Osterweiterung: "Fehler von historischem Ausmaß"

Seite 3: War die Erweiterung der NATO eine bewusste Provokation?

Der folgende Beitrag ist vor 2021 erschienen. Unsere Redaktion hat seither ein neues Leitbild und redaktionelle Standards. Weitere Informationen finden Sie hier.

Die Frage danach, welchen sicherheitspolitischen Nutzen eine grenzenlose Ausdehnung der NATO hat, blieb bisher unbeantwortet, was, Anbetracht der Warnungen, die es vor einer möglichen Konfrontation mit Russland gab, umso schwerer zu begreifen ist. Könnte es also vielleicht sein, dass eine solche Eskalation von manchem Akteur sogar erwünscht war?

Für viele ganz gewiss nur eine weitere unsinnige Verschwörungstheorie. Allerdings eine vergleichsweise plausible: Die Weltmacht USA stützt sich einerseits auf ihr aberwitziges Waffenarsenal, andererseits auf die Treue ihrer Verbündeten. Und auf die Europäer konnte sich Washington Jahrzehnte lang tatsächlich verlassen: Die folgsamen Regierungen gaben sich in beinahe jedem Land die Klinke in die Hand.

Bis zum Jahr 2003, als die Franzosen und sogar die Deutschen überraschend aufmüpfig wurden: Das Erstaunen, ja, Entsetzen war groß, als sich Schröder und Chirac in Sachen Irak-Krieg einfach verweigerten. Das musste doch bei den Vertretern des "Project For A New American Century" (sprich, einigen Mitgliedern der damaligen US-Regierung) Panik auslösen: Was bleibt von einer Weltmacht übrig, wenn keiner mehr folgen will? Eine Frage, die dementsprechend ganz gewiss in manchem neokonservativen Thinktank erörtert wurde, lautete: Was ist nötig, um die Abtrünnigen wieder um Onkel Sam zu scharen? Am besten wäre gewiss ein neuer gemeinsamer Feind! Und was lag da näher, als den früheren Feind auch zum zukünftigen zu machen?

Wer das für blanken Unfug hält, sollte den Auftritt von Stratfor-Gründer George Friedman kennen, als dieser 2015 beim Chicago Council on global affairs gastierte:

Das Hauptinteresse der US-Außenpolitik während des letzten Jahrhunderts … waren die Beziehungen zwischen Deutschland und Russland. Weil sie vereint die Macht sind, die uns bedrohen kann. Unser Hauptinteresse bestand darin, sicher zu stellen, dass dieser Fall nicht eintritt. … Der Punkt ist, dass die USA einen 'Cordon Sanitaire', einen Sicherheitsgürtel um Russland herum aufbauen. … Deutsches Kapital und Technologien und die russischen Rohstoff-Ressourcen könnten sich zu einer einzigartigen Kombination verbinden, was die USA seit einem Jahrhundert zu verhindern versuchen.;;George Friedma

Im bereits erwähnten Interview des Deutschlandfunks mit Wolfgang Kubicki meinte dieser jüngst, er sehe "mit großer Besorgnis, dass die NATO wieder einen Feind braucht, damit sie erstens ihre eigene Existenz rechtfertigt und zweitens dass Herr Stoltenberg seine Idee von 2 % des Bruttoinlandsprodukts in Rüstung zu stecken, auch umsetzen kann. Hätten wir keinen Feind, keinen Außenfeind, dann hätten wir dieses Problem ja an der Backe zu erklären, warum das so sein muss."

Wenn man solche Äußerungen vernimmt, drängt sich der Verdacht auf, dass nicht etwa Russland einen Keil zwischen Europa und den USA treiben wollte, sondern die USA einen Keil zwischen Europa und Russland. Aber, wie gesagt, alles nur eine weitere Verschwörungstheorie.