Schweden steigt zum schärfsten China-Hardliner in der EU auf

Seite 2: Falkenpolitik, Meinungsmache und Stimmungsumschwung

Die schwedische Falkenpolitik gegenüber China zeigt sich auch in einem Vergleich mit der Sicherheitsstrategie der Bundesregierung, die ebenfalls im Juni veröffentlicht wurde. Dort wird laut Foreign Policy zum Beispiel 71-mal das Thema Klima angesprochen, China sechsmal. Im schwedischen Pendant sind es 53 Mal fürs Klima, aber sage und schreibe 331 Mal China. (In den Sicherheitspapieren in den Jahren zuvor wurde China nur am Rande erwähnt.)

Während Deutschland dem europäischen Konsens dabei mehr oder weniger folgt und von China als Rivalen und Konkurrenten spricht, aber Beijing in globalen Fragen auch als unvermeidbaren Partner ansieht, ist Stockholm kompromisslos. China wird ausschließlich als Bedrohung in den Blick genommen.

Der extreme außenpolitische Schwenk gegenüber Beijing wurde, wie der Beitritt zur Nato, ohne öffentliche Debatte vollzogen. Das ist angesichts der kämpferischen und militarisierten neuen Sichtweise, die dazu beitragen könnte, die Nato noch schärfer in eine Konfrontation mit China zu treiben, verblüffend.

Während die sicherheitspolitische Kehrtwende gegenüber China und die Abkehr von der diplomatisch ausgerichteten Neutralität in Schweden unter Tabu gestellt werden, verbreiteten die Medien Panik im Zuge des Einmarsches Russland in die Ukraine und präsentierten den überhasteten Nato-Beitritt als alternativlos.

Das hat viele Menschen in Schweden verunsichert. Es ähnele, so Parsi und Stranne, der US-Debatte über den Irak-Krieg vor zehn Jahren, bei der andere Meinungen ausgemerzt bzw. verunglimpft wurden. Zudem beherrsche das Narrativ der Biden-Administration, dass sich der Westen in einem großen "Kampf zwischen Demokratie und Autokratie" befände, die Meinungsbildung in Schweden.

Die Effekte der verzerrten Debattenführung zeigen sich in Umfragen. So ergab eine repräsentative Erhebung des European Council on Foreign Relations Anfang Juni, dass eine Mehrheit der Menschen in den Ländern der Europäischen Union der Auffassung ist, dass China ein "notwendiger Partner" für ihre Länder ist, im Gegensatz zu einem "Rivalen" oder "Gegner".

Die Umfrage, an der mehr als 16.000 Personen aus elf EU-Mitgliedstaaten teilnahmen, zeigt auch, dass eine solide Mehrheit der Befragten es vorziehen würde, dass ihr eigenes Land in einem möglichen Konflikt zwischen den Vereinigten Staaten und China über Taiwan neutral bleibt.

Die meisten Europäer sehen die Vereinigten Staaten zwar als "Verbündeten" oder "Partner" an, sind aber auch mehrheitlich der Meinung, dass Europa seine eigenen Sicherheits- und Verteidigungskapazitäten ausbauen sollte und sich bei der Gewährleistung seiner Sicherheit nicht immer auf Washington verlassen kann.

Schweden fällt in dieser Untersuchung aus der Reihe und vertritt die am stärksten ablehnende Haltung gegenüber China. Während nur 23 Prozent der Europäer dafür sind, sich den USA in einem Krieg mit China um Taiwan anzuschließen, und 62 Prozent es vorziehen, neutral zu bleiben, sind die Zahlen in Schweden viel höher.

35 Prozent der Schweden befürworten die Unterstützung der USA in einem Konflikt mit dem atomar bewaffneten China in diesem Szenario – der höchste Wert unter den befragten europäischen Staaten. Auch ist eine Mehrheit der Schweden, 56 Prozent, dafür, China zu sanktionieren, sollte das Land Russland im Krieg in der Ukraine unterstützen. Europaweit sind es nur 41 Prozent.

Es birgt eine bittere Ironie, dass das Land von Olof Palme, zweimaliger Ministerpräsident Schwedens, weltweite Stimme der Abrüstung, Verständigung und Advokat der Dritten Welt, der sich bewusst war, dass Diplomatie Kern internationaler Beziehungen sein muss, in wenigen Monaten zu einem Hort außenpolitischer Hardliner-Politik geworden ist.

Für eine drohende Konfrontation der Nato mit China ist die schwedische Kehrtwende kein gutes Omen.