Russland ist nicht Charlie!

Der russische Kultusminister fordert zur "ideologischen Gegenoffensive" ein "patriotisches Internet" und sieht die russische Kultur einem "Blitzkrieg" ausgesetzt, religiöse Karikaturen sollen nicht verbreitet werden

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Der russische Kulturminister Vladimir Medinsky ist gerade in Nöten. Sein Ministerium hatte den Film "Leviathan" von Andrej Swjaginzew gefördert. Eigentlich hätte es ihn freuen sollen, denn schon in Cannes war Swjaginzew dafür mit dem besten Drehbuch ausgezeichnet worden. Und dann erhielt er jetzt den Golden Globe für den besten nicht englischsprachigen Film.

Screenshot aus dem Video.

Medinsky und die staatlichen russischen Medien sind aber gar nicht glücklich über den Erfolg des Films, der fürs Nationale eintretende Kulturminister sieht darin keine "reine russische Geschichte" und schon gar keine "positiven Helden". Für Medinsky sollten Filme nicht düster und voller "existentieller Hoffnungslosigkeit" sein, sondern die Menschen beflügeln. Nach dem Anschauen sollen die Menschen motiviert sein, "aufzustehen, auf die Straße zu gehen und etwas Gutes ohne abzuwarten zu tun - jetzt und hier".

Swjaginzew lässt in dem Film die biblische Hiobsgeschichte im heutigen Russland stattfinden, wo ein einfacher Mann durch einen korrupten Dorfbürgermeister ins Unglück gestürzt wird und alles verliert. Vorbild dafür war allerdings eine Geschichte aus den USA, die er nur nach Russland verlegt hat. Telepolis hatte seiner Zeit auch über die Taten des verzweifelten Mannes berichtet (Amokfahrt im selbstgebauten Panzer). Medinsky will solche negativen Filme nicht mehr fördern, Zensur aber lehnt er ab, gezeigt werden könnten sie schon.

Dies fordern aber orthodoxe Organisationen. Sie verlangen, dass der Film in Russland nicht gezeigt werden darf, weil die Russische Orthodoxe Kirche dort beleidigt und der russische Staat offen kritisiert worden sei. Man wünscht sich hier ein "orthodoxes Hollywood". Erzpriester Vsevolod Chaplin stört, dass im Film der Bürgermeister mit dem Priester Wodka trinkt. Und überhaupt würde man, wenn man die Kirche demütigt, Christus demütigen. Da sind die Orthodoxen den Islamisten ziemlich nahe.

Präsident Putin mit seinem Kulturminister Medinsky. Bild: kremlin.ru

Medinsky war schon lange der Meinung, weswegen er wohl auch 2012 zu Putins "Propagandaminister" aufgestiegen ist, dass über Russland gezielt "dreckige Mythen" als eine Art "psychologische Kriegsführung" verbreitet würden. Russland habe es getroffen, als es im 18. Jahrhundert mit Peter dem Großen zu einer politisch bedeutsamen Macht aufgestiegen ist. Seitdem werde die "russische Bedrohung" gehandelt. In Russland sei alles schlecht, eine demokratische Kultur gebe es nicht. Diese "dreckigen Mythen" müssen für ihn bekämpft werden. Zu dem Thema hatte er eine Buchreihe "Mythen über Russland" mit Titeln wie "Über russischen Alkoholismus, Faulheit und Grausamkeit" herausgegeben. Er gehörte auch einige Jahre einer von Medvedev einberufenen Kommission zur Widerlegung von falschen Geschichtsdarstellungen über Russland. Für seine politikwissenschaftliche Doktorarbeit über Objektivität in der russischen Geschichte soll er plagiiert haben.

"Russland ist nicht Europa"

Medinsky ist der Mann, der Russlands Abkehr von westlichen Werten in der Kultur in der Suche nach einer nationalen Identität als Großmacht durchsetzen soll. Der Patriotismus oder Nationalismus ist durch den neuen Kalten Krieg seit Beginn des Ukraine-Konflikts auch als Reaktion auf den Druck des Westens weiter verstärkt worden. Probleme gab es allerdings letztes Jahr, als er selbst Putin zu weit ging. In den "Grundlagen zur staatlichen Kulturpolitik" seines Ministeriums, in der reichlich mit Zitaten des tonangebenden Großen Meisters Putin gearbeitet wird, wird versucht, sich von der westlich-liberalen Kultur und fremden Werten abzugrenzen und eine russische "geistig-kulturelle Matrix" zu schaffen. In dem Dokument gibt es die zentrale These: "Russland ist nicht Europa." Die Werte der russischen Kultur seien seit dem russischen Reich über die Sowjetunion bis hin zum modernen Russland gleich geblieben. Die Grundlagen wurden wieder zurückgezogen.

Die neueste Idee von Medinsky ist der Ruf nach einem "patriotischen Internet" im Kampf um die Köpfe. Zusammen mit dem Vizeregierungschef Dmitry Rogozin, dem Regisseur Nikita Mikhalkov und anderen Prominenten hat er am Dienstag auf der Website einer militärhistorischen Gesellschaft einen Text veröffentlicht, der es in sich hat. Notwendig sei die "Stärkung des Staates und der Gesellschaft auf der Grundlage der durch unsere Geschichte entstandenen Werte". Und man sieht sich offenbar auch kulturell im Krieg: "Gegen uns - und das bedeutet gegen die Wahrheit - wurde ein neuer Blitzkrieg begonnen." Angeblich sei dies auch eine Reaktion auf die Äußerungen des ukrainischen Regierungschefs im ARD-Gespräch, der von einem sowjetischen Einmarsch in die Ukraine und Deutschland gesprochen hatte (Nazipropaganda in den Tagesthemen?). Das hat in Russland für viel Aufmerksamkeit gesorgt und weithin kursierende Meinung bestärkt, dass in der Ukraine Faschisten an der Regierung seien. Das Interview sei, so der Text, der erste Angriff "auf die historische Wahrheit durch Jazenjuk und seine Einsatzgruppen". Die Rufe "Ich bin Charlie" würden "das Geräusch des Artilleriesalven der ukrainischen Armee gegen die friedlichen Städte im Donbass" übertönen.

Patriotismus ist da notwendig, der zur Abwehr des Kulturkriegs und der westlichen Ideen unterstützt werden muss: "Wir brauchen Filme, Bücher, Ausstellungen, moderne Computerspiele, wir brauchen ein patriotisches Internet, ein patriotisches Radio und Fernsehen." All das soll zur erwünschten "ideologischen Gegenoffensive" beitragen. Gefeiert wird in dieser nationalistischen Rhetorik Putin, der dafür sorge, dass man die "Wiedergeburt der Macht unserer Armee und Marine sehen kann, die den europäischen Nazismus vor 70 Jahren besiegt haben". Dass hier nicht vom deutschen, sondern vom europäischen Nazismus gesprochen wird, zeigt die Tendenz, sich von Europa abzusetzen. Und die Durchsetzung der patriotischen Kultur und Gesellschaft geht natürlich einher mit zunehmender Zensur von Medien und der Unterdrückung der Opposition.

Dazu passt auch, dass die Kontrollbehörde für Medien, Telekommunikation und Datenschutz Roskomnadzor im Hinblick auf Charlie Hebdo und Mohamed-Karikaturen alle Medien gestern dazu aufgefordert hat, keine Karikaturen zu veröffentlichen, die Gefühle von Gläubigen verletzen können. Das stünde im Widerspruch zu den seit Jahrhunderten entwickelten ethischen und moralischen Normen, die es ermöglichen, dass Angehörige unterschiedlichen Religionen und Nationen zusammenleben können. Religiöse Gefühle verletzende oder Gläubige diskriminierende Karikaturen könnten zu religiösem und ethnischen Hass anstiften, was gegen das Mediengesetz verstößt. Daher habe man schon die Verbreitung der Mohamed-Karikaturen 2006 untersagt.

Allerdings sieht es in der Ukraine nicht viel anders aus. Präsident Poroschneko hat seinem Medinsky, also seinem Schwiegersohn Yuriy Stets, damit beauftragt, ein Informationsministerium aufzubauen, das gewissermaßen als Wahrheitsministerium dienen soll (Ukraine hat ein neues Ministerium für Informationspolitik). Damit sollen, so Poroschenko, "Angriffe auf die Ukraine abgewehrt werden, schließlich sieht sich die Ukraine einem "Propagandakrieg" aus Russland ausgesetzt und betrachtet Separatismus als Terrorismus. Nach Anton Herashchenko, dem Berater des Innenministers, soll das Ministerium einen Satellitensender einrichten, der auf der Krim, in der Russischen Föderation und auf der ganzen Welt "die Wahrheit über die Ereignisse in der Ukraine berichtet".