Schulsystem wie im 19. Jahrhundert: Autorin Cornelia Funke fordert radikale Reform

Autorin Cornelia Funke auf einer Bühne

Sorgt sich um Kinder: Cornelia Funke. Bild: Markus Wissmann/ Shutterstock.com

Deutschlands Schulsystem gleiche unbezahlter Kinderarbeit. Funke fordert radikale Reformen. Warum sie selbst an der Schule fast zerbrochen wäre.

Die Kinder- und Jugendbuchautorin Cornelia Funke übt in einem Interview scharfe Kritik am deutschen Bildungssystem und fordert grundlegende Änderungen, um die Rechte von Kindern zu stärken. Funke, die mit ihren Bestsellern wie "Herr der Diebe" oder der "Tintenwelt"-Reihe weltweit erfolgreich ist, sieht das aktuelle Schulsystem als "unbezahlte Kinderarbeit" und "Kinder-Aufbewahrung", wie sie im Interview mit dem Berliner Tagesspiegel sagte.

Schule raubt Kindern die Kindheit

"Ihnen wird ihre Kindheit genommen", so die Autorin über den von Stress und Überforderung geprägten Schulalltag. Kinder seien oft schon "ausgeblutet", wenn sie die Universität erreichen. Funke bemängelt, dass Schule zu lange dauere und zu wenig Raum für Familienleben und Freundschaften lasse. Auch die Praxis, nach Schulschluss noch Hausaufgaben zu erteilen, kritisiert sie scharf. Funke im Wortlaut:

Ihnen wird ihre Kindheit genommen. Die sind schon ausgeblutet an Stress und Überforderung, wenn sie zur Uni kommen. Wenn ich einen Zauberstab hätte, dann würde ich unser Schulsystem grundlegend ändern. Derzeit ist Schule allzu sehr Kinder-Aufbewahrung. Sie geht viel zu lang und gleicht eigentlich unbezahlter Kinderarbeit.

Schule muss sich auf die Welt von heute einstellen

Funke fordert eine grundlegende Reform hin zu einer Schule, die "auf diese Zeit und Welt reagiert". Abstraktes Wissen dürfe nicht über Kunst und Handwerk gestellt werden. Stattdessen müsse mehr gelernt werden, was hilft, "diese Welt und Zeit zu begreifen und einen Beitrag zu ihrer Verbesserung zu leisten."

Mit dem Verweis auf das "Fabrikmodell des 19. Jahrhunderts" kritisiert sie die Rückständigkeit des Schulsystems.

Geschichten können gegen Faschismus sensibilisieren

Laut Funke können Geschichten junge Menschen gegen Faschismus sensibilisieren - auch wenn sie nicht jeden erreichen können. Sie betont, dass der Rassismus und Faschismus in jedem Menschen stecke und es eine tägliche Entscheidung sei, sich dagegen zu stellen.

Dafür brauche es vor allem "Aufklärung und Gemeinsamkeiten". Sie betont auch die Wichtigkeit, den Geschichten von Immigranten zuzuhören, um Vorurteile abzubauen.

"Grünes Jahr" statt Rückzug

Funkes Plan, sich 2024 vom Schreiben zurückzuziehen und ein "grünes Jahr" einzulegen, ist nicht ganz aufgegangen – zu viele Geschichten haben sie "angesprungen":

Es wird eine Art Fortsetzung von "Herr der Diebe". Ich hätte einfach nicht nach Venedig fahren sollen. Und ich schreibe gerade eine Fernsehserie über die "Wilden Hühner" als Erwachsene. Derzeit eine Frau mit 30 zu sein, ist nicht leicht. Wie stellt man die Weichen in einer Welt, in der man nicht mehr an Zukunft glaubt? Es war damals schon wichtig, wofür die Hühner gekämpft haben. Es war wichtig, dass Wilma sich in ein Mädchen verliebte. Und dass sie einen Gemüsegarten hatten. Und jetzt geht es darum, wie sich all diese Aspekte in der heutigen Welt widerspiegeln – ohne die Geschichte zu verraten.

Politisch sei ihr vor allem die Dringlichkeit des Umweltschutzes bewusst, so die Schriftstellerin weiter. Mit einem eigenen Artists-in-Residence-Programm unterstützt sie junge Aktivisten und Künstler, die sich mit Natur und Umwelt beschäftigen.