Sandinisten siegen erneut in Nicaragua

Nach 16 Jahren kehren die Sandinisten unter Daniel Ortega an die Macht zurück und sind noch immer mit Analphabetismus und Armut konfrontiert, wie schon nach dem Sturz der Diktatur 1979

Der folgende Beitrag ist vor 2021 erschienen. Unsere Redaktion hat seither ein neues Leitbild und redaktionelle Standards. Weitere Informationen finden Sie hier.

Die Auszählung der Stimmen in dem kleinen mittelamerikanischen Land Nicaragua geht nur langsam voran. Doch ist nach Auszählung von 62 % der Urnen klar, dass die "Sandinistische Befreiungsfront" (FSLN) die Wahlen gewonnen hat. Da der FSLN-Kandidat Daniel Ortega fast 8 % vor dem Verfolger liegt, wird es wohl keine Stichwahl geben. Während die US-Botschaft von "Anomalien" spricht, erklären die übrigen Beobachter es habe sich um saubere Wahlen gehandelt. Getrübt wurden die "friedlichen und geordneten" Wahlen nur durch einen der vielen Stromausfälle, welche die Auszählung behindern.

Update:

"Das Resultat favorisiert Daniel Ortega den ich angerufen habe, um meine Glückwünsche entgegen zu nehmen." Mit diesen Worten erkannte der direkte Gegenkandidat Eduardo Montealegre (ALN) den Wahlsieg der FSLN an. Das geschah, nachdem der Wahlrat fast 92 % der Wahlurnen ausgezählt hatte, wonach auf Ortega 38,07 % der Stimmen entfielen. Damit lag er sogar fast 9% vor Montealegre, der 29% erhielt. José José Rizo (PLC) erzielte 26,21%, Edmundo Jarquín von der FSLN-Abspaltung 6,44%. Nach dem Wahlsieg erklärte Ortega, er wolle "das Land aus der Armut" führen und für die nationale "Versöhnung" eintreten.

Die Wahl in Nicaragua ging so aus, wie es allseits erwartet wurde: Mit einem Sieg der sandinistischen FSLN. Das siegreiche Referendum in Panama, mit dem der Ausbau des Panamakanals beschlossen wurde, hat der Rechten im Land den letzten Trumpf aus der Hand geschlagen (Kanal der Konflikte). Erneut hatten die Konservativen kurz vor der Wahl das Projekt ausgegraben, einen Kanal durch Nicaragua zu bauen, um Arbeitsplätze und Wohlstand in dem zweitärmsten Land Lateinamerikas zu versprechen (Sandinismus für Nicaragua?). Nach der Entscheidung in Panama dürfte der Plan allerdings wieder in den Schubladen verschwinden, in denen er seit mehr als 100 Jahren verstaubt.

Da sich die zerstrittenen Konservativen nicht auf einem Kandidaten einigen konnten, stand dem Sieg von Ortegas FSLN nichts mehr im Weg. Die Frage war nur, ob es eine Stichwahl geben wird. Ein Kandidat muss im ersten Wahlgang 40 % erreichen, um direkt Präsident zu werden. Schafft er das nicht, reichen auch 35 %, wenn der Vorsprung zum Gegenkandidaten 5 % ausmacht. In der Stichwahl hätten die Rechte wieder eine Chance, wenn sie ihre Stimmen auf den verblieben Kandidat konzentrierte.

Nach der Auszählung von 40 % der Wahlurnen erfüllte Ortega sogar beide Bedingungen, um einer Stichwahl zu entgehen. Er lag über 40 % der Stimmen (2001 waren es 41 %) und fast 8 % Vorsprung vor Eduardo Montealegre von der konservativen Liberalen Allianz (ALN). Nach Auszählung von 62 % der Wahlurnen ist Ortega zwar auf 38,6 % zurückgefallen, allerdings hat auch Montealegre Stimmen eingebüßt, der nun nur noch bei knapp 31 % liegt. Ortega konnte aber den Abstand von fast 8 % zu seinem stärksten Verfolger halten. Klar ist, dass die FSLN in 10 der 15 Departments der Republik die Wahlen gewonnen hat, darunter mit 172.000 Stimmen auch die Hauptstadt Managua. Der von den USA gestützte Kandidat der konservativen Liberal-Konservativen Partei (PLC), der Bankier José Rizo, liegt abgeschlagen auf dem dritten Platz mit 23 % der Stimmen. Einen Achtungserfolg hat die Sandinistische Erneuerungsbewegung (MRS) erreicht. Der Kandidat der linken FSLN-Kritiker, die weitgehend aus ehemaligen Kadern und Gründungsmitgliedern der Partei besteht, erreichte 7,25 % der Stimmen. Bei den gleichzeitig stattfindenden Parlamentswahlen und Departmentswahlen erzielte sie sogar fast 10 %.

Die liberale Tageszeitung "El Nuevo Diario" stellte fest, das "Ergebnis ist irreversibel" und erklärt Ortega zum Wahlsieger, weil der Unterschied nicht mehr aufzuholen sei. Darin war sie sich sogar mit der konservativen "La Prensa" einig, die mit Bezug auf den Wahlrat (CSE) ebenfalls von einer "unumkehrbaren Tendenz" spricht. Beide Zeitungen zitieren den Sprecher des Wahlrats Roberto Rivas, der erklärt habe, die Daten würden in der weiteren Auszählung kaum noch variieren.

Das Ergebnis deckt sich mit dem Ergebnis der unabhängigen Beobachterorganisation Ethik und Transparenz, die mehr als 10.000 Beobachter in alle Wahllokale entsandt hatte. Nach deren Schnellzählung habe Ortega rund 38,5 % auf sich vereinigen können, sagten sie schon am Montag. "Dieses Ergebnis ist endgültig", sagte der Vorsitzende der Organisation Roberto Courtney, weshalb Ortega der Wahlsieg nicht mehr zu nehmen sei. Der hält sich derweil noch taktisch zurück. "Ich möchte klarstellen, dass wir das Gesetz achten und das offizielle Endergebnis das CSE abwarten." Darin werde mit Klarheit bestimmt, wer der nächste Präsident von Nicaragua sei, sagte Ortega. Er spielte damit darauf an, dass sich zum Beispiel der PLC-Kandidat sich 1996 gegenüber ihm schon zum Wahlsieger erklärt hatte, als gerade 7 % der Stimmen ausgezählt waren. Danach waren viele Unregelmäßigkeiten aufgeflogen und später wurde der Ex-Präsident Arnoldo Alemán wegen Korruption zu zehn Jahren Haft verurteilt.

Der Wahlprozess sei "ohne Betrugsversuche zu Ende gegangen", sagte der Leiter der Wahlbeobachtungsmission der Europäischen Union, Claudio Fava, am Montag (Ortszeit) in Managua. Die Wahlen seien ruhig und friedlich verlaufen, fügte der Italiener an. "Der Prozess lief friedlich, geordnet und in Übereinstimmung mit den Gesetzen ab", befand der Sprecher der Organisation Amerikanischer Staaten (OAS) Gustavo Gutiérrez . Der Ex-Präsident der USA Jimmy Carter, dessen Carter-Center seit 1990 die Wahlen in Nicaragua beobachtet, sprach nur von kleineren Mängeln.

Nur die amerikanische Botschaft ließ in der Nacht zum Montag verlauten, dass sie dem Wahlprozess nicht traue. Die Administration Bush hatte sich im Vorfeld offen in den Wahlkampf des souveränen Landes eingemischt. Ihr Botschafter in Managua drohte mit der Einstellung der Entwicklungshilfe bei einem Sieg von Ortega. Damit malten sie erneut einen Konflikt mit dem großen Nachbarn im Norden an die Wand. Der überraschende Wahlverlust der Sandinisten 1990 war zu großen Teilen dem zermürbenden Contra-Krieg zuzuschreiben, den die USA finanziert hatten. Er kostete etwa 40.000 Menschen das Leben und verhinderte die Entwicklung des Landes. Bis auf den Ex-Contra Chef Eden Pastora weigern sich die übrigen Kandidaten noch, den Sieg Ortegas anzuerkennen, wozu er sie aufforderte. Pastora, der gerade einmal 0,28 % der Stimmen erreichte, erklärte: "Sie können jetzt zeigen, ob sie Demokraten sind."

Modell Cahvez für Nicaragua?

Gerät Nicaragua mit dem erneuten Sieg der FSLN wieder, wie in den achtziger Jahren, zwischen die Mühlsteine eines Systemkonflikts unter neuen Vorzeichen? Wird es statt des "Vorpostens der Sowjetunion" 16 Jahre später der Vorposten von Venezuela vor der Haustür der USA? Der US-Botschafter in Managua Paul Trivelli sagte die Umsetzung des "Modells Chávez" für Nicaragua bevor. Es ist klar, dass ihn und seinen Chef in Washington stört, dass es mit dem Wahlsieg der FSLN gelungen ist, aus der Phalanx der US-Freunde in Mittelamerika erstmals wieder ein Land heraus zu brechen. Das ist zuletzt in Mexiko, begleitet von massiven Wahlbetrugsvorwürfen und Protesten, gescheitert (Mexiko mit zwei Präsidenten).

Nicaragua jedenfalls kann nun von dem Pakt profitieren, den Venezuela, Kuba und Bolivien geschlossen haben. Denn nach 16 Jahren Korruption und neoliberaler Misswirtschaft wurden viele Errungenschaften der Revolution getilgt, die trotz des blutigen Contra-Kriegs und der Blockade durch die USA erreicht worden waren. Heute gibt es in Nicaragua wieder eine Million Analphabeten. Von 1.000 Neugeborenen sterben 80, während es in den USA zehn sind und in Kuba nur fünf. Nach den sozialen Indikatoren der UN stürzte das Land weltweit bis auf den 126. Platz ab. Arbeitslosigkeit und Unterbeschäftigung betreffen 50 % der Bevölkerung, von der 80 % als arm gelten und von weniger als zwei Dollar am Tag leben müssen. Das Pro-Kopf Einkommen ist sogar niedriger als vor 40 Jahren. Für diese Entwicklung machen Entwicklungsorganisationen den Internationalen Währungsfond (IWF) und die Weltbank verantwortlich, deren neoliberalen Programme aber lauthals Entwicklung und Wachstum versprechen.

Im Wahlkampf hatte sich Ortega trotz allem bedeckt gehalten, was die Einbindung in die "Bolivarianische Alternative für Amerika" (ALBA) von Hugo Chávez angeht (Streit um Freihandel). Obwohl die Beziehungen zu Chávez gut sind, befürchtete Ortega Nachteile im Wählerverhalten, wenn er sich klar auf den Venezolaner bezieht. Die Wahlen in Ecuador oder Peru waren ihm deutliche Warnungen.

Chávez begrüßte derweil den Sieg des "sandinistischen Bruders". Nicaragua unter Ortega wird keine andere Möglichkeit haben, als auf die Solidarität von Kuba, Venezuela und Bolivien zu setzen. Von einer anderen Seite ist keine schnelle und effektive Hilfe zu erwarten. Ähnlich war es 1979 bei der Unterstützung durch die Sowjetunion, weil die USA nach dem Sturz des von ihnen gestützten Diktators, keine Alternative in Nicaragua dulden konnten, die sie nicht kontrolliert.

Sollte es in Nicaragua erneut gelingen, eine Verbesserung der Lebenssituation der breiten Bevölkerung zu erreichen, könnte die Bush-Regierung schnell wieder die Konzepte von Ronald Reagan ausgraben, der stets von einem Dominoeffekt in Mittelamerika warnte. Der könnte die Vormachtstellung der US-Freunde in ganz Mittelamerika gefährden.

Mit Kuba hat Ortega vereinbart, dass die Karibikinsel erneut Lehrer und Ärzte schicken wird, um das am Boden liegende Gesundheits- und Bildungssystem aufzurichten. Schon im Wahlkampf hatte Venezuela Gemeinden mit Treibstoff zu Vorzugspreisen beliefert, in denen die FSLN regiert. Dazu könnte nun auch noch billiges Gas aus Bolivien kommen, denn das Land leidet, wegen der Privatisierung des Energiesektors, unter einer schweren Energiekrise. Die sorgte oft dafür, dass die Wähler die zahllosen Werbespots, mit denen die Rechten vor der "Rückkehr dunkler Mächte" warnten, nicht zu sehen oder zu hören bekamen. Selbst die Auszählung der Stimmen wurde durch einen "Apagón" (Stromausfall) beeinträchtigt.

Für die dringendsten Probleme hat Ortega also kurzfristig Antworten parat. Langfristig, so schätzen Fachleute, benötigte das Land aber ein Wachstum von 7,5 %. Hart treffen könnte Nicaragua, wenn die Drohungen von konservativen Senatoren in den USA umgesetzt würden. Sie wollen die Geldsendungen der 250.000 Nicaraguaner in den USA in die Heimat verbieten, wenn die FSLN an die Macht kommt. Etwa 1,2 Milliarden Dollar schicken die Emigranten pro Jahr nach Hause. Von diesem Geld leben viele Familien und es ist eine wichtige Stütze der Wirtschaft. Viel wird also in Nicaragua auch davon abhängen, wie stark die Republikaner in den USA bei den Wahlen nun Federn lassen müssen.