Sechs-Tage-Woche: Wozu Gesundheit und Work-Life-Balance?

Linksextremistische Gewerkschaftsforderung zum 1. Mai aus den 1950er-Jahren (Plakatausschnitt). Foto: Telepolis

CSU-Chef Markus Söder will Arbeitszeit ausweiten – und erweckt den Eindruck, das Arbeitsvolumen sei zuletzt gesunken. Die Fakten sehen anders aus. Ein Kommentar.

Markus Söder (CSU) muss sich als bayerischer Ministerpräsident erst in gut vier Jahren wieder einer Wahl stellen – falls er nicht zufällig doch 2025 Bundeskanzler werden will. Niemand soll ihm jedenfalls Populismus vorwerfen, denn was er diese Woche herausgehauen hat, ist tatsächlich nichts, womit er sich beim Großteil der lohnabhängigen "Normalos" beliebt machen dürfte.

Über Arbeitszeitmodelle wurde in letzter Zeit eher deshalb diskutiert, weil immer mehr Beschäftigte unter Burnout-Symptomen leiden und vor allem Jüngere eine bessere Work-Life-Balance einfordern.

Söder hat nun in einem Gespräch mit der Bild die Sechs-Tage-Woche für Bayern ins Spiel gebracht, um die Wirtschaft anzukurbeln und den Fachkräftemangel zu bekämpfen – als könnten sich besonders gefragte Fachkräfte nicht das Land oder die Region mit den besten Arbeitsbedingungen aussuchen.

Sechs-Tage-Woche: Ein kaputt gespartes Land als Vorbild?

In dem Interview präsentierte Söder die Einführung der Sechs-Tage-Woche im kaputt gesparten Griechenland als Vorbild und beklagte die öffentliche Diskussion über eine Vier-Tage-Woche in Deutschland.

"Der Wunsch nach Work-Life-Balance, den teile ich, der ist auch verständlich. Aber wir entwickeln uns in Deutschland eher in die Richtung Life-Life-Balance", wird der CSU-Chef vom Radiosender Antenne Bayern zitiert.

Söders Aussage erweckt er den Eindruck, dass in Deutschland das Gesamtarbeitsvolumen sinkt. Tatsächlich ist das Gegenteil der Fall: Nach Angaben des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) wurde in Deutschland seit 1990 nie so viel gearbeitet wie im vergangenen Jahr. Insgesamt knapp 55 Milliarden Stunden Arbeit leisteten abhängig Beschäftigte nach DIW-Angaben im vergangenen Jahr.

Deutsche arbeiteten 2023 so viel wie seit Jahrzehnten nicht

Das Arbeitszeitvolumen lag 1991 – im Jahr nach dem Anschluss der DDR – bei 52 Milliarden Arbeitsstunden und erreichte 2005 einen Tiefpunkt von 47 Milliarden. Die durchschnittliche Wochenarbeitszeit aller Beschäftigten ist seit 1991 nur deshalb gesunken, weil es mehr Teilzeitbeschäftigte und weniger "Nur-Hausfrauen" im erwerbsfähigen Alter gibt.

Viele der teilzeitbeschäftigten Mütter würden tatsächlich gern mehr arbeiten, wenn es denn bezahlt würde und die Kinderbetreuung gewährleistet wäre.

Die durchschnittliche Wochenarbeitszeit aller Beschäftigten lag zuletzt mit 34,7 Stunden zwar nah an der alten gewerkschaftlichen Forderung nach einer 35-Stunden-Woche – aber die ungleiche Verteilung dieser Arbeitsstunden sorgt verständlicherweise für Unzufriedenheit.

Wunscharbeitszeiten und Realität

Während viele Mütter unfreiwillig nur "Dazuverdienerinnen" sind, gehen viele der Vollzeitbeschäftigten schon jetzt gesundheitlich an ihre Grenzen: Laut einer Studie des McKinsey Health Institutes litten im vergangenen Jahr mehr als ein Drittel aller in Deutschland Beschäftigten an körperlicher und geistiger Erschöpfung.

20 Prozent gaben Burnout-Symptome wie Dauermüdigkeit, Konzentrationsstörungen oder eine starke Ablehnung der eigenen beruflichen Tätigkeit an. Nur 51 Prozent der Befragten fühlten sich wirklich gesund.

Wer zu den restlichen 49 Prozent gehört, muss Söders Vorstoß schon fast als Körperverletzung empfinden. Aber das Rentenproblem kann natürlich auch gelöst werden, indem einfach mehr Menschen das Rentenalter gar nicht erreichen. Nur bitte nicht zu früh umkippen, denn das verschärft dann wieder den Fachkräftemangel! Auf das Timing kommt es an. Die Frage ist nur: Wer will so leben?

Wenn 40 Stunden zum Teilzeitjob werden

In Griechenland mag die Sechs-Tage-Woche auf den ersten Blick freiwillig sein und sich finanziell lohnen: Unternehmen können ihren Angestellten ab dem 1. Juli den Vorschlag unterbreiten, einen Tag mehr pro Woche zu arbeiten.

Für den sechsten Arbeitstag erhalten sie einen Aufschlag von 40 Prozent, für Arbeit an Sonn- und Feiertagen gibt es sogar 115 Prozent zusätzlich. Die Frage ist nur: Welcher Mensch mit Privatleben macht das freiwillig, wenn er oder sie für 40 Stunden pro Woche gut genug bezahlt wird?

Die Lebenszeit gibt ihnen schließlich niemand zurück. Wenn 48 Stunden zur "Normalarbeitszeit" werden, gelten eben 40 Stunden als Teilzeitjob, der nicht unbedingt existenzsichernd sein muss. Das werden sich Gewerkschaften regelmäßig anhören müssen.

Nicht umsonst gab es in den 1950er-Jahren die Gewerkschaftslosung "Samstags gehört Vati mir", illustriert mit einem kleinen Jungen. Damals war das Potenzial der Frauen an normalen Werktagen noch viel weniger ausgeschöpft als heute.

Fortschritt kann aber nicht darin bestehen, dass jetzt trotz gestiegener Produktivität beide Elternteile an Samstagen arbeiten sollen.