Spannung in Mexiko entlädt sich in Unruhen in Oaxaca

Nach einem Befriedungsversuch ging die Polizei wieder brutal gegen Volksbewegung vor

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Wie vorherzusehen war, ist die angespannte Situation in Mexiko in den vergangenen Tagen eskaliert. Und wie zu erwarten war, explodierte erneut das Pulverfass Oaxaca, obwohl die Departementsregierung den Lehrern entgegen kam und ihnen nach einem 14monatigen Konflikt eine massive Lohnerhöhung zubilligte. Mit der Befriedung des Lehrerstreiks hatte sich der Gouverneur erhofft, die Volksbewegung zu schwächen, die sich deren Streik entwickelt hatte. Da dies nicht gelang, setzten die Sicherheitskräfte erneut auf brutale Gewalt, um die anschwellende Bewegung in den Griff zu bekommen. Noch gab es keine erneuten Toten, aber ein Lehrer schwebt weiter in Lebensgefahr, nachdem er nach seiner Verhaftung schwer misshandelt wurde. Eine weitere Eskalation wird erwartet.

Trauermarsch in Oaxaca. Bild: APPO

Mit einem Trauermarsch gedachten Tausende am Mittwoch im südlichen Bundesstaat den Menschen, die bei den schweren Auseinandersetzungen am Montag verletzt oder verhaftet wurden. Am dritten Tag des traditionellen Guelaguetza-Fests ging die Polizei plötzlich brutal gegen eine Demonstration vor. Dutzende Menschen wurden zum Teil schwer verletzt. Nach Presseberichten soll die Polizei sogar willkürlich auf umstehende eingeprügelt haben, die keinen Widerstand gegen die Übergriffe leisteten.

Guelaguetza ist ein Fest, bei dem gegenseitig Geschenke ausgetauscht werden. Aus ganz Oaxaca kommen Menschen in die gleichnamige Hauptstadt des Bundesstaats, um mit traditionellem Essen und in ihren bunten Trachten zu feiern. Guelaguetza ist das bedeutendste Fest der Region und hat einen indigenen Ursprung. Allerdings wurde es in den letzten Jahren immer mehr zum Tourismusspektakel und von und für die zahlungskräftige Oberschicht gefeiert. Wie in den Jahren zuvor wollte die Volksbewegung deshalb die Feiern an zwei Tagen aktiv boykottieren.

Die Sicherheitskräfte gingen in Oaxaca brutal vor. Bild: chiapas.indymedia.org

Schon am vergangenen Wochenende kam es zu friedlichen Umzügen von Zehntausenden, mit denen die "Volksversammlung der Völker Oaxacas" (APPO) ihre Mobilisierungskraft erneut unter Beweis stellte. Weil die Bewegung wieder an Stärke gewinnt, riss dem seit Monaten angegriffenen Gouverneur, dessen Rücktritt wieder lauter gefordert wird, offenbar der Geduldsfaden und er griff auf seine altbekannten Herrschaftsmittel zurück.

Zehn Sympathisanten der APPO befinden sich noch mit schweren Verletzungen im Krankenhaus. Besonders schlimm traf es den Lehrer Emeterio Merino Cruz Vásquez, Mitglied des "Komitees zur Verteidigung der Rechte der Indigenas von Santiago Xanica", der mit einem Schädelbruch im Koma liegt. Die besondere Brutalität zeigen Bilder, die am Mittwoch in der Regionalzeitung "Noticias de Oaxaca" veröffentlicht. Mit ihnen werden Vorwürfe bestätigt, wonach der Lehrer unversehrt verhaftet wurde, erst in den Händen der Polizei fast zu Tode geprügelt und dann mit Schädelbruch ins Krankenhaus eingeliefert wurde.

Den erneuten massiven Einsatz von Gewalt in Oaxaca wird von Menschenrechtsorganisationen untersucht. Die Menschenrechtsverordnete der Regierung des Bundesstaats Oaxaca hat schon erklärt, dass es zu übertriebener Gewalt gekommen sei.

Bild: chiapas.indymedia.org

Ob die Regierung des angegriffenen Gouverneurs Ulises Ruiz dies zugeben wird, darf bezweifelt werden. Von ihr darf eher erwartet werden, dass sie die Lage vor den Wahlen des Regionalparlaments am 5. August weiter zuspitzt, der nächste "Boykotttag" am Montag wird dies zeigen. Seine Befriedungs- und Spaltungsstrategie ist deutlich gescheitert, denn erst kürzlich versuchte Ruiz, zum Jahrestag der tödlichen Übergriffe auf Streikende, sich für den damaligen Einsatz zu entschuldigen.

Das wurde von einer großen Demonstration abgelehnt und nur vier Tage später wurde der zentrale Platz in Oaxaca erneut unbefristet besetzt. Der "Plantón" weitet sich aus und soll aufrechterhalten werden, bis alle Forderungen der Volksbewegung erfüllt sind. Nur an dem Punkt der Lehrergehälter gab Ruiz bisher nach und einigte sich mit den Gewerkschaften nach 14 Kampfmonaten auf eine Lohnerhöhung. Eine höhere Einstufung von der Gehaltsgruppe 2 auf 3 bedeuten zusätzlich 245 Pesos im Monat, dazu kommen 4,7 allgemeine Gehaltserhöhung. Durchschnittlich macht die Erhöhung etwa zehn Prozent aus.

Doch die Lehrer ließen sich damit nicht aus der Volksbewegung brechen, die sich an ihrem Streik gebildet hat und sich nun allgemein gegen verkrustete Strukturen, Korruption und Machtmissbrauch auflehnt. Möglich ist, dass Ruiz versucht, die Region vor den Wahlen ins Chaos zu stürzen, um sie absagen zu können. Das scheint derzeit die einzige Möglichkeit, neben dem Wahlbetrug, den seine "Partei der Institutionellen Revolution" (PRI) jahrzehntelang im ganzen Staat praktiziert hat.

Interessant wird sein, wie sich die Zentralregierung unter dem schwachen Präsidenten Felipe Calderón zu den neuen Vorgängen in Oaxaca verhält. Da der Präsident, der selbst die Wahlbetrugsvorwürfe nie losgeworden ist, die PRI im Parlament als Mehrheitsbeschaffer braucht, hatte er Ruiz im vergangenen Herbst unterstützt, um den allgemeinen Aufstand in Oaxaca nieder zu werfen. Er dürfte nun aber kein Interesse an der Eskalation haben, sondern würde wohl lieber die Wahlen durchführen, aus denen seine "Partei der Nationalen Aktion" (PAN) siegreich hervorgehen soll. Zudem wird die Lage für Calderón, wegen einer Vielzahl offener Konflikte, immer bedenklicher (Mexiko: Kampf gegen die Privatisierung des Energiesektors). Dazu hat sich nun auch noch die Renaissance von Guerillaaktivitäten gesellt, die mit Angriffen auf den Öl- und Gassektor der Ökonomie großen Schaden zufügt ("Revolutionäres Volksheer" meldet sich in Mexiko mit Anschlägen zurück).