Rechte Riots und Social-Media-Macht: "Das Lustige an Musk ist, dass er leicht zu provozieren ist"

Geert Lovink ist Medienwissenschaftler, Gründer des Institute of network cultures (INC) sowie Professor für Kunst und Netzwerkkulturen an der Universität Amsterdam. David Herzog / CC BY-NC-SA 4.0

X-Boss Musk erklärte Bürgerkrieg für unvermeidlich: Schafft er so Fakten? Ein Gespräch mit dem Medientheoretiker Geert Lovink über dieses und andere Szenarien.

Extinction Internet: Der Abschied vom Netz, wie wir es kennen?

Mit Elon Musk kontrolliert seit 2022 ein rechter US-Multimilliardär als Mehrheitseigner die Plattform X, ehemals Twitter. Neben dem Treiben von Neonazis, das er auf der Plattform zulässt, und der Beobachtung, dass er sich selbst radikalisiert, bietet schon die Möglichkeit einer solchen Konzentration von Medienmacht durch Geldvermögen Anlass für Kritik.

Welche Wirkung ein Einzeiler von Musk auf X entfalten kann, wird aus aktuellem Anlass in der gesamten westlichen Welt diskutiert: "Elon Musk sagt, 'ein Bürgerkrieg sei unvermeidlich‘ während Großbritannien von rechtsextremen Ausschreitungen erschüttert wird. Er ist Teil des Problems", hieß es am Mittwoch in einem Kommentar des US-Senders CNN.

Venezuelas Präsident Nicolas Maduro wirft X und Musk vor, zu Hass und Bürgerkrieg aufzurufen – und ließ den Online-Dienst nun sogar für zehn Tage sperren, nachdem der X-Boss ihn als "Diktator" bezeichnet und seinen Wahlsieg angezweifelt hatte. Der Stellenwert "sozialer Medien" in der Politik ist in Deutschland verstärkt seit dem Europawahl-Erfolg der AfD bei jungen Menschen zum Thema geworden.

Doch laut einer Prognose des niederländisch-australischen Medientheoretikers und Netzaktivisten Geert Lovink könnte all dies bald Geschichte sein: Bereits 2022 stellte er in seinem Essay "Extinction Internet" das Verschwinden der Netzwelt, wie wir sie kennen, in den Raum. Mit Telepolis sprach er über neue Entwicklungen und mögliche Zukunftsszenarien.

Reden wir zuerst über Internetsucht und andere Abhängigkeiten: Es ist seit Jahrhunderten bekannt, dass zu viel Alkohol schädlich ist, aber viele Menschen werden trotzdem davon abhängig. An den Folgen sterben weltweit jedes Jahr rund 2,6 Millionen Menschen. Sind Sie überzeugt, dass die Menschen sich vom Internet abwenden werden, nur weil auch Internetsucht schädlich ist?

Geert Lovink: Es kann sein, dass sich die Menschen von den sozialen Medien abwenden, weil sie gelangweilt sind und Besseres zu tun haben – vielleicht aber auch nicht.

Wir reden hier nicht vom freien Surfen im Internet. Wenn wir in Statistiken lesen, dass junge Menschen im Durchschnitt vier Stunden am Tag auf TikTok sind, dann ist das keine "Internetsucht", sondern das Ergebnis endloser Feinabstimmung einer bestimmten App, eines subtilen, unterschwelligen Interface-Designs kurzer, "lustiger" Videos, eines Flusses, der nicht aufhört. Wir müssen immer weiter nach unten wischen.

Mein Argument war auch nie, dass soziale Medien "schädlich" seien. Sie erzeugen eine ganze Palette von Gefühlen, die bei jedem anders sind. Für manche Menschen sind die sozialen Medien nützlich, für andere deprimierend, sie fühlen sich einsam und traurig, wenn sie sie nutzen. Wieder andere reagieren wütend, frustriert oder gelangweilt. Ich hüte mich aber davor, Nutzer zu pathologisieren. Ich respektiere sie und habe Mitgefühl mit ihnen.

"Es fühlt sich nicht wie eine Verschwörung an"

Rational gesehen muss ich mich fragen, warum sie nicht revoltieren, wie es frühere Generationen getan haben: den ganzen Bullshit löschen, alles, was damit zu tun hat, vergessen und etwas anderes tun. Warum fügen sich die Menschen so leicht? Das liegt vor allem daran, dass diese Plattformen von ihresgleichen gestaltet werden. Wir schauen im Grunde in einen Spiegel und kultivieren wie besessen unser Online-Selbst.

Das fühlt sich nicht wie eine Verschwörung oder Manipulation von oben durch eine böse, äußere Macht an, und das macht die "Sucht"-Seite so hinterhältig. Ich glaube auch nicht an Begriffe wie "Fake News" und "Verschwörungstheorien" als Erklärung für das, was vor sich geht. Es ist vielleicht interessanter, von Märchen oder Aberglauben zu sprechen. Wir brauchen hier ein anderes Vokabular. Sicher ist, dass wir dringend Kommunikationsvielfalt brauchen.

Debatte ja, spekulative Phantasie, ja bitte. Aber hört auf, im Revier anderer Leute zu kommentieren und öffnet die Foren wieder. In Debatten auf Augenhöhe gibt es unterschiedliche Beiträge, nicht nur "Antworten". Es sind die kranken, kurzen Antworten, die die Menschen mit Hass erfüllen. Wenn es Meinungsverschiedenheiten geben sollte, tragt sie bitte auf Augenhöhe aus – und lasst uns die albernen Emoji-Funktionen abschaffen. Es gibt schon genug Simulationen der Beteiligung.

Sie haben Ihr Facebook-Konto bereits 2010 im Rahmen eines der ersten kollektiven Proteste gegen die Verletzung der Privatsphäre gelöscht. Warum sind Sie zwölf Jahre länger bei Twitter geblieben?

Geert Lovink: Bevor Elon Musk im Oktober 2022 Twitter übernahm, war es tatsächlich ein anderes Medium als Google und der extraktivistische Meta-Komplex aus Facebook, Instagram und WhatsApp (und seinen engen Verbindungen zur NSA). Ist Ihnen der progressive Hintergrund der Twitter-Gründer bewusst? Es ging auch um die Größenordnung.

Seit Musk-Übernahme "keine zuverlässigen Statistiken mehr"

Ich habe Twitter nie als Plattform betrachtet. Damals hatte es weniger als zehn Prozent des Umfangs von Facebook. X hat heute schätzungsweise rund 200 Millionen tägliche Nutzer weltweit hat, die meisten davon männlich und um die 30.

Seit der Übernahme durch Musk gibt es keine zuverlässigen Statistiken mehr. Ich will Twitter nicht verteidigen – das habe ich nie getan und war dort auch nicht besonders aktiv. Ich habe immer an dezentralisierte Netzwerke geglaubt, die wir hier in Europa selbst aufrechterhalten können – und dafür setze ich mich immer noch ein.

Ähnlich wie LinkedIn wirkt Twitter wie ein soziales Netzwerk für bestimmte Berufsgruppen. Nach 2016 änderte sich das politische Klima, die Regression der Plattformen zugunsten von techno-libertären, rechten Themen und Netzwerken setzte ein. Das war auch auf Twitter der Fall. Aber zumindest gab es dort Kämpfe um die kulturelle Hegemonie. Es gab ständige Debatten über Moderationsfragen und die Funktionsweise von Algorithmen.

"Politiker und Nachrichtenjunkies nutzen es immer noch"

Dann warf Musk die meisten Mitarbeiter raus und optimierte die Inhalte zu seinen Gunsten, und ich verließ Twitter, beziehungsweise X, wie viele Nutzer seit fast zwei Jahren. Das Projekt stagniert, aber Politiker und Nachrichtenjunkies nutzen es immer noch ausgiebig, und diese Tatsache verzerrt das Gesamtbild.

Radio, Fernsehen und Nachrichten-Websites greifen weiterhin auf, was dieser oder jener Politiker via X gesagt hat. Das muss aufhören, aber das wird nicht einfach sein. Ich rechne nicht mit einem plötzlichen Exodus, da das politische Klima im Westen insgesamt rechtspopulistisch bleibt.

Twitter, jetzt X, hat aufgrund der begrenzten Zeichenanzahl in der kostenlosen Version schon immer Vereinfachung und platte Argumente gefördert. Hat sie Sie das nie gestört?

Geert Lovink: Ich bin froh, dass Sie dieses Thema ansprechen. Viele haben wohl die Regel von maximal 140 Zeichen pro Beitrag vergessen, die Twitter in den ersten zehn Jahren prägte. Deshalb wusste ich in den ersten Tagen ohne viele "Follower" auch ehrlich gesagt nicht so recht, wie ich Twitter nutzen sollte. Twitter war das Web 2.0, das den "Aktualisierungs"-Kult im Netz am aggressivsten vorantrieb: Ich tue dies, ich fühle das, sieh dir das an, ich bin stolz auf jenes.

Das war zu einer Zeit, als wir den Raum der E-Mail-Community einfach verließen und mit dem Bloggen begannen – einschließlich des Kommentierens von Blogbeiträgen anderer. Später, als es viel mehr Twitter-Nutzer gab, hatte man eine viel bessere Vorstellung davon, mit wem genau man sprach.

Dann fand ich heraus, dass man Twitter für Slogans, Zitate und Aphorismen nutzen kann. Ich persönlich habe es nie benutzt, um das Weltgeschehen oder die niederländische Politik zu kommentieren. Es war auch ideal, um darauf hinzuweisen, wenn ich einen neuen Aufsatz, eine Übersetzung, ein Interview oder ein Online-Gespräch veröffentlicht hatte, denn so konnten die Leute leicht darauf stoßen. Im Moment benutzen wir dafür Telegram-Gruppen.

Wo Verkürzung und Vereinfachung gefragt ist, sind Rechtspopulisten in "Diskussionen" klar im Vorteil. Dennoch blieben einige linke Aktivisten und Journalisten auf X, auch als Elon Musk die Plattform übernahm. Sie wollten den Meinungskampf dort nicht aufgeben. Andere kritisierten dies, weil es die Bedeutung und die Klickzahlen einer rechten Plattform steigerte. Haben Sie für beide Positionen Verständnis?

Geert Lovink: Journalisten und Politiker sind Nachrichten-Junkies und hängen rund um die Uhr an ihren Geräten. Diese beiden Gruppen ernähren sich voneinander – und in Bezug auf soziale Medien sind Alternativen abgeschrieben und völlig uninteressant, wenn es um radikale Vorstellungen und "Kosmo-Techniken" geht. Man kann mit ihnen nicht über soziale Medien – "Sucht" – diskutieren, da sie sofort wütend werden.

Wenn man über Alternativen zu X sprechen will, muss man das außerhalb des Nachrichten- und Politikkontexts tun. Generell sollten wir Social-Networking-Tools bevorzugen, die die private und die öffentliche Sphäre voneinander trennen und beides nicht vermischen.

"Der Kampf um die Vorherrschaft auf X ist vorbei"

Das ist das Erfolgsgeheimnis von Meta: Dort wird absichtlich der Bereich privater Kommunikation mit Freunden und Familie, Kollegen, Sportverein und Nachbarn mit dem von Nachrichten, Prominenten und Influencern, die uns Kochrezepte, coole Ausflugsziele und Party-Ankündigungen bieten, sowie mit Werbung vermischt.

Aus dieser Perspektive scheint es in Ordnung zu sein, wenn Journalisten und Politiker ihr eigenes Spielzeug namens X haben. Es wäre schön, eine "Uncool X"-Kampagne zu entwerfen, aber wir müssen uns darauf einstellen, dass nicht viele davon Notiz nehmen werden. Bald werden Rechtspopulisten nur noch andere 'Freunde' haben, mit denen sie reden können. Der Kampf um die Vorherrschaft auf X ist vorbei, aber noch ist nichts verloren. Das Internet ist immer noch ein großer Ort.

Während der Ausschreitungen in Großbritannien Anfang August verkündete Musk auf X: "Der Bürgerkrieg ist unvermeidlich." Im deutschprachigen Raum griffen Rechte das nur zu gerne auf. Sollten aus Ihrer Sicht alle, die keinen Bürgerkrieg anheizen wollen, spätestens jetzt X boykottieren?

Geert Lovink: Wir wissen seit vielen Jahren, dass das Silicon Valley davon profitiert, Konflikte zu schüren – und Musk muss mit diesem Lieblingsprojekt wirklich das Ruder herumreißen und anfangen, Gewinn zu machen. Wir wissen, dass die Werbekunden in Scharen abwandern, und er verklagt sie deshalb sogar.

Ich glaube nicht, dass wir auf dem europäischen Kontinent nach dem Brexit noch viel zu diesem speziellen Fall zu sagen haben. Hier in den Niederlanden haben wir die Wilders-Regierung, in Deutschland gibt es die AfD, in Frankreich die LePen-Partei, und dann sind da noch Meloni und Orbán...

Lassen Sie uns zuerst mit denen fertig werden. Ich habe mich nie mit dem Leben und Werk von Musk beschäftigt, aber es gibt ein paar wirklich gute Musk-Analysten da draußen. Wenn Sie mehr darüber wissen wollen, folgen Sie dem kanadischen Technologiejournalisten Paris Marx und lesen Sie, wie Émile Torres die Tescreal-Ideologie erklärt. Das Lustige an Musk ist aber, dass er leicht zu provozieren ist.

Man kann den Eindruck gewinnen, dass es ihn nicht kümmert, aber vielleicht kann es sich sogar Musk nicht leisten, als Faschist geoutet zu werden. Wilders zum Beispiel wird sehr wütend, wenn man ihn einen Rechtsextremisten nennt – aber er hat natürlich das Recht, alle seine Gegner als Mitglieder der "extremen Linken" zu bezeichnen.

Vielleicht könnte sich im Fall Musk eine Taskforce auf eine solche "Provo-Operation" konzentrieren. Es sollte möglich sein, Musk zum gesellschaftlichen Außenseiter zu machen, das muss nicht einmal über Gerichtsverfahren geschehen. Er ist nach wie vor der reichste Mann der Welt, aber auf der Meme-Ebene ist es wirklich nicht schwer, ihn lächerlich zu machen.

Anders als X ist TikTok nicht im Besitz eines weißen, rechten Milliardärs. In Teilen der deutschen Gesellschaft hat die chinesische Plattform einen schlechten Ruf, weil China als Feind gelabelt wird. TikTok erreicht aber auch im Westen viele Menschen, vor allem junge. Deutsche Rechtextreme, etwa Teile der AfD, waren auf dieser Plattform mit ihren Videos erfolgreich. Linke und Linksliberale starteten den Aufruf "Reclaim TikTok", um dort eigene Inhalte zu verbreiten. Was halten Sie davon?

Geert Lovink: Der Ausdruck "reclaim" – "zurückfordern" – ist in diesem Zusammenhang etwas seltsam, da TikTok (anders als Twitter) von Anfang an nicht progressiv war. Wenn junge Menschen, die auf TikTok beheimatet sind, den Drang verspüren, zurückzuschlagen, sollen sie das tun, aber wir brauchen keine "alten Säcke", die sich dort anmelden, um ihre gut gemeinten Inhalte zu posten.

In Bezug auf Überwachung, Werbung, Datenextraktion und hässliche Formen der Abhängigkeit ist TikTok noch schlimmer als das Silicon Valley, daher würde ich es niemals idealisieren, nur weil seine Muttergesellschaft chinesisch ist.

"Die Macht großer IT-Firmen muss zuerst gebrochen werden"

Das lenkt nur von der wichtigeren, strategischen Frage ab, die wir in Europa uns stellen müssen: Warum kann Brüssel nur mit Geldstrafen aufwarten und nicht einfach Monopole verbieten oder auflösen? Es ist keine Raketenwissenschaft mehr, eigene Social-Networking-Sites zu entwickeln. Brüssel ist in den festen Händen von Beratungsunternehmen, großen IT-Firmen wie Microsoft und traditionellen Telekommunikationsriesen, die wissen, wie man Lobbyarbeit betreibt.

Deren Macht muss zuerst gebrochen werden. Wir müssen auch verstehen, dass "freie Software" und "Open Source" kompromittierte Begriffe sind, die in diesem Zusammenhang nicht mehr ausreichen. Geeks haben sich nie für soziale Medien interessiert – und das ist ein Problem. Aber vor allem müssen wir das Vertrauen haben, dass dies etwas ist, das in ein paar Jahren behoben werden kann. Das "Social Media"-Drama kann nicht mit der sich anbahnenden Klimakatastrophe verglichen werden. Soziale Mediensouveränität ist durchaus machbar.

Viele Jugendliche waren durch die Corona-Krise psychischem Stress und Einsamkeit ausgesetzt. Einige von ihnen sind internetsüchtig geworden, weil es ihnen als Weg aus der Einsamkeit erschien. Manchen Erwachsenen geht es genauso, aber diese Jugendlichen konnten zum Teil wichtige Erfahrungen in der Pubertät nicht machen. Wie sollen sie die Vorzüge von "Digital Detox" entdecken?

Geert Lovink: Das Problem sehe ich, ja. Mich wundert, warum es so lange gedauert hat, bis man herausfand, dass Smartphones in den Klassenzimmern von Grundschulen und Gymnasien keine so gute Idee sind. Aber dies sollte nicht Teil eines Top-Down-Ansatzes der Regierung sein. Das wird nach hinten losgehen und der Förderung europäischer öffentlicher Alternativen entgegenwirken, die nicht auf heimlicher Datenextraktion und werbebasierten Gewinnmodellen beruhen.

Medienkompetenz ist nach wie vor dringend erforderlich, einschließlich Programmierkenntnisse für Kinder: Programmieren oder programmiert werden. Es sollte diskutiert werden, welche techno-sozialen Fähigkeiten genau vermittelt werden müssen.

Die Computerkenntnisse junger Menschen sind in den letzten Jahrzehnten drastisch zurückgegangen. Noch wichtiger ist aber die Aufgabe, mit grundlegenden Lese- und Schreibkenntnissen das Ruder herumzureißen. Lesen ist für kritisches Denken unerlässlich und sollte von dem verstaubten Image dicker, langweiliger Bücher, für die sich niemand interessiert, befreit werden.

Es mangelt auch an visueller Kompetenz. Die Zukunft der Online-Welt wird von der Fähigkeit junger Menschen abhängen, ihren eigenen kritischen Rahmen zu entwickeln, unabhängig davon, ob es sich um Texte oder Bilder handelt.

"Männliche Frustration führt zur Suche nach Schuldigen"

Viele dieser Jugendlichen sind von rechter Ideologie beeinflusst. Rechte Ideologen scheinen auf ihre Bedürfnisse einzugehen, vor allem auf die von jungen, verunsicherten Männern. Das Internet spielt eine wichtige Rolle in der politischen Debatte, auch bei der Mobilisierung von Protestbewegungen, egal, ob demokratische Kräfte dies begrüßen oder nicht. Wie sollen sie damit umgehen?

Geert Lovink: Was Sie hier ansprechen, ist dringlich – vielleicht noch dringlicher als alle bisher genannten Punkte. Während die "psychischen Auswirkungen" von Social-Media-Plattformen vor allem für Frauen und Mädchen erforscht wurden, wurden die Auswirkungen auf junge Männer ignoriert.

Was zunächst wie sexuelle Frustration und Wutbewältigung aussah, hat nun eindeutig politische Folgen. Wir haben nicht genug getan und hätten aus der rätselhaften Anziehungskraft, die Figuren wie Jordan Peterson, Andrew Tate und Seiten wie 4Chan, Reddit und jetzt X – einschließlich einer riesigen, verwandten YouTube-Videosphäre – ausüben, Schlussfolgerungen ziehen müssen. Die wirtschaftliche Notlage spielt in diesem Zusammenhang eine Schlüsselrolle.

Prekarität fordert ihren Tribut und männliche Frustration führt zur Suche nach Schuldigen. Die "woke" Linke hat diesen isolierten Männern wenig zu bieten, was alternative Männlichkeitsmodelle angeht. Ein offener Konflikt scheint unvermeidlich zu sein. Auch dies ist eine Frage des Designs. Während die Linke endlich herausgefunden hat, wie man "memet", sollte dies auch auf die libidinöse Symbolik angewendet werden.