Goethe würde Opern privatisieren

Warum sich Sahra Wagenknecht auch mit Frank Capra und den Simpsons beschäftigen sollte

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Unlängst leitete Sahra Wagenknecht von der Linkspartei einen Aufsatz für die Frankfurter Allgemeine Zeitung mit einem Zitat aus Faust II ein, das sie für die aktuelle wirtschaftliche und politische Situation in Deutschland recht passend fand:

Wir wollen alle Tage sparen und brauchen alle Tage mehr. Und täglich wächst mir neue Pein.

Das sagt der kaiserliche Marschalk bevor – wie Wagenknecht es formuliert - Mephistopheles den Tipp gibt, "ungedecktes Papiergeld einzuführen, das in dieser Gesellschaft natürlich nicht für produktive Investitionen genutzt, sondern in einem dekadenten Luxusrausch verbraten wird." "Am Ende", so die Politikerin, "bricht der Spuk zusammen, und das Land versinkt endgültig in Armut und Anarchie."

Johann Wolfgang von Goethe auf einem Ölgemälde von 1828.

Diese Analyse ist eigentlich nicht unzutreffend. Allerdings fragt man sich danach, was Sahra Wagenknecht eigentlich in der Linkspartei sucht, in der man sich eher an den mephistophelischen Rat zu halten scheint: Das zeigte sich unter anderem am Fall des Verkaufs von 48.000 Wohnungen der Stadt Dresden an die US-Investorengruppe Fortress, mit dem der (2008 wegen Beihilfe zum Bankrott verurteilte) ehemalige FDP-Oberbürgermeister Ingolf Roßberg Geld einnehmen wollte, um zu "gestalten, anstatt nur Schulden zu verwalten" - auch und vor allem für die Kulturpolitik. Trotz 45.000 Unterschriften für die Bürgerinitiative "Woba erhalten!" stimmte auch eine Mehrheit der PDS-Stadträte für den Wunsch des FDP-Kommunalpolitikers. Der PDS-Landespolitiker Ronald Weckesser rechtfertigte dieses Votum mit einem Verweis auf den "kulturellen Bereich", der sonst der Gefahr von Kürzungen ausgesetzt gewesen wäre. Und, so Weckesser, "Welcher Linke will das schon?"

Gewollt hätten das möglicherweise einige der 100.000 Mieter (ein Fünftel der Dresdener Bevölkerung), die kurz nach der Privatisierung erlebten, dass die vorher öffentlichkeitswirksam gepriesene "Sozialcharta", die ihnen Schutz vor Mieterhöhungen, Kündigungen und ungewollten Umbauten versprach, sich während der Dauer einer Pressekonferenz in reine Makulatur verwandelte: Dort gab Matthias Moser, der Geschäftsführer der Fortress Deutschland GmbH, bekannt, dass die Wohnungen so schnell wie möglich in die Firma Gagfah integriert und so nach luxemburgischem Recht an die Börse gebracht würden, wo die vor dem Verkauf gemachten Versprechungen keinen Pfifferling mehr wert sind. Einer im April eingereichten Klage der Stadt Dresden werden eher geringe Chancen eingeräumt.

In Berlin beschloss die Linkspartei in einer Koalition mit der SPD, dass sich das Land auf Bundesebene für eine Aufnahme der Kultur als Staatsziel in das Grundgesetz einsetzen solle. Beifall erhielten die Berliner Politiker dafür unter anderem von der kulturpolitischen Sprecherin der Linksfraktion im Bundestag, Lukrezia Jochimsen, ehemals Chefredakteurin des Hessischen Rundfunks. Sie forderte in einer gemeinsamen Erklärung mit dem kulturpolitischen Sprecher der Linksfraktion im Berliner Abgeordnetenhaus, Wolfgang Brauer, eine "Entscheidung des Bundestages für ein Staatsziel Kultur".

Als verfassungsmäßig verankertes Staatsziel müsste Kultur dann in Abwägungsprozessen gegen andere Rechtsgüter stärker berücksichtigt werden - bei der Verabschiedung von öffentlichen Haushalten und Gesetzen ebenso wie bei Gerichtsentscheidungen und Abwägungen von Behörden. Andere Ziele müssten dann zugunsten der Kultur zurücktreten. Eine Aufnahme ins Grundgesetz würde sich nicht nur auf den Bundeshaushalt auswirken, sondern vor allem auch auf kommunale Haushalte und auf die der Länder, die ja eigentlich die Kulturhoheit innehaben. Vor allem dort ist eine Umschichtung von Geldern aus dem sozialen in den kulturellen Bereich zu erwarten.

Umfragen zufolge gehen rund zwei Drittel aller Deutschen nie in ihrem Leben in die Oper oder ins Theater. Auch wenn die für Kultur aufgewendeten Summen als Anteile in den Haushalten nicht sehr hoch erscheinen, wird die mit den Zahlungen begünstigte Klientel doch pro Kopf sehr hoch subventioniert: Eine Opernpremierenkarte kostet fast 200 Euro. Unsubventioniert würde sie nach Angaben des FDP-Staatssekretärs Hans-Joachim Otto ein "Vielfaches" davon kosten.

Was würde dagegen sprechen, so etwas nicht mehr mit Steuergeldern zu subventionieren? Welche Schäden wären zu erwarten, wenn im Zeitalter der Billig-DVD Opern- und Theaterkarten zu dem Preis angeboten würden, von dem ein guter Teil der Besucher sonst so schwärmt - dem Marktpreis? Mit einem "Marktversagen" lassen sich solche Zahlungen in jedem Fall nicht rechtfertigen: Denn weder sind sie überlebensnotwendig für Menschen, noch natürliche Monopole wie die Wasserversorgung, in denen sich kein Wettbewerb bilden würde.

Olaf Zimmermann, der Geschäftsführer der Lobbyorganisation Deutscher Kulturrat, brachte im letzten Jahr in einer via Pressemitteilung verbreiteten Besorgnisäußerung den stark gekünstelt, aber trotzdem wenig hochkulturell klingenden Slogan "Starke Städte brauchen starke Kultur-Kraftwerke!" unter. Wenn eine Stadt "ihren Gürtel enger schnallen" muss, so Zimmermann, dann dürfe das "keinesfalls dazu führen, dass das kulturelle Profil einer Stadt immer stärker verwässert wird", denn "die Identität einer Stadt hängt unmittelbar mit ihren Kulturleistungen zusammen". Ein wirkliches Argument gegen Opernschließungen findet sich in dieser Äußerung nicht. Man kann ihr aber indirekt entnehmen, dass Zimmermann offenbar lieber in allen anderen Bereichen sparen will als bei der Subvention von Opernhäusern. Diesen Weg schlägt beispielsweise die Stadt Wuppertal ein, die trotz der Nähe zum Ruhrgebiet mit seinen zahlreichen Spielstätten eine eigene und kaum besuchte Oper weiter mit Schulden finanziert. Dafür kürzte man unter anderem bei den Hilfen für Obdachlose.

Die treffendste Kritik zu so einer Haltung kam bisher weder von einer parlamentarischen noch einer außerparlamentarischen Opposition, sondern vom Simpsons-Autor Daniel Chun, der die Folge Rome-old and Juli-eh schrieb, in der Homer Simpson Privatinsolvenz anmeldet und einen Schuldenberater zur Seite gestellt bekommt. Sparen will er aber nicht etwa an den von diesem Berater vorgeschlagenen monatlichen 1000 Dollar für Wunschbrunnen (mit denen er sich mehr Geld wünscht), 500 Dollar monatlich für totalpoker.com oder drei Abonnements von Vanity Fair (für drei Toiletten). Stattdessen holt er Grandpa Simpson gegen seinen Willen aus dem Altersheim.

Ein anderer sehr passender Kommentar ist Frank Capras Filmklassiker Mr. Deeds Goes to Town. Darin erbt Gary Cooper als Longfellow Deeds überraschend ein Millionenvermögen. Kurz nach dem Antritt des Erbes wählt ihn der Vorstand der Oper in der Nachfolge seines verstorbenen Onkels zum Präsidenten. Als Cooper, der einfache Mann aus dem Volk, in dieser Position wider Erwarten die Geschäftszahlen der Einrichtung hören will, muss er feststellen, dass diese ein hohes Defizit erwirtschaftet, welches er ausgleichen soll. Das sei, so die anderen Mitglieder des Vorstandes auf seine Nachfrage hin, ganz normal und müsse so sein. Deeds aber will das durchaus nicht als normal akzeptieren und sagt ihnen, dass sie die Oper entweder als profitables Unternehmen führen oder schließen müssten.

Später beschließt er den größten Teil des Vermögens seines Onkels hungernden Farmern zu geben, die von Banken enteignet wurden. Darauf hin versucht die Anwaltsfirma, die das Vermögen des Verstorbenen mit recht viel Eigennutz verwaltet hat, Deeds entmündigen zu lassen. So muss dieser vor Gericht erklären, warum er mit seinem Geld nicht die Oper subventioniert, sondern lieber armen Leuten hilft, sich eine neue Existenz aufzubauen. Das macht er mit dem Vergleich, dass er lieber einen Ertrinkenden in sein Boot holt als jemanden, der ein eigenes hat und nur zu faul zum Rudern ist.

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