Notfallpläne für die Schulen

Die von der US-Regierung gestartete Bereitschaftskampagne hat nun auch die Schulen erreicht, die Notfallpläne im Fall von Terroranschlägen ausarbeiten sollen

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Wie man es sehen will, ist sicherlich eine Frage der Perspektive. Sind die US-Bürger in ihrer Heimat jetzt gefährdet, weil al-Qaida und der Irak so mächtig sind und noch nicht zerschlagen wurden oder weil die US-Regierung, unabhängig von jeder glaubwürdigen Begründung und von der Zustimmung der Weltgemeinschaft, in den Irak einmarschieren will? Sucht die Regierung Angst vor dem Terrorismus zu schüren, um ihre außen- und innenpolitische Ziele besser durchzusetzen, oder sind die Vorbereitungen vor Angriffen schlicht realistisch? Jetzt jedenfalls hat das Bildungsministerium auch eine Website mit Empfehlungen ins Netz gestellt, wie Schulen sich vor Terroranschlägen schützen sollen.

Natürlich, es ist sinnvoll zu üben, wie Schüler möglichst schnell und geordnet sowie ohne Panik bei einem Brand das Gebäude verlassen können. Sie müssen ebenso wie die Lehrer die Sirenenwarnung erkennen können. Früher hat man in Deutschland freilich nicht nur das Verhalten bei Feuer geübt, sondern in den Zeiten des Kalten Krieges sollte man zumindest auch die Sirenentöne für Fliegeralarm erkennen.

Richtig vorbereitet hat man die Schüler allerdings nicht auf einen Luftkrieg, auch nicht auf die vor allem gefürchtete Bedrohung durch eine Atombombe. Die Instruktionen blieben vage - natürlich gab es die Aktentasche, das Ducken hinter Mauern. das schnelle Verlassen verseuchter Gebiete, das optimale Mittel des Bunkers oder eines Fluchtraums unter der Erde -, aber die Angst war da und bestimmte die Politik. Immerhin, lange Zeit fanden die Kriege und Konflikte woanders statt, bis vornehmlich der von den USA geführte Vietnam-Krieg zur Politisierung und schließlich auch zum Terrorismus führte. Holten damals die europäischen Terroristen den Krieg in ihre Länder - wenn auch zunächst meist die Vertreter der "herrschenden Klasse" bedroht waren -, so brachten auch die Entführungen und Anschläge der Palästinenser diesen Konflikt in die westliche Welt, während europäische Autonomiebewegungen ebenfalls zum Mittel der Anschläge griffen, um ihre Ziele durchzusetzen.

Damals hatten wir noch nicht richtig bemerkt, dass sich der Terrorismus wie ein Mem oder eine Epidemie in den erstarrten Verhältnissen des Kalten Kriegs ausbreitete. Es gab gewissermaßen eine terroristische Internationale, in der irgendwie sich "Freiheitskämpfer" oder Guerilleros mit linken Sozialrevolutionären verbanden. Vermutlich nicht zuletzt versprach der Terrorismus für manche auch ein abenteuerliches Leben, bei dem man für eine angeblich gerechte Sache sein Leben und das von anderen aufs Spiel setzte. Das wurde auch von manchen Außenstehenden bewundert, die fasziniert die Robin Hoods der Großstädte verfolgten. Zwar wurde aufgerüstet wie im Deutschen Herbst, wucherte der Verdacht und die Paranoia, sorgten Sicherheitsmaßnahmen, Rasterfahndung oder vielerlei Schikanen für alle Verdächtigen - damals nicht Muslims, sondern eher Langhaarige - für entsprechende Stimmung, aber der Staatsnotstand nahm nicht das ganze Land in den Griff.

In den USA hat man hingegen den Eindruck, dass die Anschläge vom 11.9., die sicherlich auch wegen der vielen Toten und traumatisch beeindruckenden Zerstörungen zu einer so heftigen Reaktion führten, auf eine Erwartung stießen. Die einheimischen Terroristen konnten den Effekt, der in den Krieg, in zahlreiche Gesetzgebungen und Überwachungsmaßnahmen sowie in ein neues Überwachungsministerium mündete, nicht hervorbringen, auch nicht die Milzbrandbriefe im Oktober 2001. Nachdem sich herausgestellt hatte, dass sie wohl nicht von Ausländern stammten, blieb zwar die darüber geschürte diffuse Angst vor Anschlägen mit biologischen Waffen bestehen, aber die Tätersuche stand schnell nicht mehr im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit. Ähnlich scheint es sich bei den Schulen zu verhalten, die vermutlich wesentlich stärker durch Schießereien Amok laufender Schüler als durch Anschläge muslimischer Terroristen gefährdet sind.

Wie es so ist, wenn neue Institutionen entstehen, müssen diese ihre Existenz rechtfertigen. Nachdem Justizminister Ashcroft mit seinem landesweiten Spitzelsystem gescheitert ist, gleichwohl aber mit dem Patriot II Gesetz an neuen Einschränkungen der Bürgerrechte arbeitet, entwickelt das neue Ministerium für Heimatschutz - etwas weniger auffällig für deutsche Ohren würde Ministerium für Innere Sicherheit klingen - Kampagnen, um die Menschen des Landes auf Katastrophen, vor allem aber auf Terroranschläge vorzubereiten. Erst kürzlich gab es die an alle Bürger gerichtete "Ready Campaign" ("We will not be afraid and we will be ready". Um auf alles vorbereitet zu sein, sollen sich alle Bürger ein Notfallpaket zulegen, um mit Klebeband und Plastikfolien Räume zu sichern (Are you ready?), sich mit Gasmasken und Lebensmitteloperationen auszustatten und Notfallpläne für die ganze Familie parat zu haben.

Every citizen must know what to do in the event of an A-bomb attack. Illustration aus "Atomic Bombing: How To Protect Yourself", New York 1950

Die 100.000 Schulen des Landes sind nun die erste Station, um die durch Terroranschläge gefährdeten, weil wenig geschützten "soft targets" auf den Ernstfall vorzubereiten. Später soll es ähnliches für Krankenhäuser, Hotels und Einkaufszentren geben. Auch für die Schulen wurde vom Heimatschutz- und Bildungsministerium eine Website mit Empfehlungen eingerichtet. Heimatschutzminister Tom Ridge: "Durch Initiativen wie diese erreichen wir unser Ziel, eine besser vorbereitete Nation zu schaffen: nach und nach bei jedem Menschen, jeder Familie, jeder Nachbarschaft, jeder Gemeinde." Man ist eben eine Nation im Krieg. Immerhin wurde die Gefährdungslage von Orange (hoch) auf Gelb (erhöht) gesenkt. Auffällig ist freilich, dass nur eine geringe Gefährdung vorgesehen ist. Keine Gefährdung durch Terroranschläge wäre vermutlich auch nicht gut fürs Heimatschutzministerium.

Für die Schulen gib es dieses Jahr und nächstes Jahr jeweils 30 Millionen Dollar, um Schulungen und Kurse durchzuführen, Notfallpläne mit anderen Behörden zu koordinieren oder Geräte zu kaufen. Das ist nicht gerade üppig. Und zu tun gibt es für die Verantwortlichen viel. Die Gebäude müssen überprüft, mehrere Fluchtwege gefunden, riskante Stellen entschärft und Übungen durchgeführt werden. Nach dem Columbine Massaker haben zwar bereits viele Schulen ihre Sicherheitsmaßnahmen verstärkt. Beispielsweise müssen sich Schüler ausweisen und Besucher registrieren. Aber der Anschlag vom 11.9. erfordert nach Ansicht der Minister mehr: "Die Flut der Ereignisse seit dem 11. September 2001 erfordern, dass die Schulen besser vorbereitet sind", erklärt Erziehungsminister Roderick Paige das Anliegen.

Die Richtlinien, die zusammen mit dem Secret Service entwickelt wurden und später weiter konkretisiert werden sollen, fordern die Schulen dazu auf, Notfallpläne in Zusammenarbeit mit anderen Sicherheitsbehörden auszuarbeiten. Diese sollen "traditionelle Krisen und Notfälle wie Feuer, Schulschießereien und Zufälle" abdecken, aber auch terroristische Anschläge mit biologischen, chemischen und radioaktiven Waffen: "Trainieren, üben und drillen Sie. Papiere im Regal funktionieren in einer Krise nicht."

Wichtig sei beispielsweise herauszufinden, ob das Schulgebäude in der Nähe von einer Bahnlinie liegt, auf der gefährliche Materialen transportiert werden, oder in der Nähe von Werken, die gefährliche Gifte herstellen. Besucher sollten registriert werden, und man empfiehlt, "Verkehrsmuster zu kontrollieren und, wenn möglich, Autos, Busse und Lastwagen von Schulgebäuden fern zu halten". Überdies soll es einen Kommunikationsplan geben, damit die Verantwortlichen in Kontakt bleiben, Eltern erreichen und Gerüchten entgegentreten können. Gut wäre auch, die Beziehungen zu den Medien schon im Vorfeld zu "kultivieren" und einen Sprecher für diese zu wählen.