Scharia in Afghanistan
Schützen die Nato-Truppen einen islamischen Staat gegen die Taliban?
In Somalia hat die neue Regierung unter dem ehemaligen Führer der "Union der Islamischen Gerichte" (ICU) die Scharia eingeführt. Das Parlament hat zugestimmt. Damit sollen islamistische militante Gruppen in einen Friedensprozess eingebunden und die Gewalt beendet werden. Allerdings haben sich einige Gruppen wie al-Shabaab, die sich von der ICU ablösten, derart radikalisiert, dass sie weiterhin die Friedenstruppen der Afrikanischen Union, aber auch die Regierungstruppen bekämpfen und schon große Teile des Landes beherrschen.
Hatte die US-Regierung noch vor zwei Jahren die ICU vehement bekämpft, so hatte nun die neue US-Regierung dem als gemäßigt islamisch geltenden Präsidenten zum Amtsantritt gratuliert, der in Somalia einen islamischen Staat aufbauen will (Somalia: Vom Terroristen zum Retter der Nation). Auch in Afghanistan hat Obama angeregt, mit den Taliban zu sprechen, die gleichfalls wieder einen islamischen Staat aufbauen und die Scharia einführen wollen. Der Abzug der westlichen Truppen und eine Wiederkehr des islamischen Staates wären vermutlich der Preis für einen Friedensprozess und die Möglichkeit, die westlichen Truppen aus Afghanistan abziehen zu können.
Allerdings ist Afghanistan schon in der Verfassung ein islamischer Staat geworden und kein wirklich demokratischer Rechtsstaat. Kein Gesetz, so heißt es in der Verfassung, darf die Scharia verletzen. Nun ist die Scharia kein festgelegtes Gesetzeswerk, sondern kann in vielen Hinsichten und durch unterschiedliche Auslegungen je nach Region und Land und islamischen Strömungen variieren.
Ein Fall, der in Afghanistan vor das Oberste Gericht kam und im Sinne einer streng und rückwärts ausgelegten Scharia entschieden wurde, lässt die Frage entstehen, welches Rechtssystem die Nato-Truppen in dem Land eigentlich gegen die Taliban verteidigen. Christian Schmidt (CSU), der parlamentarische Staatssekretär im Verteidigungsministerium, hat vor wenigen Tagen eigentlich schon die fatale Antwort gegeben. Man dürfe nur mit Taliban verhandeln, die die Waffen niedergelegt haben, aber sie dürfen nach ihm auch "extrem islamisch" sein.
Das ist auch das Oberste Gericht. Zur Verhandlung stand der Fall des afghanischen Journalistikstudenten Parvez Kambakhsh, den ein Berufungsgericht, vermutlich unter starkem Druck des Präsidenten Karsai, zu 20 Jahren Haft verurteilt hat. Zuvor hatte ihn ein Gericht wegen Blasphemie zum Tode) verurteilt (In den Mühlen der afghanischen Justiz). Während seiner Inhaftierung sei er geschlagen und gefoltert worden, berichtete Kambakhsh, der seit Oktober 2007 im Gefängnis sitzt. Vorgeworfen wurde dem einstigen Journalistikstudenten, er habe einen Text aus dem Internet heruntergeladen, ausgedruckt und verteilt, der blasphemisch sei. Er hatte die Menschenrechte von Frauen zum Thema und kritisierte diesbezüglich den Islam.
Das Oberste Gericht hatte im Geheimen getagt, weder der Angeklagte noch sein Verteidiger waren geladen worden. Und auch das Urteil, das im Februar gesprochen wurde, hat der Anwalt erst einen Monat später erfahren. Vermutlich könnte nur eine Begnadigung durch den Präsidenten den jungen Mann aus dem Gefängnis helfen, aber Karsai dürfte sich vor der Wahl nicht gegen die Islamisten stellen, um seine Wiederwahl nicht noch stärker zu gefährden, als sie eh schon ist. Viele Hilfsgelder sind in die Wiederherstellung des Rechtssystem, den Bau von Gerichten und die Ausbildung von Richtern und Rechtsanwälten geflossen. Viel geholfen hat dies nicht, meint der Verteidiger des Studenten. Dessen Bruder Sayed Yaqub Ibrahimi, ebenfalls ein Journalist, ist noch schärfer: "Die Taliban waren sehr klar. Sie sagten, wofür sie sind und wogegen sie sind. Aber diese Regierung behauptet, die Demokratie und die Meinungsfreiheit zu verteidigen, während sie in Wirklichkeit gegen diese Werte verstößt. Sie sind schlimmer als die Taliban."