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Seite 2: Wer die Wahrheit sagt, braucht ein schnelles Pferd

Die bellizistische Berichterstattung geht hierzulande weiter, während die vernünftige Replik verdienter Akteure kaum auf Resonanz stößt.

Wer das Offensichtliche ausspricht (neudeutsche Bezeichnung dafür: "Irritieren") wie Vizeadmiral a.D. Kay-Achim Schönbach, wird gefeuert. Der größte Beitrag für den Frieden wäre wahrscheinlich, würde der Westen einfach mehr Realitätssinn und Aufrichtigkeit zeigen. Denn daran, dass Russland in nächster Zeit seine angekündigten "technisch-militärischen Maßnahmen" umsetzen wird, bestehen kaum Zweifel.

Der Westen dagegen hat bereits sein ganzes Pulver verschossen. Vielleicht ist Deutschland bereit, sich mit der Nichtinbetriebnahme von Nord Stream 2 selbst ins Knie zu schießen, aber eine Abkopplung von Swift und damit die komplette Einstellung der russischen Gasversorgung kann sich Europa nicht leisten.

Alle anderen Sanktionen, die auf Washingtons Geheiß neu erfunden werden, rufen in Russland nicht einmal mehr Achselzucken hervor. Wirtschaftlich ist der strategische Partner ohnehin China, das den Westen auf diesem Gebiet überholt hat. Wenn jemand Sanktionen zu fürchten hat, dann wahrscheinlich eher der Westen.

Technologie braucht Gehirn

Man kann die Frage aufwerfen, welche langfristigen Ursachen dieser moralische, wirtschaftliche und intellektuelle Niedergang des Westens hat. Zunächst hat wohl Russland einfach gute Ingenieure, die bereit sind, ihre Fähigkeiten im Interesse ihres Landes einzusetzen. Eher selten wird sich jedoch Intelligenz und Charakter bei einem Mitarbeiter von Raytheon oder Lockheed Martin vereinigen.

Welcher kluge Kopf mit einem Rest vom moralischen Kompass wird in seine Lebensziele in einem menschenverachtenden und korrupten militärisch-industriellen Komplex verwirklichen wollen? Auch Edward Snowden sitzt nicht zufällig in Moskau.

Der westliche Rüstungsrückstand hat aber breitere Ursachen. Die US-amerikanischen Universitäten haben sich großenteils in um sich selbst kreisende Political-Correctness-Bürokratien, so Nassim Taleb, in "Klapsmühlen" verwandelt, die nur noch wenig nützlichen Output liefern.

Zwar haben Quotenregelungen, Gendersprech und Diversity-Programme zunächst die geisteswissenschaftlichen Fakultäten befallen, sind aber nach und nach auch in den Naturwissenschaften eingesickert. Wer sich darüber aufhält, dass Professoren ihre Studenten mit den richtigen Pronomen ansprechen und fähige Leute aus nichtigem Anlass feuert, braucht sich nicht wundern, in der physikalischen Chemie nicht mehr Weltspitze zu sein.

Bildung ist kein Wert

Betrachtet man historische Zeiträume, wird auch klar, dass Bildung in den USA nie einen hohen gesellschaftlichen Stellenwert besaß. Was zählte, war Erfolg und Macht. Dies wird nun mit langer Verzögerung sichtbar. Die Ursachen liegen auch in einer unterschiedlichen Geisteskultur in den USA und Europa.

Die der modernen Technologie zu Grunde liegenden Naturgesetze wurden sämtlich in Europa bis etwa Anfang des 20. Jahrhunderts entdeckt. Jene Forschung entsprang einer philosophischen Tradition des Nachdenkens darüber, wie die Natur im Innersten funktioniert.

Wissenschaft in den USA war dagegen stets anwendungsorientiert, praktisch und nützlich und führte zu einer Blüte von Erfindungen. Aber sie generierte eine oberflächliche Kultur, die gemeinhin "westlich" genannt wird und deren Schattenseiten wir heute auf vielen Gebieten zu spüren bekommen.

Betrachtet man die Zusammensetzung der Bevölkerung, ist diese Entwicklung nicht verwunderlich: Es war eine Auswahl von mutigen, tüchtigen, tatkräftigen und optimistischen Menschen, die vor allem im 19. Jahrhundert nach Amerika auswanderten, und auf diesen Eigenschaften gründete sich der Aufstieg zur Weltmacht.

Das gründliche Nachdenken über Naturgesetze im Stil eines Albert Einstein war jedoch nicht ihr Ding und ist es bis heute nicht. Die USA waren einzigartig, was Kooperation und Organisation betraf und überrundeten daher den alten Kontinent, insbesondere bei Großprojekten wie der Atombombe und der Mondlandung.

Praktisch alle Probleme der Grundlagenphysik um 1930 blieben jedoch dabei ungelöst und bis heute unbearbeitet. Dies lag zwar zuerst an inhärenten Schwierigkeiten der Physik, aber eben auch am Absterben der europäischen Wissenschaftstradition, verursacht durch die Nationalsozialisten, die die Zentren der Spitzenforschung zerstörten und einen Großteil der Intelligenz in die USA vertrieben.

Zwar waren Nazis an Waffen interessiert, aber zu dumm zu verstehen, dass sich die langfristige Überlegenheit einer Zivilisation aus einem kultivierten Interesse für die Naturgesetze speist.

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