Revisionen verworfen: Gesamtstrafe für Zschäpe bleibt lebenslang
Der Bundesgerichtshof streicht nur eine Einzelstrafe der Hauptangeklagten im NSU-Prozess. Ein Helfer muss zittern, da neben seiner Revision auch die der Ankläger zugelassen ist
Das Urteil gegen die Beate Zschäpe und zwei Unterstützer des "Nationalsozialistischen Untergrunds" (NSU) ist rechtskräftig. Mehr als drei Jahre nach der Urteilsverkündung in München teilte an diesem Donnerstag der Bundesgerichtshof (BGH) in Karlsruhe mit, dass er die Revisionen der Angeklagten Beate Zschäpe, Ralf Wohlleben und Holger Gerlach als unbegründet verworfen hat. Im Fall des verurteilten NSU-Unterstützers André Emingers wurden aber sowohl dessen Revision als auch die der Bundesanwaltschaft zugelassen.
Der Hauptangeklagten Zschäpe sei zwar eine Einzelstrafe erlassen worden, die geringfügige Änderung des Schuldspruchs wirke sich aber auf die lebenslange Gesamtfreiheitsstrafe wegen Mittäterschaft bei mehreren Morden, Mordversuchen und Raubüberfällen sowie Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung nicht aus, gab der BGH bekannt. Auch die Feststellung einer besonderen Schwere der Schuld, die eine vorzeitige Haftentlassung nach 15 Jahren praktisch ausschließt, bleibt vom Wegfall der Einzelstrafe unberührt.
In zwei Mordfällen ist ihr Tatbeitrag nicht eindeutig abgrenzbar
Hintergrund ist, dass Zschäpe selbst nicht an den Tatorten gewesen sein soll, aber laut Urteil des Oberlandesgerichts München gleichberechtigt mit den 2011 zu Tode gekommenen NSU-Terroristen Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt am Tatentschluss und der Planung der rassistisch motivierten Mordserie beteiligt war. Zudem hatte sie logistische Aufgaben im konspirativen Alltag der Untergetauchten übernommen und als nette Nachbarin im sächsischen Rückzugsort Zwickau und auf Campingplätzen an der Ostsee für eine unverdächtige Fassade gesorgt.
Im Fall zweier Morde, zwischen denen nur zwei Tage lagen, ließ sich ihr Tatbeitrag aus der Sicht des BGH aber jeweils nicht abgrenzen: Die Änderung des Schuldspruchs bezieht sich auf die NSU-Morde an Mehmet Kubasik in Dortmund und Halit Yozgat in Kassel im April 2006, wie eine Sprecherin des BGH auf Nachfrage von Telepolis erklärte.
Dies waren die beiden letzten von neun "Ceska-Morden", die der NSU seit September 2000 an Kleingewerbetreibenden mit Migrationshintergrund begangen hatte. Die Ceska-83-Pistole wurde später im Brandschutt der Zwickauer Wohngemeinschaft des mutmaßlichen NSU-Kerntrios gefunden. Zschäpe hatte laut Gerichtsurteil am 4. November 2011 die Wohnung angezündet, um Beweismittel zu vernichten, nachdem Mundlos und Böhnhardt mutmaßlich Selbstmord begangen hatten, um nach einem zunächst erfolgreichen Banküberfall in Eisenach nicht der Polizei in die Hände zu fallen.
Allerdings konnte nie genau geklärt werden, wer von ihnen an jedem einzelnen Tatort geschossen hatte - und ob nicht doch weitere Personen direkt beteiligt waren. Nebenklagevertreter gingen zumindest von ortskundigen Unterstützern an den westdeutschen Tatorten aus - alle fünf Angeklagten stammten aber aus dem Osten, das mutmaßliche Kerntrio hatte dort seinen Lebensschwerpunkt - und nur Zschäpe war nach dem Ableben von Mundlos und Böhnhardt als Vollmitglied der terroristischen Vereinigung NSU angeklagt.
Ihre Anwälte halten eine Verurteilung als Mittäterin für ungerechtfertigt und wollen höchstens von Beihilfe sprechen. Zschäpe selbst hatte sich im Münchner Prozess nach langem Schweigen als unglücklich verliebtes Anhängsel von Uwe Böhnhardt dargestellt und behauptet, sie habe die Morde immer ablehnt, aber jeweils erst im Nachhinein davon erfahren.
Offene Fragen und die dubiose Rolle des Verfassungsschutzes
Besonders rätselhaft blieb im Verlauf des Prozesses der Mord an Halit Yozgat in Kassel, weil am Tatort - im Internetcafé des Opfers - ziemlich genau zur ermittelten Tatzeit ein hauptamtlicher Verfassungsschützer an einem der Rechner eingeloggt war. Der hessische V-Mann-Führer Andreas Temme hatte an diesem Tag ungewöhnlich lange mit einer "Quelle" aus der Neonaziszene telefoniert, aber angeblich von dem Mord nichts bemerkt und sich in dem Ladenlokal vergeblich nach dem Besitzer umgesehen, als er bezahlen und gehen wollte. Yozgat muss laut der Tatrekonstruktion von Kriminaltechnikern zu diesem Zeitpunkt sterbend hinter der Theke gelegen haben. Die Schüsse müssen trotz Schalldämpfer hörbar gewesen sein.
Im Großen und Ganzen war der Münchner NSU-Prozess ein Verfahren, das zu Verschwörungstheorien regelrecht einlud, weil Zeugen aus dem Geheimdienstmilieu vor Gericht zum Teil mit offensichtlichen Unwahrheiten durchkamen, zum Teil aber auch ganz unverblümt zugaben, dass sie eine maßgebliche und führende Rolle in der militanten Neonaziszene gespielt hatten. Das Wort "Verfassungsschutz" kam aber im mehr als 3.000 Seiten starken schriftlichen Urteil nicht vor.
Auch in Untersuchungsausschüssen von Bund und Ländern wurden die Identitäten mancher V-Leute aus der NSU-Brutstätte "Thüringer Heimatschutz" und dem "Blood and Honour"-Sumpf nie gelüftet, nachdem im Bundesamt für Verfassungsschutz fleißig Akten geschreddert worden waren. So konnten Außenstehende nicht einmal sicher ausschließen, dass ehemalige V-Personen mit auf der Anklagebank saßen.
Die verurteilten Unterstützer
Verstörend wirkte vor diesem Hintergrund auch die ohnehin maßvolle Haftstrafe für André Eminger, dessen Revision nun als einzige zugelassen wurde. Er galt als engster Kontaktmann der drei untergetauchten Neonazis, war als Unterstützer einer terroristischen Vereinigung zu zweieinhalb Jahren verurteilt, aber vom Vorwurf der Beihilfe zum Mordversuch freigesprochen worden und hatte den Gerichtssaal im Juli 2018 bereits als freier Mann verlassen.
Allerdings hat in diesem Fall auch die Bundesanwaltschaft erfolgreich Revision eingelegt - somit besteht auch die Möglichkeit einer wesentlich höheren Haftstrafe, denn Bundesanwalt Jochen Weingarten hatte für Eminger zwölf Jahre gefordert. Er war in seinem Plädoyer in München sogar von der lange gepflegten "Trio"-These abgerückt und hatte erklärt, der sächsische Neonazi käme als viertes NSU-Mitglied in Betracht.
Nach diesem Plädoyer musste Eminger, der die meiste Zeit während des Verfahrens auf freiem Fuß gewesen war, überraschend in Untersuchungshaft. Seine Unterstützer applaudierten später bei der Verkündung des milden Urteils, er focht es aber dennoch an. Gegen ihn soll nun im Dezember noch einmal mündlich verhandelt werden, allerdings ohne erneute Beweisaufnahme. Das zuständige Gericht übernimmt die bereits getroffenen Feststellungen und bewertet den Fall nur dahingehend neu, ob sämtliche Formalien und Verfahrensvorschriften eingehalten wurden.
Ralf Wohlleben hatte während der gesamten fünfjährigen Hauptverhandlung und davor in U-Haft gesessen, daher kam auch er kurz nach seiner Verurteilung zu zehn Jahren Haft frei; die Reststrafe wurde zur Bewährung ausgesetzt. Holger Gerlach und Carsten S. wurden zu jeweils drei Jahren verurteilt, die noch nicht zu wesentlichen Teilen abgegolten waren.
Als einziger von fünf Verurteilten hatte der Szene-Aussteiger S. (hier abgekürzt, weil er zur Tatzeit seiner Beihilfe noch heranwachsend war) seine Revision zurückgezogen. Ihm hatten Opferangehörige zum Teil sogar öffentlich vergeben und für ihn eine nur eine Bewährungsstrafe gefordert, weil er als einziger wesentlich zur Aufklärung beigetragen habe.
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