Poroschenko mit eiserner Faust gegen ehemalige Kampfgenossen

Kundgebung der Partei Ukrop gegen die Verhaftung von Kolomoiski-Berater Korban vor der Werchowna Rada. Bild: Ukrop Facebook

Nach den Russland-freundlichen Parteien kommen nun auch Ultranationalisten unter Druck. Kolomoiski-Berater ist in Haft, ermittelt wird gegen Swoboda-Politiker wegen Maidan-Todessschüssen

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Der ukrainische Präsident und Oligarch Petro Poroschenko geht aufs Ganze. Mit Verhaftungen und juristischer Verfolgung will er seine Macht gegen Kritiker von Links und Rechts absichern. Am Sonnabend wurde Gennadi Korban, der Leiter der ultranationalistischen Partei Ukrop und Geschäftspartner des Oligarchen Igor Kolomoiski in seiner Wohnung in Dnjepropetrowsk von ukrainischen Spezialeinheiten unter Leitung des Geheimdienstes und der Staatsanwaltschaft verhaftet (Video) und später nach Kiew überführt.

Frontstadt Dnjepropetrowsk in der Hand von Poroschenko-Kritikern

Die Verhaftung in Denjepropetrowsk hängt offenbar mit den Bürgermeisterwahlen Ende Oktober zusammenhängen. Diese Wahlen gingen für den ukrainischen Präsidenten katastrophal aus (Gouverneur Saakaschwili droht nach Wahlen mit Massenprotesten). Wahlsieger wurde mit 37 Prozent der Stimmen Aleksandr Wilkul vom Russland-freundlichen Oppositionsblock, der offenbar davon profitierte, dass die örtlichen Ultranationalen der von Oligarch Igor Kolomoiski gesponserten Partei Ukrop korrupt sind und eine Herrschaft der Gewalt in der Stadt errichtet haben, die den Russland-freundlichen Kräften Anhänger zutreibt.

Diese Situation ist für eine Stadt wie Dnjepropetrowsk, welche für die Versorgung der ukrainischen Truppen an der Front zu den "Volksrepubliken" eine besondere Rolle spielt, aus der Sicht von Kiew nicht vorteilhaft.

Gegen den verhafteten Ukrop-Chef Gennadi Korban hat die ukrainische Staatsanwaltschaft Strafverfahren wegen Gründung einer verbrecherischen Gruppe, Veruntreuung von Geld aus dem "Fond für die Verteidigung des Landes", Geiselnahme gegen Mitarbeiter der Sicherheitsorgane und Raub von Autos eingeleitet.

Bei der Durchsuchung des Büros der Partei Ukrop wurden eine Million Dollar, fünf Kalaschnikow-Gewehre, Abhörgeräte für Mobilfunk sowie zahlreiche Stempel für unternehmerische Tätigkeit und städtisches Eigentum sichergestellt.

Wie der Geheimdienstchef Wasili Grizak auf einer Pressekonferenz erklärten, gehörten zu der "organisierten Verbrechergruppe" nicht nur der verhaftete Korban. Der SBU-Chef nannte die Namen weiterer Personen, welche dieser Gruppe angehören und sich an der "Entführung von Menschen" und dem Schmuggel über die Demarkationslinie zu den von Aufständischen kontrollierten Gebieten beteiligt haben sollen. Grizak kündigte auch Ermittlungen wegen Steuerhinterziehungen gegen den Oligarchen Rinat Achmetow an, einen ehemaligen Förderer des gestürzten Präsidenten Viktor Janukowitsch.

"Reichstagsbrand" in Kiew

Der Konflikt um Korban ist nicht der einzige Vorfall, der in der Ukraine in diesen Tagen für Gesprächsstoff sorgt. Auf das Amtszimmer des Generalstaatsanwaltes Viktor Schokin seien am Montagabend um zehn Uhr drei Schüsse abgegeben worden, behauptete der ukrainische Militärstaatsanwalt, Anatoli Matios.

Generalstaatsanwalt Schokin, der nur noch in einem besonders gepanzerten Fahrzeug durch die Stadt fährt, befand sich zum Zeitpunkt des angeblichen Anschlages in seinem Arbeitszimmer bei einer Besprechung. Menschen kamen nicht zu Schaden. Eine Bestätigung für diesen Anschlag aus anderen als offiziellen Quellen liegen bisher nicht vor. In den sozialen Netzwerken gab es zahlreiche Äußerungen von Usern, welche nicht glauben, dass es den Anschlag wirklich gab (siehe: "Die Brandstiftung am Reichstag. In den sozialen Medien glaubt man nicht an die Beschießung von Schokin").

Präsident Petro Poroschenko erklärte am Sonntag, die Verhaftung von Korban sei "nur der Anfang". Der Kampf gegen die Korruption und "entschiedene Prozesse zur Wiederherstellung der Gesetzlichkeit werden weitergehen". In der "nächsten Zeit" werde das Land weitere Namen von Personen erfahren, "die zur Verantwortung gezogen werden".

Mit dieser Ankündigung will der Präsident offenbar die ukrainische Bevölkerung beruhigen, die zunehmend unter der Wirtschaftskrise leidet. Die einfachen Menschen, die nicht wissen, wie sie die verdoppelten Gas- und Elektrizitätspreise bei gesunkenen Einkommen bezahlen sollen, werden von Rechtsradikalen und Ultranationalisten umworben, die den gewalttätigen Sturz von Poroschenko fordern.

In der Westukraine bekam die Partei Swoboda bei den Kommunalwahlen in den Bezirken Iwano-Frankiwsk und Ternopil über 30 Prozent der Stimmen. Doch ob Poroschenko die Rechtsradikalen und Ultranationalisten mit juristischen Mitteln besiegen kann, ist unwahrscheinlich. Gegen eine Regierungspolitik, welche von der Bevölkerung immer neue Opfer verlangt, werden die Rechtsradikalen und die mit Poroschenko konkurrierenden Oligarchen, wie Kolomoiski, leichtes Spiel haben.

Präsident Poroschenko. Bild: president.gov.ua

"Janukowitsch im Quadrat"

Der Oligarch Igor Kolomoiski - im März von Poroschenko als Gouverneur von Dnjepropetrowsk abgesetzt - bezeichnete das Vorgehen gegen seinen Geschäftspartner Korban als "reine Politik" und Reaktion auf die Ergebnisse der Partei Ukrop bei den Kommunalwahlen Ende Oktober.

Ukrop-Führer Boris Filatow war bei den Bürgermeisterwahlen in Dnjepropetrowsk hinter dem Kandidaten des Russland-freundlichen Opositionsblockes auf dem zweiten Platz gelandet. Das Führungsmitglied der Partei Ukrop, Igor Paliza, der bis Mai Gouverneur von Odessa war, nannte Präsident Poroschenko wegen seines harten Vorgehens "Janukowitsch im Quadrat". Die Verhaftung von Korban sei "eine Demonstration der Kräfte des Präsidenten und der Präsidialadministration an alle, die nicht mit ihm einverstanden sind". Die Partei Ukrop könne man durch derartige Maßnahmen aber "nicht aufhalten".

Auch andere politische Parteien - wie die ultranationalistische Radikale Partei und die von Kolomoiski finanzierte Partei Widroschdennja bezeichnete das Vorgehen gegen Korban als Repression.

In Kiew demonstrierten heute mehrere hundert Demonstranten gegen die Verhaftung von Ukrop-Führer Gennadi Korban.

Ermittlungen gegen Swoboda wegen Todesschüssen aus dem Hotel Ukraina

Dass in der Ukraine unter Repression nicht nur die KPU, der "Oppositionsblock" und Journalisten zu leiden haben, welche die neue Macht kritisieren, sondern auch Rechte, zeigte sich bereits Anfang Oktober. Da gab es Hausdurchsuchungen, Verhöre und Verhaftungen gegen Mitglieder der rechtsradikalen Partei Swoboda. Diese Maßnahmen waren eine Antwort auf die gewalttätigen Angriffe der Partei Swoboda auf Polizisten vor der Werchowna Rada am 31. August 2015.

Nach Meinung der ukrainischen Staatsanwaltschaft gibt es Hinweise, dass Mitglieder der Partei Swoboda in die Schüsse verwickelt sind, die am 20. Februar 2014 aus dem Hotel Ukraina auf Demonstranten auf dem Maidan abgegeben wurden. Durch diese Schüsse, die nach unabhängigen Untersuchungen (Aufklärung der Maidan-Morde: "Ich bin nicht sicher, wann ich wieder in die Ukraine reisen kann")l von verschiedenen hohen Gebäuden abgegeben wurden, starben 80 Menschen auf dem Kiewer Maidan und angrenzenden Straßen.

Die neuen Ermittlungen der ukrainischen Staatsanwaltschaft stützen sich unter anderem auf einen Bericht des BBC-Korrespondenten Gabriel Gatehouse. Dieser hatte am 21. Februar 2014 in einer Reportage dokumentiert, dass aus dem Hotelzimmer Nr. 1132 geschossen wurde. Ein Fenster war geöffnet und wurde dann geschlossen. Im Zimmer 1132 wohnte damals das Swoboda-Mitglied Igor Jankiw (Leiter des Swoboda-Parteigerichts). In den Nachbarzimmern wohnten die Swoboda-Mitglieder Oleg Pankewitsch (früherer Leiter des Swoboda-Parteirates im Gebiet Lviv) und Aleksandr Sytsch (vom 27. Februar 2014 bis zum 2. Dezember 2014 Vizeministerpräsident der Ukraine).

Auch Korrespondenten von WDR und ZDF sowie der estnische Außenminister Urmas Paet hatten damals vermutet, dass aus dem Hotel Ukraina auf Maidan-Demonstranten und Polizisten geschossen wurde. Aber weder ukrainische Behörden noch westliche Politiker und Menschenrechtler gingen diesen Vorwürfen auf den Grund.

Die eiserne Faust von Poroschenko - Chronologie

11. Juli 2015 In der westukrainischen Stadt Mukatschewo gibt es ein Feuergefecht zwischen Mitgliedern des Rechten Sektors und der Polizei (Rechter Sektor probt den Aufstand in der Westukraine). Zuvor hatten die Rechten versuchten einem Schmuggler ein Schutzgeld abzuzwingen.

31. August 2015 Anhänger der nationalistischen Parteien Swoboda, Ukrop, Radikale Partei und Rechter Sektor demonstrieren vor der Werchowna Rada gegen eine Verfassungsänderung, die eine Dezentralisierung des Landes möglich machen soll. Ein Mitglied der Swoboda-Jugendorganisation Sitsch schmeißt eine Handgranate auf die Polizisten. Vier Ordnungshüter werden getötet ("Maidan-Helden" wittern Verrat).

12. Oktober 2015 Die ukrainische Generalstaatsanwaltschaft leitet ein Strafverfahren gegen drei Mitglieder der Partei Swoboda wegen den Todesschüssen am 20. Februar auf dem Maidan ein.

31. Oktober 2015 Ukrainische Spezialeinheiten nehmen unter Leitung der Generalstaatsanwaltschaft und des Geheimdienstes den Leiter der ultranationalistischen Partei Gennadi Korban fest.