Selbstständige zahlen schon Sozialbeiträge auf Kapitalerträge

Aus einem 100-euro-Schein-Beet wächst ein ebensolches Pflänzchen, dem ein Segment entnommen wird

Die Debatte um Habecks Vorstoß zu Sozialbeiträgen auf Kapitalerträge erhitzt die Gemüter. Was viele nicht wissen: Für Solo-Selbstständige ist das längst Realität.

Was bei dem allgemeinen Sturm der Entrüstung übersehen wurde und von Robert Habeck (Grüne) in der Sendung Bericht aus Berlin am Sonntag auch nicht erwähnt wurde, ist die Tatsache, dass 72 Prozent der Solo-Selbstständigen freiwillig gesetzlich krankenversichert sind und somit schon lange Beiträge auf Zinsen und Dividenden bezahlen.

ARD-Chefredakteur Markus Preiß fragte am Sonntag, ob sich Habeck dem Überbietungswettbewerb der Parteien im Wahlkampf anschließen wolle oder sich traue, auch unvermeidbare Einschränkungen und Härten anzusprechen, die nach der Bundestagswahl unvermeidlich auf die Bevölkerung zukämen. Wenn Habeck jetzt fordert, dass dies auch für Angestellte und Beamte gelten sollte, scheint die Welt der unselbstständig Beschäftigten aus den Fugen zu geraten.

Karenztag soll den Krankenstand reduzieren

Das Problem der Kassenfinanzierung war im aktuellen Bundestagswahlkampf wieder in den Blickpunkt gerückt, als Oliver Bäte, der Chef der Allianz, einen Karenztag forderte. Damit wollte er die Arbeitgeber zumindest in Teilen von den Kosten der Lohnfortzahlung befreien.

Dabei ist heute schon erkennbar, dass Karenztage letztlich eine erhöhte Belastung der Versicherten und ihrer Kassen bedingen können, weil verschleppte Krankheiten als erhöhte Belastung auf die Kassen zurückfallen.

Zudem kann nicht ausgeschlossen werden, dass der als Erziehungsmaßnahme gedachte Karenztag dazu führt, dass Arbeitnehmer, die blaumachen wollen, sich dann für längere Zeit in den Krankenstand begeben. Die oben angesprochenen Selbstständigen haben übrigens nicht nur einen Karenztag, sondern müssen sich sechs Karenzwochen lang selbst finanzieren, wenn sie krank werden.

Erhöhung der Beitragsgrundlage der GKV

Wörtlich forderte Habeck:

Wir würden gerne die Beitragsgrundlage erhöhen. Wir zahlen ja alle Sozialversicherungsbeiträge – oder diejenigen, die in den gesetzlichen Kranken- und Versicherungssystem sind – Abgaben auf die Arbeitslöhne. Aber zum Beispiel Kapitalerträge sind davon freigestellt.

Warum soll eigentlich Arbeit höher belastet sein als Einkommen durch Kapitalerträge? Das leuchtet mir nicht ein.

Und deswegen schlagen wir vor, dass wir auch diese Einkommensquellen, die Menschen ja haben, sozialversicherungspflichtig machen, so. dass wir dann den Druck auf die Arbeitslöhne deutlich reduzieren. Arbeiten günstiger machen – und die Kapitaleinkünfte werden dann etwas höher mit Abgaben belegt. Das wäre sozusagen ein Schritt zu mehr Solidarität innerhalb des Systems.

Obwohl er mit dieser Forderung nur einen bisher kaum bekannten Punkt aus dem Wahlprogramm der Grünen ins öffentliche Bewusstsein rückte, löste er damit geradezu einen Sturm in der öffentlichen Debatte aus. Was jetzt als frecher Griff in die private Altersversorgung der arbeitenden Bevölkerung gebrandmarkt wurde, ist bei den freiwillig in einer GKV versicherten Selbstständigen schon lange etabliert.

Die finanzielle Belastung der Selbstständigen geht noch deutlich über das hinaus, was Habeck jetzt fordert und scheint ein zentraler Grund für die niedrige Erwerbsbeteiligung von Frauen und den starken Rückgang der Gründungs- und Selbstständigen-Zahlen in Deutschland zu sein.

Sie bezahlen nicht nur auf ihr Arbeitseinkommen, sondern auch auf Zinsen, Dividenden und sogar Mieteinnahmen Sozialversicherungsbeiträge. Diese Tatsache fällt in der hochgekochten Medienberichterstattung jedoch fast überall unter den Tisch. Würden diese Pflichten künftig für alle gelten, könnte das der GKV aus ihrer Finanzklemme helfen und wäre gegenüber den Selbstständigen durchaus gerecht.

Ungleichbehandlung beseitigen

Jetzt, wo Arbeitnehmer auf ähnliche Weise belastet werden sollen wie Selbstständige, gibt es einen Aufschrei der Empörung. Da ist es kaum verwunderlich, wenn jetzt Selbstständige fordern, die Ungleichbehandlung zu beenden. Künftig sollten nach ihrer Vorstellung Kapitalerträge grundsätzlich nicht mit Sozialbeiträgen belastet werden, weder bei Arbeitnehmern noch bei Selbstständigen.

Denn die zusätzliche Belastung überfordert und demotiviert Selbstständige ebenso, wie man jetzt befürchtet, dass sie Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer finanziell überfordern und demotivieren würde. Wenn man jedoch bestimmte Einkommensarten von der Versicherungspflicht ausnehmen will, müssen entweder die Beitragssätze für alle steigen oder die Leistungen der GKV weiter eingeschränkt werden.

So wie heute schon Leistungen im Bereich der Augenoptik und der Zahnmedizin keine Kassenleistungen mehr sind und über private Zusatzversicherungen abgesichert werden müssen, müssten dann auch bestimmte Krankheiten aus der allgemeinen Versicherung ausgegliedert werden.

Das könnte dazu führen, dass diese Patienten, wenn sie keine entsprechende Zusatzversicherung abgeschlossen haben, künftig im Ernstfall nur noch palliativ behandelt würden.