Somalia: Regierung kämpft auf verlorenem Posten
Die Zahl der Flüchtlinge in Somalia ist höher als die im Irak, Darfur und Sri Lanka
Die Piraten im Golf von Aden bringen Somalia seit einem Jahr in die internationalen Schlagzeilen. Die Industriestaaten sind besorgt und schicken Kriegsschiffe in die Region. Dabei hat der Staat am Horn von Afrika ganz andere Probleme, die in naher Zukunft erneut zu einem internationalen Konflikt führen könnten (Somalia: ein zweites Afghanistan?).
Fast 18 Jahren dauert nun schon der Bürgerkrieg in Somalia, nachdem 1991 Diktator Mohamed Siad Barre entmachtet wurde. Zwischen 350.000 und eine Million Menschen sind mittlerweile ums Leben gekommen. Laut Angaben der UNO sind heute etwa 3,2 Millionen Somalis von Hilfslieferungen mit Nahrungsmitteln abhängig. 45 Prozent der Bevölkerung leiden an Unterernährung. 1,1 Millionen Menschen mussten aufgrund der bewaffneten Konflikte ihre Häuser und Wohnungen verlassen.
Die Piraterie sei ein Resultat des „Zusammenbruchs Somalias, der Gesetzlosigkeit und der ökonomischen Verzweiflung, die den Staat seit mehr als einem Jahrzehnt plagen“, meint US Senator Russ Feingold. Die Entsendung von Kriegsschiffen durch die NATO, EU, China, Russland, Indien, die USA etc. ist dementsprechend nur eine kurzfristige, vorübergehende Lösung, die auf Dauer keinen Bestand hat. Dazu passt die kriminalistische Verwaltung der Piraterie, die nun Ron Nobel, der Chef von Interpol vorschlug. Er will eine internationale Task Force in Afrika gründen, eine Datenbank mit Fotos, Fingerabdrücken und DNA-Proben von Verdächtigen einrichten.
Die Zahlen geben ihm Anlass genug: 2008 gab es insgesamt 111 Angriffe auf Schiffe, wovon 42 erfolgreich waren. In den ersten vier Monaten von 2009 alleine versuchten Piraten, 114 Mal Schiffe zu kapern, wobei es ihnen 29 Mal gelang. Ein profitables Geschäft, bei dem 2008 schätzungsweise 80 Millionen Dollar an Lösegeld verdient wurden und in das zunehmend internationale Geldgeber investieren. Zwischen 50.000 und 250.000 Dollar kostet es, eine mehr oder weniger professionell arbeitende Piratencrew aufzustellen. Freiwillige findet man sehr leicht in einem Land, das durch Krieg zerstört und verarmt ist, in dem das durchschnittliche Jahreseinkommen bei 500 Dollar liegt und 60.000 Menschen akut vom Hunger bedroht sind.
Vor drei Jahren hatte Somalia eine Chance zum Frieden, als die Union Islamischer Gerichte (ICU) im Juni 2006 die Hauptstadt Mogadischu einnahm (Die zweite Niederlage der USA). Einer ihrer Führer war Sheich Sharif Sheikh Ahmed, vormals als Lehrer tätig. Zum ersten Mal seit vielen Jahren gab es wieder so etwas wie Rechtssicherheit. Die korrupten wie brutalen Warlords waren entmachtet, Flüchtlinge kehrten zurück und das Land schien bereit für einen Neuaufbau. Allerdings waren die ICU der damaligen US-Regierung von Präsident George W. Bush ein Dorn im Auge. Man befürchtete Taliban-ähnliche Verhältnisse in Somalia und behauptete, die ICU sei von Al-Qaida unterwandert. „Unsere Hauptsorge ist“, sagte der US-Präsident, „dass Somalia ein sicherer Hafen für Al-Qaida wird, wo Terroristen ihre Pläne schmieden.“
Im Dezember 2006 marschierte der Verbündete Äthiopien, unterstützt mit Waffen und Militärberatern aus den USA, kurzerhand in Somalia ein (Somalia versinkt im Bürgerkrieg). Die ins Exil geflüchtete Interimsregierung des Präsidenten Abdullahi Yusuf sollte wieder eingesetzt werden. Bei der Invasion wurden rund 1300 Menschen innerhalb eines Monats getötet. Etwa 400.000 Flüchtlinge mussten Mogadischu verlassen und hausten im Freien unter katastrophalen Bedingungen (Zwischen Kat und Katjuschas). „Wenn man die Zeitspanne von Februar bis heute nimmt, sagte Stephanie Bunker, die Sprecherin des UN-Hilfswerks, „wurden in Somalia mehr Menschen vertrieben, als irgendwo sonst in der Welt.“ Die Zahl der Flüchtlinge in Somalia ist höher als die im Irak, Darfur und Sri Lanka.
Frieden brachte die äthiopische Invasion nicht. Der Widerstand gegen die Besatzer hielt an und die USA entschieden sich 2008 dafür, einen neuen Präsidenten wählen zu lassen. Der alte, Abdullahi Yusuf, trat im Dezember zurück und im Januar 2009 ernannte das Parlament Sheichh Sharif Sheikh Ahmed zum neuen Staatsoberhaupt von Somalia. Ausgerechnet der Mann, der die einstmals so verteufelte ICU angeführt hatte, sollte nun alles richten (Somalia: Vom Terroristen zum Retter der Nation).
Aber die 2000 gegründete ICU war lange nicht mehr der tragende, neutrale Dachverband, dem sich alle islamistischen Gruppen zugehörig fühlten. Organisationen wie Al Shabaab, der militärische Arm der ICU, oder auch Hizbul-Islam, die der radikale Geistliche Sheikh Hassan Dahir Aweys anführt, sehen in Sheik Ahmed einen Verräter. Schließlich habe er mit den USA einen Pakt geschlossen, um Präsident zu werden. Die Einführung der Sharia in ganz Somalia konnte die Gegner der neuen Regierung in ihrer Haltung nicht umstimmen.
Kampf um Mogadischu
Sheik Ahmed und seine ICU scheinen auf verlorenen Posten. Seit seinem Amtsantritt im Januar haben die islamistischen Milizen von Al-Shabaab und Hizbul-Islam fast ganz Somalia erobert. Die Regierung kontrolliert nur noch kleine Gebiete in Zentralsomalia. Anfang Mai begann die gemeinsame Offensive der Rebellen auf die Hauptstadt. Zuerst wurden umliegende Städte erobert. Seit Wochen kämpft man um die Hauptstadt. Dabei sind bisher 200 Menschen getötet worden, 60.000 Einwohner von Mogadischu mussten fliehen. Nach den neuesten Angaben der Vereinten Nationen sind es bereits mindestens 70.000.
Die Regierung war auf einige wenige Stadtteile zurückgedrängt worden, startete aber trotzdem eine Gegenoffensive und will jetzt die meisten Stadtteile kontrollieren. Die Vereinten Nationen verurteilten die Kampfhandlungen und verlängerten gleichzeitig das Mandat für die Friedenstruppe der Afrikanischen Union (AU) um weitere acht Monate.
Von den eigentlich 8000 genehmigten Soldaten, sind bisher nur 4350 in Somalia stationiert, die möglichst bald auf 5100 aufgestockt werden sollen. Al Shabaab hat die Mandatsverlängerung durch den UN-Sicherheitsrat als „Grausamkeit“ abgelehnt. Die UNO würde eine illegitime Regierung In Mogadischu unterstützen. Der Sprecher von Al Shabaab, Ali Mohamud Rageh, sagte, die Truppen der AU müssten sich auf Selbstmordattentate und Granatenbeschuss gefasst machen.
Zum ersten Mal stimmte der UN-Sicherheitsrat auch überein, die logistische Unterstützung der somalischen Regierung zu bezahlen. Zwischen 200 und 300 Millionen Dollar werden das im Laufe eines Jahres sein. Denn einen Sieg der islamistischen Rebellen will man möglichst nicht zulassen. Aber die Friedenstruppen und Hilfszahlungen machen die momentane militärische Misslage von Präsident Sheik Ahmed und seiner Regierung nicht besser. Dafür gibt es bekanntlich Nachbarstaaten, die gerne helfend zur Seite stehen, wenn die bevorzugte Regierung mit dem Rücken an der Wand steht. Äthiopien ist 2007 bereits einmarschiert, um gegen Rebellen zu schützen. Wie es aussieht, müssen sie es kein zweites Mal. Denn vor einer Woche hat sich auch Kenia gemeldet, man sei bereit, die Islamisten zu vernichten. Der kenianische Außenminister Moses Wetang’ula erklärte zwar nicht genau, wie er bei der „Vernichtung“ der islamistischen Rebellen behilflich sein will, aber die Intention ist mehr als klar.
Für Kenia gilt Somalia seit Jahren ein Sicherheitsrisiko. Die Attentate auf die US-Botschaft in Nairobi 1998 (200 Tote) sowie auf das Paradise Hotel in Kikambala im Jahr 2002 (12 Tote) hatten islamistischen Hintergrund und die Täter kamen aus Somalia über die Grenze ins Land. In Kenia befürchtet man mehr Attentate und Unruhe, wenn im Nachbarstaat tatsächlich eine Regierung im Amt ist, die kein Hehl aus ihren Sympathien für Al-Qaida macht. Für die Bevölkerung in Somalia kann man nur hoffen, dass Präsident Sheik Ahmed von Al Shabaab von Hizbul-Islam nicht ins Exil gezwungen wird. Sonst wird der Krieg noch weiter gehen.