SPD will Kultur und Sport als neue Staatsziele

Die geplante Grundgesetzänderung würde Auswirkungen auf die Verabschiedung von öffentlichen Haushalten und Gesetzen sowie auf Gerichtsentscheidungen und Abwägungen von Behörden haben

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Aus Staatszielen im Grundgesetz lassen sich keine unmittelbaren Ansprüche ableiten. Sie müssen jedoch in Abwägungsprozessen gegen andere Rechtsgüter stärker berücksichtigt werden: Bei der Verabschiedung von öffentlichen Haushalten und Gesetzen ebenso wie bei Gerichtsentscheidungen und Abwägungen von Behörden. Andere Ziele müssen dann zugunsten der Kultur zurücktreten. Eine Aufnahme von Kultur und Sport ins Grundgesetz würde sich zudem nicht nur auf den Bundeshaushalt auswirken, sondern vor allem auch auf kommunale Haushalte und auf die der Länder, die ja eigentlich die Kulturhoheit innehaben. Vor allem dort ist eine Umschichtung von Geldern aus dem sozialen in den kulturellen Bereich und den organisierten Sport zu erwarten.

Vereine, Funktionäre und Lobbyisten freuen sich deshalb über einen von der SPD-Bundestagsfraktion eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zur Aufnahme von Kultur und Sport ins Grundgesetz. Laut Olaf Zimmermann, dem Geschäftsführer der Lobby-Organisation Deutscher Kulturrat, erfüllt die Partei mit dem "seit Jahren überfälligen" Gesetzentwurf ein Wahlversprechen. Nun sei es an "den anderen Fraktionen, gemeinsam mit den Sozialdemokraten eine überfraktionelle Initiative für das Staatsziel Kultur zu starten[, damit] es noch in dieser Legislaturperiode ins Grundgesetz aufgenommen" wird.

Auf Unterstützung rechnen kann die SPD aus der Linkspartei und aus der FDP. Die Berliner Linksfraktion hatte schon 2007 gemeinsam mit dem Sozialdemokraten beschlossen, dass sich das Land auf Bundesebene für eine Aufnahme der Kultur als Staatsziel in das Grundgesetz einsetzt. Dafür gab es öffentlichen Beifall von der kulturpolitischen Sprecherin der Linksfraktion im Bundestag, Lukrezia Jochimsen, ehemals Chefredakteurin des Hessischen Rundfunks. Sie forderte in einer gemeinsamen Erklärung mit dem kulturpolitischen Sprecher der Linksfraktion im Berliner Abgeordnetenhaus, Wolfgang Brauer, eine "Entscheidung des Bundestages für ein Staatsziel Kultur":

"Jetzt ist der Bundestag gefordert. Das Staatsziel Kultur gehört ins Grundgesetz. Mit der Aufnahme der Kultur als Staatsziel wollen wir erreichen, dass sich der Gesamt-Staat zu seiner Verantwortung bekennt, das kulturelle Erbe zu bewahren, Kunst und Kultur zu fördern und weiter zu entwickeln."

Bei soviel Begeisterung der Linkspartei-Politiker mutet es seltsam an, dass gerade die in anderen Bereichen gern für weniger Staat plädierende FDP-Bundestagsfraktion bereits vor fünf Jahren den Antrag stellte, Kultur als Staatsziel in das Grundgesetz aufzunehmen. Aber ausgerechnet im Bereich der Kultur sieht die FDP im Markt kein Heilmittel. Dies hat unter anderem damit zu tun, dass die Aufwertung von Kultur und Sport zu Staatszielen (wie bereits eingangs geschildert) indirekt gravierende Folgen für die Sozialpolitik hat. In der FDP gibt man diesen Effekt nicht nur offen zu, sondern befürwortet ihn sogar offen: Der Vorsitzende des Bundestagsausschusses für Kultur und Medien, der FDP-Politiker Hans-Joachim Otto äußerte gegenüber 2007 Telepolis: "Es kann nicht sein, dass ständig die Haushaltsentscheidungen zugunsten von Sozialmaßnahmen erfolgen und dabei die Kultur unter den Schlitten gerät."

Staatsoper unter den Linden in Berlin-Mitte: 186,10 Euro Subventionen pro Karte. Foto. Beek100. Lizenz: CC BY-SA 3.0

Dabei spricht viel dafür, dass in den mit jährlich neun Milliarden Euro bezuschussten Bereich Kultur in Deutschland (anders als in der Schweiz, wo das Volk über Subventionserhöhungen abstimmt) eher zu viel, als zu wenig Steuergeld fließt: Die Kulturausgaben der deutschen Gemeinden stiegen zwischen 1975 und 1995 schneller als die kommunalen Haushalte. Oft zweistellig - und 1975 sogar um 26,5 Prozent. Der Berliner Piraten-Abgeordnete Christopher Lauer machte im März öffentlich, dass jeder Berliner ab dem Zeitpunkt seiner Geburt jährlich 35 Euro und acht Cent alleine für die Opern seiner Stadt bezahlen muss - ob er sie besucht oder nicht. Und die Mehrheit besucht sie nicht: Denn die 2010 insgesamt 120.765.000 Euro Zuschuss verteilen sich lediglich auf 675.476 verkaufte Karten, von denen jede einzelne mit 178,80 subventioniert wird.

Häufig gehen Zuschauerzahlen mit mehr subventioniertem Angebot sogar zurück: In der Saison 1991/92 gab es in Deutschland beispielsweise 25 Theaterfestivals mit 1324 Vorstellungen. 2009/10 waren es 56 Festivals mit 3579 Vorstellungen. Die Zahl der Besucher pro Vorstellung sank in diesem Zeitraum von 1080 auf 680. Dieser Effekt erklärt sich unter anderem daraus, dass die meisten Kulturangebote nicht dem Konsum im stillen Kämmerlein, sondern der Distinktion dienen, wie Dieter Haselbach, Armin Klein, Pius Knüsel und Stephan Opitz in ihrem Buch Der Kulturinfarkt feststellen. Subventionen führen jedoch zu einem "allgemeinen Überangebot" und vermindern damit die Prestigetauglichkeit.1

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