Nato-Großmanöver an der Ostflanke: Die Angst vor dem falschen Knopfdruck
Erinnerungen an Atomkriegsgefahr durch Manöver vor gut 40 Jahren: Friedensorganisation fordert Abbruch. Das sind die Hintergründe.
Vier Monate lang sollen insgesamt 90.000 Soldaten im Rahmen eines der bisher größten Nato-Manöver überwiegend an der Ostflanke des Militärpakts trainieren.
Unter dem Namen "Steadfast Defender" ("Standhafter Verteidiger") hat das Manöver am Mittwoch begonnen und soll bis Mai andauern. Nach Aussage von Admiral Rob Bauer, dem Vorsitzende des Nato-Militärausschusses, geht es um die Vorbereitung "auf einen Konflikt mit Russland und Terrorgruppen". f
Die Bundeswehr ist mit 12.000 Soldaten, mehr als 1.000 Gefechtsfahrzeugen und dutzenden Kampfflugzeugen an dem Großmanöver beteiligt. In diesem Zusammenhang will sie von Februar bis Mai will in den Quadriga-Manövern die schnelle Verlegung von Truppen und Material proben.
Able Archer und die aktuellen Kriegsängste
Angesichts der aktuellen sicherheitspolitischen Spannungen und des Krieges in der Ukraine weckt das zum Teil verstörende Erinnerungen.
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"Im Jahr 1983 führte das Nato-Manöver 'Able Archer' fast zu einem Atomkrieg – in der aktuellen Zeit ist die Gefahr eines direkten Krieges zwischen Russland und der Nato wieder enorm groß: Ein Missverständnis oder ein falscher Knopfdruck kann zur totalen Eskalation führen", meint Ralf Buchterkirchen, Bundessprecher der Deutsche Friedensgesellschaft – Vereinigte KriegsdienstgegnerInnen (DfG-VK).
Manöver als Funke der Eskalation?
Die Organisation forderte an diesem Donnerstag sowohl den Abzug der russischen Truppen aus der Ukraine als auch den Abbruch der Militärübung an der Nato-Ostflanke: "Mit diesem Manöver eröffnet die Nato eine weitere gefährliche Eskalationsstufe", so Buchterkirchen. Drohgebärden mit hohem Eskalationspotenzial müssten verhindert werden.
Im November 1983 – in der Ära des republikanischen US-Präsidenten Ronald Reagan – war mit der Nato-Stabsrahmenübung "Able Archer" ein Krieg zwischen der Nato und dem Warschauer Pakt bis zur atomaren Eskalation simuliert worden.
In Bundeswehr-Kreisen gilt es bis heute als "umstritten", wie groß die Atomkriegsgefahr damals tatsächlich war – und "inwiefern Able Archer bei Geheimdienst und Militär in Moskau zu einer realen Kriegsfurcht führte"
Reagans Lehre im Kalten Krieg: Eine Lektion in Diplomatie
Nach Aussage des damaligen DDR-Agenten Rainer Rupp alias "Topas" waren die DDR-Führung und ihre Partner 1983 durch von ihm gelieferte Informationen beruhigt worden, dass kein Angriff der Nato bevorstehe. Zweifelsfrei überprüfen ließ sich das nicht; teilweise wird es ins Reich der Legende verbannt, die nur zur posthumen Rechtfertigung der DDR-Spionage diene.
Doch allein die Möglichkeit, dass die Sowjets westliches Handeln als echte Angriffsabsicht missinterpretieren könnten, führte bei Ronald Reagan zu einem Umdenken. Fortan verknüpfte er außenpolitische Standfestigkeit mit diplomatischer Verhandlungsbereitschaft und fand ab 1985 mit dem Generalsekretär der sowjetischen Staatspartei KPdSU Michail Gorbatschow einen kongenialen Verhandlungspartner.
Aus dem Bundeswehr-Podcast "Zugehört", Februar 2023
Die neue Realität: Die Nato und Russlands Krieg in der Ukraine
"Mehr als drei Jahrzehnte nach dem Ende der Sowjetunion, zu der damals noch die Ukraine als Teilrepublik gehörte, stellt sich die Situation zwar anders dar: Russische Truppen sind vor knapp zwei Jahren in die seit 1991 unabhängige Ukraine einmarschiert; die Nato ist nicht direkt Kriegspartei, unterstützt aber die Ukraine mit Waffenlieferungen.
Die Eskalationsgefahr ist aber nicht nur aus der Sicht der DFG-VK und anderer Friedensgruppen umso größer: "Es braucht Verhandlungen zwischen allen Konfliktparteien, statt Militärmanöver: Russland muss seinen Angriff auf die Ukraine umgehend einstellen und seine Truppen aus dem Land zurückziehen, die Nato muss ihre ‚Steadfast Defender‘-Übung und die weitere Aufrüstung in Nord- und Ost-Europa absagen", fordert Buchterkirchen.