So merken Sie die Energiewende an den Tankstellen

Seite 2: Mineralölraffinerien schlägt das Totenglöckchen

Nach den Tankstellen kommt der Ausstieg aus dem Raffineriebetrieb. Vor dem Hintergrund der politisch gewünschten Dekarbonisierung ist er nicht unerwartet. Dabei hatte das Raffineriesterben in Deutschland schon in den 1980er-Jahren begonnen, als die ersten Überkapazitäten vom Markt genommen wurden.

Damals wurde aus Kostengründen auch die direkte Lieferverbindung zwischen den Raffinerien und den Tankstellenketten aufgegeben und jede Tankstellenkette kaufte die standardisierten Kraftstoffe bei der nächstgelegenen Raffinerie. Da gleichzeitig der Transport von der Raffinerie zur Tankstelle ausgelagert wurde, fiel das in der Praxis auch nicht auf.

Die Zahl der Raffinerien, die in Deutschland Kraftstoffe und Heizöl produzieren, ist derzeit wieder rückläufig. Nicht alle Investitionen haben die politischen Wetterumschwünge überstanden. Die 50-prozentige Beteiligung von Petróleos de Venezuela (PDVSA) an der Ruhr Oel Raffinerie in Gelsenkirchen fiel den von den USA ausgelösten Sanktionen zum Opfer und wurde 2011 von Rosneft übernommen. 2015 übernahm BP die Raffinerie im Ruhrgebiet zu 100 Prozent. Das Werk wurde in den 1930er-Jahren als Werke Horst und Scholven in Gelsenkirchen zur Kohlehydrierung gegründet.

Einen zweiten Raffineriestandort betreibt die BP Europa SE, die nach der Übernahme der Aral in Deutschland unter diesem Namen auftritt, in Lingen im Emsland, wo seit 1953 Rohöl zu Kraftstoffen, Kerosin, leichtem Heizöl und Chemieprodukten verarbeitet wird. Seit 2022 produziert diese Raffinerie jedoch auch nachhaltigen Flugkraftstoff (Sustainable Aviation Fuel/SAF) aus gebrauchtem Speiseöl im sogenannten ″Co-Processing″-Verfahren.

Der frühere Ölmulti Shell versteht sich heute nicht mehr als Mineralölkonzern und will in Deutschland nach dem Kauf von Sonnen in Wilpoldsried, Next Kraftwerke in Köln und der Berliner Ubitricity zum Marktführer bei den Erneuerbaren werden und sich aus der Mineralölverarbeitung zurückziehen. Bis 2050 will man ein klimaneutral sein.

Transformation des Ölriesen Shell

So wurde der Raffineriestandort Hemmingstedt 2010 an die US-amerikanische Klesch Group abgestoßen, während die Raffinerie Großmehring bei Ingolstadt schon 1982 stillgelegt wurde. Die Shell-Raffinerie in Hamburg-Harburg auf der Hohen Schaar wurde im Winter 2015/16 an die schwedische Nynas abgegeben worden, die jedoch in der Folge der Sanktionen gegen Venezuela ins Straucheln geriet. Die ehemalige Vollraffinerie wurde zu einer Spezialitätenraffinerie umgerüstet, von der große Teile derzeit ohne Produktion im Stand-by betrieben werden.

Für die Shell-Standorte Wesseling und Godorf, die unter dem Namen Rheinland-Raffinerie bekannt sind, kommt 2025 das Ende der Mineralölverarbeitung. Aus der Raffinerie Rheinland wurde als Konsequenz der Shell Energy and Chemicals Park Rheinland. Shell will Rohöl zumindest bei Köln konsequent durch Biomasse ersetzen. So soll Biogas aus Gülle Diesel im Lkw-Tank ersetzen.

Deutschland hat ein Gülleproblem. Statt die Gülle auf die Felder auszubringen und das Grundwasser zu belasten, kann man sie vergären lassen und daraus ein dieselähnliches Produkt herstellen. Die Umstellung im Rheinland soll ohne Arbeitsplatzverluste gelingen.

Die Shell-Beteiligung an der Mineralölraffinerie Oberrhein (Miro Raffinerie) in Karlsruhe steht derzeit nicht zur Debatte. Die Beteiligung an der Raffinerie in Schwedt will man an die zur estnischen Liwathon-Gruppe gehörende Alcmene verkaufen. Der russische Rosneft-Konzern hatte ein Vorkaufsrecht geltend gemacht. Konnte sich damit jedoch bislang nicht durchsetzen. Rosneft hatte seine Beteiligung an Schwedt zuvor durch die Übernahme der Anteile der französischen Total aufgestockt. Der französische Energieversorger Total Direct Energie besitzt in Deutschland heute noch den Raffineriestandort in Leuna.

Rosneft aus dem Geschäft gedrängt

Rosneft ist Mehrheitsaktionär in Schwedt und darüber hinaus an der Miro in Karlsruhe sowie an den Raffinerien in Vohburg und Neustadt beteiligt und hatte einen maßgeblichen Anteil an der deutschen Kraft- und Brennstoffversorgung.

Heute stehen die deutschen Rosneft-Tochtergesellschaften unter der treuhänderischen Verwaltung der Bundesnetzagentur (BNetzA). Zum aktuellen Stand der Treuhandschaft äußerte sich ein Sprecher der BNetzA auf Anfrage von Telepolis:

Die aktuelle Anordnung der Treuhandverwaltung der Bundesnetzagentur wurde vom Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz bis zum 10. September 2023 befristet. Die Anordnung der Treuhandverwaltung kann verlängert werden, sofern die Voraussetzungen – insbesondere die Notwendigkeit einer Sicherstellung der von der Rosneft Deutschland GmbH bzw. der Rosneft Refining & Marketing GmbH im Sektor Energie zu erfüllenden Aufgaben - weiterhin vorliegen (§ 17 Energiesicherungsgesetz).

Minderheitsgesellschafter in Schwedt, Vohburg und Neustadt ist die italienische Eni. Bei den Raffinerien in Vohburg und Neustadt ist Rosneft zudem Partner der Schweizer Varo Energy aus Cham, die jeweils 51 Prozent der Anteile hält. Komplettiert wird die bayerische Raffinerielandschaft durch den Raffineriestandort Burghausen des österreichischen Erdöl-, Erdgas- und Chemiekonzerns OMV.

Die Miro-Raffinerie in Karlsruhe teilen sich Rosneft (BNetzA), Shell, ExxonMobil und die US-amerikanische Phillips 66. Für ExxonMobil ist die Miro die letzte Raffineriebeteiligung in Deutschland. Die ursprünglich von Esso betriebene Raffinerie Ingolstadt zählt heute zur Schweizer Gunvor. Auch die Hamburger Raffinerie Holborn geht auf einen ehemaligen Standort der damaligen Esso zurück und gehört heute über die niederländische Oilinvest zur libyschen Tamoil.

Jetzt steht die Bundesregierung vor dem Dilemma, dass sie einerseits eine Dekarbonisierung der Wirtschaft anstrebt und anderseits glaubt sicherstellen zu müssen, dass die Versorgung mit fossilen Treibstoffen so lange gesichert wird, bis die Transformation gelungen ist.

Wenn sich nun die ehemals großen Player aus dem deutschen Raffineriegeschäft zurückziehen, könnte der Bundesregierung die Rolle als Lumpensammler der verbliebenen Reste zur Absicherung der deutschen Automobilindustrie zufallen.

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