Spannungen vor dem Generalstreik in Katalonien
Zehntausende sind seit drei Tagen in fünf Marschsäulen auf dem Weg nach Barcelona, um dort am Freitag gemeinsam zu demonstrieren
Zahllose Menschen sind derzeit weiter in fünf Marschsäulen zu Fuß seit Mittwoch über 100 Kilometer auf dem Weg nach Barcelona, um dort am heutigen Generalstreiktag zu einem riesigen Protest zusammenzukommen. Schon darüber sind die Hauptverkehrsadern im Land blockiert. Dazu fanden allein am Donnerstagmittag in der katalanischen Metropole gleichzeitig drei große Demonstrationen von Schülern und Studenten statt, die seit Tagen im Streik sind.
Auch in allen anderen katalanischen Städten wird demonstriert, werden Straßen und Schienen blockiert. Schon vor dem Generalstreiktag war das normale Leben in Katalonien kaum möglich. Das ist die Reaktion auf die drakonischen Strafen, zu denen neun Anführer der Unabhängigkeitsbewegung zu bis zu 13 Jahren Haft für die Durchführung eines friedlichen Referendums vom spanischen Obersten Gerichtshof in Spanien am Montag verurteilt wurden.
Allerdings werden die friedlichen Massenproteste nun überlagert von schweren Ausschreitungen. Derzeit wird aber von der Bewegung alles getan, um die unsinnige Gewalt zu stoppen, die ihrem Anliegen nur schadet. Schnell hat sich Tsunami Democratic, die Organisation stand hinter der erfolgreichen Blockade des Flughafens am Montag, von der Gewalt distanziert. "Trotz der Polizeibrutalität, die absolut inakzeptabel ist, muss bei jeder Aktion verhindert werden, dass irgendwer Gewalt propagiert oder sie für gewaltsame Aktionen nutzt." Und der Chef der Republikanischen Linken Kataloniens, der mit 13 Jahren die Höchststrafe erhielt, twitterte aus dem Knast: "Alle Unterstützung für die großen und friedlichen Mobilisierungen. Gewalt repräsentiert uns nicht." Der Erklärung von Oriol Junqueras schlossen sich alle inhaftierten ehemaligen Regierungsmitglieder und Aktivisten an.
Der katalanische Regierungschef Quim Torra fand nach erneuten Ausschreitungen am Mittwoch auch klare Worte. Für Torra gibt es "keinerlei Rechtfertigung für Vandalismus oder um Autos abzubrennen". Seine Botschaft war klar: "Das muss sofort aufhören." Die Unabhängigkeitsbewegung sei stets friedlich gewesen und bleibe es auch. "Solche Vorgänge dürfen wir auf unseren Straßen nicht zulassen."
Torra machte für die Krawalle auch "infiltrierte Provokateure" und "Randalierer" verantwortlich. Tatsächlich gibt es Bilder von Gruppen maskierter Männer mit gelben Armreifen am Oberarm - zur gegenseitigen Erkennung - bei denen es sich um Mitglieder der Guardia Civil handeln soll. Zeugen haben beobachtet, wie solche Trupps aus Hotels kamen, in denen spanische Paramilitärs untergebracht sind. Videos zeigen sogar uniformierte Nationalpolizisten beim Barrikadenbau und beim Abfackeln von Müllcontainern).
Allerdings greife diese Sichtweise von Torra zu kurz, erklären Augenzeugen der Vorkommnisse. "Es gibt junge Leute, die Aktion wollen und sich anstacheln lassen", erklärte eine vertrauenswürdige Quelle gegenüber Telepolis, die an verschiedenen Ort war, wo es zu Gewalt kam. "Es gibt sicher Eingeschleuste, viele", sagt der Augenzeuge. Es gäbe allerdings nun auch Heißsporne, die sich einspannen ließen. Auch der exzellente Kenner der Lage, Jordi Borras, spricht von einer "Chaosbetrunkenheit". Der Fotojournalist, der für seine exzellente Arbeit von spanischen Faschisten verfolgt wird, spricht von "aufgebrachten jungen Leuten. "Das steuert keine Partei, nicht Tsunami oder die CDR", erklärt einer der besten Kenner der Situation.
Ein Problem für die Bewegung ist, dass die Repression, auch die Verhaftung und Inhaftierung von sieben Mitgliedern der Komitees zur Verteidigung der Republik (CDR) wegen angeblichem Terrorismus, nun dazu führt, dass sich etliche Menschen maskieren. Sie werden nicht mehr wie früher aus den Demonstrationen geworfen. So ist der Aufruf der Regierungssprecherin, die gewalttätigen Maskierten zu isolieren, zwar richtig, aber nun deutlich schwerer durchzusetzen. Und klar ist auch, dass Gewalt gezielt provoziert wurde. Dabei spielt auch die katalanische Polizei eine unrühmliche Rolle. Deshalb wird der Rücktritt des verantwortlichen Innenminister Miguel Buch gefordert.
Proteste in Katalonien (5 Bilder)
Schon am Flughafen gingen Mossos d'Esquadra brutal gegen friedliche Protestierer vor, die am späten Mittwoch sogar einen Jugendlichen überfahren hat. Zwei Menschen wurden von Sicherheitskräften mit Gummigeschossen jeweils ein Auge ausgeschossen. Auch die Mossos gehen zum Teil wie die spanische Nationalpolizei und die Guardia Civil am Referendumstag vor.
Die spanische Nationalpolizei dagegen, so berichtet eine Berichterstatterin der britischen BBC und unterlegt das mit Aufnahmen, hat am Montag die Gewalt im Zentrum Barcelonas ausgelöst. Jean Mackenzie twitterte in der Nacht vom Montag auf Dienstag, dass Polizisten "mit Gummigeschossen in eine Mahnwache für die katalanischen Gefangenen geschossen hat". Damit sei die Lage sofort "erschreckend und gewalttätig" geworden. Sie twitterte auch, dass auch die Journalisten rennen mussten, um nicht getroffen zu werden. Immer wieder werden auch Journalisten von prügelnden Polizisten oder von Gummigeschossen verletzt, wie die Fotojournalistin Sira Esclasans. Die Polizei macht regelrecht Jagd auf Leute, nur um sie brutal zu verprügeln, wie zum Beispiel ein Video des Fotojournalisten Santiago Botero zeigt. Sie hat kein Interesse daran, die Personen wegen irgendwelcher Vergehen festzunehmen.
Katalanischer Regierungschef Quim Torra sorgt für Streit in der Regierung
Torra hat sich durch sein zunächst zaghaftes Vorgehen in eine defensive Position gebracht. Er brauchte zu lange, um die Gewalt eindeutig zu verurteilten, kapriziert allein auf Provokateure und Randalier, und hat zudem bisher den für die Mossos verantwortlichen Innenminister nicht entlassen. Denn der muss die politische Verantwortung dafür übernehmen, dass die Mossos mit ihrem gewaltsamen Vorgehen am Flughafen, besonders die Sondereinheit Brimo, für eine Zuspitzung gesorgt haben, die ganz offensichtlich in Spanien erhofft wurde. Dort wird erneut über darüber gesprochen, Katalonien unter Zwangsverwaltung zu stellen.
Demos in Katalonien (4 Bilder)
Um wieder in die Offensive zu kommen, hat er heute den Vorschlag aus dem Hut gezaubert, der offensichtlich mit niemandem abgesprochen war, ein zweites Referendum durchzuführen und noch in dieser Legislaturperiode die Unabhängigkeit von Spanien zu ratifizieren. "Wenn wir für die Aufstellung von Urnen zu 100 Jahren Gefängnis verurteilt werden, dann ist die Antwort klar: Man muss erneut Urnen für die Selbstbestimmung aufstellen", sagte Torra im Parlament von Barcelona.
Damit hat er für erheblichen Krach in der Regierung gesorgt und die Unterstützer haben sich von ihm distanziert. Auch die linksradikale CUP ist inzwischen genervt und spricht ihm Glaubwürdigkeit ab. Die CUP tendiert inzwischen in Richtung Neuwahlen, die die ERC längst auf die Tagesordnung gesetzt hat, da Torra bisweilen freihändig jongliert und sich nicht abspricht. Es ist klar, dass der Mann, der nur eine Notlösung war, nachdem Spanien die erneute Wahl von Carles Puigdemont und anderen Kandidaten auch durch Inhaftierung verhindert hat, ziemlich überfordert ist