Portugal: Sozialisten gewinnen absolute Mehrheit
Als Grund für den überwältigenden Sieg wird die Angst vor einem Rechtsruck genannt. Ob das in Europa Schule macht?
Damit hatte auch der Sozialist (PS) António Costa nicht mehr gerechnet und er hatte deshalb vor dem Wahlsonntag allen Parteien Gespräche zur Regierungsbildung angeboten. Aber bei den vorgezogenen Parlamentswahlen erreichte der Ministerpräsident und seine PS doch noch sein eigentliches Ziel.
Die PS legte gegenüber den Wahlen 2019 um fünf Prozentpunkte auf knapp 42 Prozent zu, weshalb Costa nun auf 117 Sitze von 230 bauen kann. Damit verfügt er über die absolute Sitzmehrheit in der Lissabonner "Assembleia da República" und kann ohne weitere Zugeständnisse an linksradikale Parteien durchregieren.
Costa hatte sich bei den Verhandlungen um den Haushalt für 2022 stur gestellt und wollte der von den Kommunisten geführten Koalition (CDU) und dem Linksblock (BE) in sozialen Fragen nicht weiter entgegenkommen. Vor allem ging es um die Frage von Löhnen und Privatisierungen. Die Hürden waren aber nicht unüberwindlich, man hätte sich, wie in sechs Jahren zuvor, auf einen Kompromiss verständigen können.
Doch Costa pokerte. Er konnte dabei auf den liberal‑konservativen Staatspräsidenten Rebelo de Sousa bauen. Für den hatte er bei den Präsidentschaftswahlen vor einem Jahr geworben und nicht für das Parteimitglied vom linken Flügel, Ana Gomes.
De Sousa hatte im Vorfeld gedroht, beim Scheitern des Haushalts das Parlament aufzulösen. Ihm waren die linksradikalen Costa-Unterstützer ohnehin ein Dorn im Auge. Man darf von einem zwischen Rebelo de Sousa und Costa abgestimmten Verfahren ausgehen. Sie schufen damit ein Dilemma für die linksradikalen Parteien.
Wenn die in den Verhandlungen nichts durchsetzen, verlieren sie an Zustimmung unter eher radikaleren Anhängern. Bei Neuwahlen riskieren sie, dass sie an Zustimmung bei eher gemäßigten Wählern verlieren. Denn viele in Portugal konnten nicht verstehen, warum man ausgerechnet in dieser Situation, mitten in der Coranavirus-Pandemie, wählen soll.
Dass der Wahlkampf hauptsächlich über das Fernsehen lief, kam Costa zugute, da großen Parteien dort mehr Aufmerksamkeit erhalten. Das galt besonders für den Fall eines Kopf-an-Kopf-Rennens, das sich mit den letzten Umfragen abzeichnete. Zuletzt hatten einige Umfragen sogar den rechtskonservativen Rui Rio und seine PSD vorne gesehen, wenngleich die Mehrheit eher eine Pattsituation beschworen hatte.
Der andere Gewinner: Die rechtsradikale Chega
Diese Situation hätte eine Rechtsregierung unter Beteiligung der aufstrebenden rechtsradikalen "Chega" (Es reicht) möglich gemacht. Chegas Anteil steigt von 1,3 auf gut sieben Prozent. Statt mit einem Parlamentarier, dem Parteichef und Alleinunterhalter André Ventura, sitzt die Partei nun mit zwölf Parlamentariern im Parlament und ist drittstärkste Kraft. Ventura kommt selbst aus der PSD und seine Chega hat die traditionelle rechte CDS-PP nun praktisch liquidiert.
Rui Rio hatte die Option, mit den Ultras die Macht zu erlangen, mehrfach ausgeschlossen. Das nahmen ihm die Wählerinnen und Wähler aber nicht ab. Der PSD-Chef habe diese Möglichkeit zwar gleich mehrmals verworfen, aber es könnte sich "um eine Wahlkampfstrategie" handeln, erklärte etwa der Politologe José Santana gegenüber Telepolis. Der Professor an ISCTE-Universität in Lissabon meint, dass "Rio die gemäßigten Wähler der Mitte nicht vergraulen wollte". Für ihn sei das aber keine "solide Entscheidung, an der Rio nach der Wahl festhalten" würde, erklärt er mit Blick auf die Azoren-Inseln, wo die PSD mit Chega-Unterstützung an die Macht kam.
Diese Lage führte zu einer unerwarteten Wählermobilisierung. Die Wahlbeteiligung stieg trotz der Pandemie gegenüber 2019 um zehn Punkte auf 58 Prozent, obwohl 800.000 Menschen in Quarantäne waren und nur zwischen 18 und 19 Uhr zur Wahl gehen durften. Es ist klar, dass die Wählerinnen und Wähler eine Rechtsregierung mit allen Mitteln verhindern wollten. Wie der Politologe Santana gehen die Beobachter allseits von vielen "nützlichen Stimmen" für Costa und die PS aus.
Viele Wähler der linksradikalen Parteien haben ihre Stimmen der PS gegeben. Das hat besonders dem Linksblock (BE) geschadet. Statt mit 9,5 Prozent drittstärkste Kraft zu bleiben, brach der "Bloco" auf 4,5 Prozent ein und verliert 14 von 19 Sitzen. Obwohl der BE etwas besser als die kommunistisch geführte CDU abschnitt, verliert letztgenannte Partei "nur" sechs Sitze. Sie hat künftig mit sechs Sitzen sogar eine etwas stärkere Fraktion im Parlament als der Bloco. Beide blieben aber sogar noch hinter den Liberalen zurück, die von 1,3 auf fünf Prozent anwuchsen und nun statt einem sogar acht Sitze einnehmen wird.
Die Überraschung der Kommunalwahlen im vergangenen Jahr, als die PS von Costa die Regierung der Hauptstadt Lissabon angesichts einer schwachen Beteiligung an eine breite rechte Koalition verloren hatte, wiederholte sich nun nicht.
Das Ergebnis war offensichtlich weniger eine Warnung für Costa, sondern mehr eine Warnung an die Wählerschaft. Es wurde ihnen klar, dass man sich auch Wahlen beteiligen muss, wenn man eine rechte Regierung im ganzen Land verhindern will.
Costa will seine absolute Mehrheit nicht missbrauchen. "Eine absolute Mehrheit bedeutet nicht absolute Macht", sagte er vor den jubelnden Parteimitgliedern, die Mehrheit bedeute eine größere Verantwortung. Costa weiß, dass er diese Mehrheit nur mit "Leihstimmen" erreicht hat.
"Viele Portugiesen mit anderen Vorstellungen haben sich den Sozialisten angeschlossen, weil sie verstanden haben, dass wir im Moment die Partei sind, die die Bedingungen für Stabilität garantieren kann", erklärte er mit Blick auf die Wählerinnen und Wähler der linksradikalen Parteien. Er bot den Parteien weiter einen Dialog an, wies aber auch darauf hin, dass er loyal zum sozialistischen Programm und zu den Maßnahmen regieren werde, die im abgelehnten Haushalt enthalten waren.