Russische Regierung unterhöhlt das demokratische System

Kreml behindert, so ein Bericht der Menschenrechtsorganisation HRW, die unabhängige Arbeit von Nichtregierungsorganisationen (NGOs) in Russland

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„Mit Erlass des Gesetzes über die Nichtregierungsorganisationen vom 18. April 2006 wurde die Grundlage geschaffen, um die substantielle Arbeit vor allem von NGOs, die kontroverse Themen vertreten und die Menschenrechte in Russland verteidigen, erheblich zu behindern und teilweise ganz einzufrieren.. Dies kritisierte am Mittwoch die stellvertretende Direktorin von Human Rights Watch (HRW) in Europa und Zentralasien Rachel Denber. Ihre Kritik gründet sich auf eine von der Nichtregierungsorganisation Human Rights Watch erstellten Studie, die jetzt veröffentlicht wurde, zum Thema Choking on Bureaucracy: State curbs on Independent Civil Society Activism.

„Seit acht Jahren versucht die russische Regierung, das demokratische, politische System in Russland immer mehr zu unterhöhlen. Der erste Schritt war die Einschränkung der Pressefreiheit. Dann folgte die Schwächung der parlamentarischen Opposition innerhalb der Duma. Danach kam die Abschaffung der direkten Wahl der regionalen Gouverneure und nun zielt der Staat mit dem Gesetz von 2006 und seinen Regeln auf die Schwächung der zivilen Gesellschaft in Russland ab“, erklärt Rachel Denber die Situation in Russland kurz vor den Wahlen.

Wie weit verästelt und ausgedehnt, wie filigran und penetrant die Kontrollmöglichkeit russischer staatlicher Behörden über einen Großteil der NGOs vor Ort ist, deren Zahl seit Glasnost auf mehrere Hunderttausend geschätzt wird, geht aus dem neuen Bericht von Human Rights Watch hervor. Die Recherche basiert auf 40 Interviews am Telefon und per Internet mit NGOs in sechs russischen Städten, darunter in Moskau, St. Peterburg, Voronezh, Nizhni Novgorod u.a. im Erhebungszeitraum von Mai bis Oktober 2007.

Bereits mit dem 2002 verabschiedeten Gesetz gegen Extremismus seien erste Weichen gestellt worden, um die zur Regierung oppositionell eingestellte, zivile Gesellschaft in ihrer Arbeit und bei Erhalt von Gelder aus dem Ausland zu kontrollieren und zu behindern. Bei Pressekonferenzen teilte Präsident Wladimir Putin zudem mit, dass er sich eine Einmischung von NGOs in die internationalen Angelegenheiten Russlands, wodurch das Land geschwächt werde, verbiete. Human Rights Watch kritisiert dabei weniger das Bedürfnis von Staaten, NGOs zu regulieren, als vielmehr die Nichtbeachtung der international anerkannten Grundrechte wie die Meinungs-, Presse- und Versammlungsfreiheit.

Die derzeitigen Einschränkungen sind nicht vernünftig und müssen an europäische Standards angepasst werden, denn Russland ist Mitglied im Europarat.

Rachel Denber

Durch die neuen staatlichen Regeln können NGOs ihre Legalität in Russland verlieren

Die mit dem Gesetz verbundenen Verordnungen erweitern die Zuständigkeit der Zulassungsbehörde auf nationaler wie regionaler Ebene (Kontrolle der Zivilgesellschaft). Aus geringem Anlass kann die Behörde eine Untersuchung bei einer NGO einleiten, die bis zur gerichtlichen Anklage der Illegalität führen kann. Zudem kann sie die Einsicht in vertrauliche Dokumente jederzeit verlangen. Nicht nur die seit langem in Russland ansässige Organisation Human Rights Watch musste sich bei der Zulassungsbehörde erneut anmelden und die langwierige, bürokratische Prozedur der Erfüllung der Formalitäten über sich ergehen lassen (Russlands NGOs im Papierdschungel).

„Dies blockierte unsere Arbeit über Wochen und war zudem sehr kostenintensiv, ein Faktor, der bei anderen Organisationen zur Schließung der Vertretung in Russland führen kann. Doch letztlich haben wir es geschafft, uns unter einem anderen Namen anzumelden“, so Denber. 6000 andere NGOs stecken immer noch seit 2007 im Registrierungsverfahren fest und wissen noch nicht, ob sie von Schließung ihrer Vertretungen bedroht sind.

So wurde ein Wissenschaftszentrum (CPCR) in St. Petersburg 2007 von der lokalen Zulassungsbehörde einen Monat unter dem Verdacht untersucht, seinen Auftrag als Forschungseinrichtung zu missbrauchen. Die Anklage der Behörde lautete, dass die Institution Arbeiten mit „pädagogischen anstelle von rein wissenschaftlichen Inhalten“ erstelle, und unzulässige Veranstaltungen über den Raum St. Petersburg hinaus durchführe. CPCR wurde auch für eine Veröffentlichung über die Arbeit staatlicher Beamter angeklagt, die „die Interessen Russlands verletze und die Polizei beschuldige, dass sie nicht ausreichend für die Rechte von Flüchtlingen sensibilisiert sei“. Die lokale Zulassungsbehörde stellte daraufhin vor Gericht einen Antrag, CPCR zu schließen.

Ebenso von Schließung bedroht, seien 2007 diejenigen NGOs gewesen, die sich mit der Situation in Tschetschenien befassen. So wurde eine Forschungsgruppe, die täglich über Tschetschenien berichtete, wegen nicht rechtmäßiger Anmeldung und angeblicher Steuerhinterziehung angeklagt. Der Organisation, Informationszentrum des Rates von Nichtregierungsorganisationen, musste daraufhin eine Strafe von 20.000 US Dollar an die russischen Behörden bezahlen.

Die russische Regierung will mit dem Gesetz von 2006 eine bessere Kontrolle der ausländischen Gelder zur Unterstützung von Nichtregierungsorganisationen erreichen und gleichzeitig die Opposition gegenüber dem Kreml abschwächen. Denn der Kreml blicke seit der "Rosenrevolution" 2003 in Georgien und der „Orange Revolution“ 2004 in der Ukraine mit Misstrauen auf die Aktivitäten der zivilen Gesellschaft. HRW verfolgt mit der Veröffentlichung des Berichtes das Ziel, dass das Gesetz von 2006 abgeschafft, die Nötigung des Staates gegenüber NGOs beendet, der Pluralismus in Russland garantiert und die UN-Menschenrechtscharta eingehalten wird. „Um dies durchzusetzen, brauchen wir auch den Beistand des Europarates sowie der deutschen und französischen Regierung“, sagte Denber am Mittwoch in New York.