen: Droht uns das Zeitalter der Entvölkerung und gesellschaftlicher Erosion
Integration bleibt Herausforderung. Experten weisen auf Probleme hin. Doch was macht die Eingliederung von Migranten so schwierig? (Teil 3 und Schluss)
Die New York Times brachte Anfang Oktober eine Analyse des US-amerikanischen Ökonomen Nicholas Eberstadt, der eine neue historische Ära auf uns zukommen sieht, die er das Zeitalter der Entvölkerung nennt. Nach Jahrzehnten enormen Wachstums habe, so hieß es in dem Text, zum ersten Mal seit den Pestepidemien des 14. Jahrhunderts in den meisten Ländern ein so starker Geburtenrückgang eingesetzt, dass auch die Arbeitsmärkte erheblich beeinträchtigt werden.
In Bereichen wie der Pflege sind wir zunehmend auf die Beschäftigung von Menschen mit Migrationshintergrund angewiesen.
Gleichzeitig klagt das deutsche Handelsblatt, dass bei der Geburtenrate von unter 1,5 Prozent (während 2,1 Prozent für Stabilität notwendig wären) schon bis 2035 die Zahl der über 65-Jährigen im Verhältnis zu den 20- bis 64-Jährigen auf das Doppelte ansteigen wird, "wenn sich bei der Nettozuwanderung nichts dramatisch verändert."
Neben wirtschaftspolitischen Herausforderungen wird dies als bedeutender Wachstumsfaktor angesehen. Der internationale Vergleich zeigt dabei, dass alle gut gemeinten Regierungsmaßnahmen den Geburtenrückgang nicht stoppen.
Japan arbeitet seit den 1990er Jahren an finanziellen Anreizen und Versuchen, einen Mentalitätswandel zu fördern, hat aber inzwischen mit Südkorea eine der niedrigsten Geburtenraten weltweit.
Zuwanderung und Arbeitsmarkt
Der Migrationsmonitor der Bundesanstalt für Arbeit listet die aktuellen Zahlen bis Juli 2024 für den Anteil von Ausländern am deutschen Arbeitsmarkt detailliert auf. Sozialversicherungspflichtig beschäftigt sind neben 29,1 Millionen Deutschen knapp 5,6 Millionen Ausländer, davon 2,5 Millionen aus der EU und davon wiederum 1,7 Millionen aus Osteuropa.
Die Tabelle nennt auch den in den Medien stark diskutierten Anteil von Ausländern unter den "Regelleistungsberechtigten", sprich Bürgergeldempfängern, nämlich 2,65 Millionen gegenüber 2,87 Millionen Deutschen. Am Ende der Tabelle stehen die Ausländer aus "Asylherkunftsländern", von denen 599.000 sozialversicherungspflichtig beschäftigt sind, aber auch knapp 944.000 Regelleistungsberechtigt.
Die Tagesschau hat vor einem Jahr den neuen OECD-Migrationsbericht als immer besser gelingende Integration interpretiert. Insgesamt ist das nicht falsch, differenziert aber nicht ausreichend nach den Herkunftsländern.
Bei den Zuwanderern aus der EU, die etwa die Hälfte der Migranten stellen, dürfte die Integration selten problematisch sein, bei vielen anderen aus Industrieländern und aus der Türkei ebenfalls. Schwieriger wird es bei vielen Zuwanderern aus dem Nahen Osten, dem Maghreb und Afrika.
Bei vielen, die aus Ländern wie Somalia, Eritrea, Pakistan oder Nigeria kommen, wird die Zahl der Leistungsberechtigten durch den Familiennachzug noch erheblich erhöht.
Insgesamt hat die deutsche Aufnahmebereitschaft, besonders auch für ungewollte und illegale Migranten, den Anteil von Geringqualifizierten und Analphabeten unter den Migranten stark erhöht, sodass sie am Arbeitsmarkt kaum vermittelbar sind und das deutsche Schulsystem in den Problembezirken fast hoffnungslos überfordern.
Die Integration stellt oftmals eine erhebliche Herausforderung dar, auch wenn es natürlich gleichsam positive Beispiele gibt.
Die Riesenbaustelle Religion mit ihren psychologischen und politischen Brandbeschleunigern in der türkischen Innenpolitik und im Nahostkonflikt sei hier ausgeklammert.
Nach Merkels vorgeblichen "Nun sind sie mal da" sollten und müssen wir uns darauf konzentrieren, ob und wie eine ausreichende Integration der Migranten überhaupt funktionieren kann.
Wie das US-amerikanische Experiment zeigt, ist eine Assimilation im engeren Sinne für viele Migranten schwer vorstellbar, auch Deutschland wird eine "Salad-Bowl-Gesellschaft" bleiben. Vielvölkerstaaten wie Österreich-Ungarn zerfielen erst mit dem Ersten Weltkrieg, und die Idee eines geeinten, sprachlich wie ethnisch homogenen Deutschlands konnte erst durch die Reichsgründung 1871 verwirklicht und später von den Nationalsozialisten pervertiert werden.
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Mit einem Migrantenanteil von 30 Prozent wird es für uns darauf ankommen, wie wir als Gesellschaft die "Fremden" sehen und klassifizieren und wie die Politik notwendige Lernprozesse positiv oder negativ begleiten wird.
Eine Überprüfung der bisherigen Einwanderungspolitik, die von einigen als zu großzügig empfunden wird, könnte notwendig sein.
Am anderen Ende des Spektrums, dem internationalen Wettbewerb um Spitzenkräfte und Talente, ist Deutschland leider wenig attraktiv. In einer Erhebung der OECD zur Attraktivität für qualifizierte Migranten rangieren wir auf Platz 15 hinter Irland, Portugal und Finnland.
Wo und wann hat Integration jemals funktioniert?
Die Offenheit und Integrationsbereitschaft des antiken Roms sind bereits angesprochen worden, Rom war eben pragmatisch und benötigte Arbeiter und Soldaten. Die Aussicht auf das römische Bürgerrecht dürfte die Integrationsbereitschaft der Migranten stark gefördert haben.
Andere Motive hatten die deutschen Migranten in den USA, die nicht als solche auffallen wollten, als Deutschland in den beiden Weltkriegen als Schurkenstaat dastand.
Die Geschichte der islamischen Länder bietet eine Reihe von Beispielen für Toleranz zwischen der muslimischen Mehrheit und den jüdischen und christlichen Minderheiten. Bis zur Ausweisung von Muslimen und Juden nach der Reconquista 1492 waren Granada und Córdoba Musterbeispiele an Toleranz und blühende Zentren von Kultur und Wissenschaft.
Noch bis in die 1930er-Jahre galt Ähnliches für den Nahen Osten. So berichtet der jüdisch-britische Historiker Avi Shlaim, wie er damals in Bagdad zwar als Minderheit, aber voll integrierter Teil des Irak aufwuchs und die Familie auch zu Hause Arabisch sprach.
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Über Jahrhunderte beherbergte der Iran eine der größten jüdischen Minderheiten des Orients. Zwischen diesem intern toleranten Orient und dem aggressiv missionarischen Europa gab es mehr als genug militärische Zusammenstöße, aber bei der Integration von Juden waren die Unterschiede massiv. Im Kern ging es um Religion.
Der Koran sieht Juden und Christen nicht als voll gleichberechtigt an, aber als "Völker des Buches" und im Glauben an den gleichen Gott schützenswert. In Europa wurde den Juden vorgeworfen, Jesus der Kreuzigung ausgeliefert zu haben, was über Jahrhunderte Antisemitismus und Rassismus förderte. Religiöse wie politische Narrative haben immer wieder das Zusammenleben verschiedener Völker und interner Minderheiten erschwert oder vergiftet.
Intoleranz und Vorurteile
Die Mechanismen zwischenmenschlicher Wahrnehmung sind bekannt. In Sekundenschnelle, manchmal in Sekundenbruchteilen werden Menschen eingeschätzt und klassifiziert, beim Flirten wie im Krieg. Das gehört zum genetischen Erbe des Homo sapiens aus der Steinzeit.
Wenn es bei den Jäger- und Sammlerhorden um den Schutz ihrer Jagdgründe ging, musste schnell zwischen Freund und Feind unterschieden werden. Im Laufe der Geschichte sind viele neue Kriterien und Vorurteile dazugekommen, religiöse wie politische.
Im Nachkriegsdeutschland ging die erzwungene Binnenwanderung von Ost nach West auch nicht ohne Reibungen vonstatten. Die Wohnberechtigungsscheine der Flüchtlinge wurden als Privilegien empfunden und beneidet, die Alteingesessenen fühlten sich in ihren zerbombten Häusern benachteiligt.
Auch die Einwanderung von evangelischen Flüchtlingen in traditionell katholische Gebiete im Westen verlief nicht ohne Spannungen und belebte viele alte Vorurteile übereinander. Im Wirtschaftswunder wuchs sich das alles weitgehend aus, schließlich sprachen deutsch und sahen einander ähnlich.
Das üble Erbe des Rassismus: Europa und die "Wilden" Die antike Welt war vernetzter, als wir heute glauben, Rom hatte Handelsbeziehungen nach Afrika und bis ins ferne China. Aber die Griechen nannten alle, die nicht Griechisch sprachen, "Barbaren", ein Begriff, der bis heute mit der Abwertung von allem Fremden das eigene Überlegenheitsgefühl stärkt, auch wenn es in der Sache noch so unbegründet ist.
Dazu beigetragen hat der europäische Rassismus, der im Zeitalter der Entdeckungen und des beginnenden Kolonialismus auch von der damaligen Wissenschaft verstärkt und rationalisiert wurde.
Der schwedische Botaniker Carl Linnaeus definierte 1735 vier verschiedene Typen des Homo sapiens als Weiße, Schwarze, Rote und Braune. Mit der letzten Kategorie waren die Asiaten gemeint, die er anfangs lateinisch als "fuscus", also bräunlich, dunkel, später aber als "luridus", gleich gelblich einordnete.
Frühere Reisende hatten die Chinesen als "weiß wie wir" beschrieben, aber das Linnaeus-gelb dominiert noch heute.
So fruchtbar die Klassifizierungen für Botanik und Zoologie waren, so negativ haben sie das europäische Denken in seinem Überlegenheitsgefühl gegenüber dem Rest der Welt verstärkt und mit der Idee von unterschiedlichen Rassen und ihrer natürlichen Hierarchie vergiftet.
Mit der europäischen und amerikanischen Rassenbiologie als vermeintlich objektive Naturwissenschaft entwickelten sich dann im 19. und frühen 20. Jahrhundert die politischen Instrumente zur Diskriminierung angeblich minderwertiger Gruppen, zur Rassentrennung und Apartheid.
Die abwegige Definition der Juden als Rasse verstärkte den traditionellen christlichen Antisemitismus in Europa mit seinen Pogromen schließlich bis zum Holokaust. Heute gilt die Rassenkunde als historische Fehlentwicklung, sie beeinflusst aber immer noch die Art, wie wir "Andersartige" sehen und klassifizieren.
Vielfalt als Herausforderung
Natürlich sind sie anders als wir, wie praktisch alle anderen auch. Franzosen und Deutsche haben sich lange genug so andersartig empfunden, dass sie "Erbfeinde" wurden. Dieses unselige Spiel setzt sich bis heute in Europa fort, von relativ harmlosen Kleinkriegen zwischen Nachbarländern mit Witzen übereinander bis zu felsenfesten Überzeugungen, aus welchen Ländern die meisten Autodiebe kommen.
Verstärkt werden solche Vorurteile durch eine menschliche Hirnfunktion, die wir nicht kontrollieren können, das Verallgemeinern und Extrapolieren. Einmal als wahr erkannte Überzeugungen verstärken sich dann automatisch durch die selektive Wahrnehmung von Wirklichkeit und Medienrealität.
Was wissen wir tatsächlich über die "Asylherkunftsländer", mögliche Fluchtgründe und die Integrationsbereitschaft der Migranten? Fremdartig sind viele, aber auch beruflich unqualifizierten Analphabeten kann man nicht jedes Potenzial absprechen. Offenbar stellen sich viele Einwanderer auf die von uns angebotenen Rahmenbedingungen ein und lernen schnell, was Asyl und Anspruchsberechtigung in Deutschland in der Praxis bedeuten.
Viele Fehlentwicklungen haben wir selbst zu verantworten, weil wir die Problematik nicht rechtzeitig erkannt haben und die Politik nicht reagiert hat.
Dazu gehören unter anderem die Illusion einer fairen europäischen Verteilungslösung, die Wunschvorstellung einer Willkommenskultur, die überlangen bürokratischen Prozesse, die Übertragung unserer Anspruchskultur auf alle Migranten und vieles mehr.
Die entstandenen Problemkomplexe, vor allem die Kriminalitätsraten und Subkulturen sind ausreichend bekannt und müssen hier nicht wiederholt werden. Auch die neuesten EU-Pläne, Abschiebungen durch Abkommen mit den Herkunftsländern zu erleichtern, dürften nur im Promillebereich zur Lösung beitragen.
Eine intensivere Kooperation mit diesen Ländern ist aber dringender denn je, vor allem auch für unser Verständnis ihrer internen Probleme. Unsere Empörung über Kriminalität, Antisemitismus, Kalifat-Fantasien und Parallelstrukturen der Migranten sowie der Trend zu politischen Schnellschüssen mit immer neuen Maßnahmen sind gefährlich.
Sie verhindert eine umfassende Problemanalyse und engt die Suche nach tragfähigen Lösungen zu stark ein. Weil die Akzeptanzgrenze in der Bevölkerung immer schneller und immer öfter überschritten ist, wird in der Politik ein Jahr vor den Bundestagswahlen und dem absehbaren Ende der Ampelkoalition nach schnellen Lösungen gesucht, die es nicht geben kann.
Wir brauchen konsensfähige neue Prioritäten, die sowohl der Schrumpfung der "biodeutschen" Bevölkerung gerecht werden als auch neue Wege finden, wie eine ausreichende Integration der Neubürger erreicht werden kann. Mit schrumpfender Wirtschaftskraft und finanziellen Engpässen bei den Staatsaufgaben wird dieser Politikbereich noch mehr zur Überlebensfrage für Deutschland.