Riskantes Spiel der Ukraine: Strategischer Meisterzug oder sinnloses Opfer?
Ukraine provoziert heftige Reaktionen. Ist die Intervention ein kluger Schachzug oder ein Fehler? Ein Blick auf die möglichen Folgen.
Wenige Tage nach dem Vorstoß ukrainischer Truppen auf russisches Territorium im Gebiet Kursk bestätigen internationale Militärexperten Truppenbewegungen auf russischer Seite. Die dortigen Verbände werden offenbar durch Einheiten aus anderen Landesteilen verstärkt.
Wie das US-amerikanische Institute for the Study of War (ISW) berichtet, scheint die russische Militärführung jedoch bestrebt zu sein, die Verlegung von kämpfenden Truppen von der Ukraine-Front zu vermeiden. Die Operationen in der Ostukraine sollen nicht zu sehr gefährdet werden. Sollte dies gelingen, wäre ein zentrales Ziel der Ukraine gescheitert: Kräfte aus anderen Teilen des angegriffenen Landes zum Abzug zu zwingen.
Bestehende Kräfte gegen ukrainischen Vorstoß
Nach Einschätzung des ISW setzt die russische Führung auf bereits an der Grenze stationierte Einheiten und Kräfte im Hinterland. Viele dieser Einheiten bestünden aus Wehrpflichtigen und irregulären Kräften. Diese würden vermutlich die erste Reserve bilden. In einem zweiten Schritt erst würden zusätzliche, erfahrenere Einheiten aus Teilen des Kriegsgebietes verlegt.
Verlegung erfahrener Truppen möglich, aber verzögert
Dennoch gibt es Berichte, dass die russische Militärführung erfahrene und besser ausgerüstete Fronteinheiten aus dem Osten oder Süden der Ukraine nach Kursk verlegt.
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Es wird jedoch erwartet, dass die Ankunft dieser Einheiten in Kursk weitere Zeit in Anspruch nehmen wird. Auch hängt dies vom Ausmaß der ukrainischen Offensive ab. In ersten Äußerungen war von 300 Mann die Rede, inzwischen kursieren Berichte, in denen von mehreren tausend ukrainischen Soldaten die Rede ist.
Spekulationen über Truppenbewegungen
Ein russischer Militärblogger berichtete, dass Einheiten des 44. Armeekorps (Leningrader Militärbezirk) der nordrussischen Streitkräfte in der Nähe von Rylsk, Oblast Kursk, operieren.
Dieser Quelle zufolge könnte die russische Militärführung Kräfte, die ursprünglich für eine Offensive in der ostukrainischen Oblast Charkiw zusammengezogen worden waren, umverteilen.
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Sollte dies zutreffen, könnte dies darauf hindeuten, dass die russische Militärführung beschlossen hat, die Offensive nördlich von Charkiw aufzugeben, um keine Kräfte von anderen wichtigen Frontabschnitten abziehen zu müssen, schreibt die ukrainische Tageszeitung Ukrainska Prawda.
Jüngste militärische Entwicklungen
Russische Quellen behaupteten am 9. August, dass ukrainische Truppen weiter östlich in die Region Kursk vorgerückt seien. Frühere Berichte über weitergehende Vorstöße wurden jedoch relativiert. Die Lage vor Ort bleibt insgesamt unklar.
Es gibt auch Berichte über einen Angriff ukrainischer Streitkräfte auf einen russischen Militärkonvoi östlich von Rylsk bei Oktjabrskoje. Darüber hinaus haben ukrainische Streitkräfte Angriffe auf einen russischen Militärflugplatz in der Oblast Lipetsk und andere russische Militärziele auf der Krim und in Donezk durchgeführt.
Militärexperte äußert sich verhalten
Gegenüber dem Nachrichtenmagazin Der Spiegel äußerte sich der Sicherheitsexperte Gustav Gressel vom European Council on Foreign Relations (ECFR) zurückhaltend zum militärischen Vorstoß der Ukraine auf russisches Territorium.
Laut Gressel könnte die Ukraine ein Gebiet zwischen den Ortschaften Sudscha, Malaja Loknja und Nowoiwanowka kontrollieren. Der Grenzübertritt sei den drei beteiligten ukrainischen Brigaden ohne größeren Widerstand gelungen, da die russischen Grenzschutztruppen des FSB nicht für eine Verteidigung in diesem Ausmaß ausgerüstet seien und Russland an dieser Stelle überwiegend Wehrpflichtige stationiert habe.
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Laut Gressel könnte das neu aufgestellte 44. Armeekorps Russlands mit etwa 7.000 Mann aus der Region Kursk in den kommenden Auseinandersetzungen eine Rolle spielen, da davon auszugehen sei, dass Russland nun Truppen dorthin verlegen werde.
Wichtig vor allem: Gressel weist darauf hin, dass die Ukraine trotz der Geländegewinne diesen Vormarsch militärisch wohl nicht dauerhaft wird halten können. Die ukrainischen Streitkräfte seien der russischen Armee an Personal und Munition unterlegen und die Offensive im Donbass setze die ukrainischen Truppen weiter unter Druck.
Will Ukraine Verhandlungsmasse schaffen?
Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj äußerte sich indirekt zu dem Vorgehen und betonte, auch Russland müsse den Krieg spüren, den es in die Ukraine gebracht habe. Ziel der Ukraine ist es offensichtlich, Druck für mögliche Verhandlungen mit Russland zu erzeugen und dafür Verhandlungsmasse in Form von besetztem Territorium zu schaffen.
Gressels Einschätzung: Die Militäraktion könnte für die ukrainische Führung innenpolitisch riskant werden. Sollte der Vorstoß scheitern, müssten sich Armeeführung und Regierung vor den eigenen Truppen verantworten, die durch den Einsatz stark belastet wurden.
USA informiert. Und Berlin?
Die internationalen Reaktionen sind bislang zurückhaltend. Der Einsatz von Himars-Raketenwerfern deutet darauf hin, dass die USA im Vorfeld informiert gewesen sein könnten, da die Zielkoordinaten üblicherweise abgesprochen werden. Auch die Präsenz deutscher Schützenpanzer vom Typ Marder in der Region Kursk könnte die politische Debatte in Deutschland anheizen.
Die Entwicklungen in Kursk könnten den Kriegsverlauf beeinflussen. Im besten Fall können die Ukrainer weitere Geländegewinne erzielen und strategisch wichtige Infrastruktur sichern, was zu Verhandlungen mit Russland führen könnte.
Im schlimmsten Fall könnte die Ukraine durch anhaltende russische Gegenangriffe zum Rückzug gezwungen werden, was zu größeren Gebietsverlusten führen und die militärische Unterstützung des Westens gefährden könnte. Die Operation zeigt die heikle Lage der Ukraine, die angesichts der begrenzten militärischen Unterstützung des Westens auf riskante Operationen angewiesen ist.