Sparen mit hohen Ausgaben

Kreative Haushaltsführung in Spanien macht es möglich, offiziell zu sparen und gleichzeitig Milliarden auszugeben

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Bis 2012 will die sozialistische Regierung in Spanien insgesamt 17 Milliarden Euro in Bahn- und Straßenbauprojekte stecken, um die Bauwirtschaft zu stützen. Die ist nach dem Crash des Immobilienmarkts erwartungsgemäß abgestürzt. Mit weiteren 5 Milliarden Euro sollen neue Arbeitsverträge gefördert werden und zudem soll die Mehrwertsteuer auf Renovierungsarbeiten gesenkt werden. Das sind hohe Mehrausgaben und Einnahmeausfälle, angesichts dessen es immer fraglicher wird, wie Madrid das enorme Haushaltsdefizit bis 2013 auf 3% drücken will. Erwartungsgemäß knicken die Sozialisten (PSOE) gegenüber den Unternehmern ein und wollen Kündigungen noch leichter machen.

Als wäre Spanien durch die ungebremste Bauwut der vergangenen Jahre nicht genug mit Beton ausgegossen worden, sollen in den nächsten Jahren weitere 17 Milliarden Euro in Infrastrukturprojekten verbaut werden. Worum es dabei geht, ist klar. Der völlig aufgeblähte Bausektor, der vor dem Immobiliencrash etwa ein Drittel der Wirtschaftsleistung des Landes ausmachte, soll subventioniert werden. Als Nebeneffekt hofft die Regierung darauf, dass die Arbeitslosigkeit nicht noch weiter steigt. Schließlich ist Spanien mit einer Quote von fast 20% im Euroraum abgeschlagen Spitzenreiter. Schon fast jeder zweite junge Mensch hat keinen Job (Jugendarbeitslosigkeit in Europa auf Rekordhöhe).

Ministerpräsident José Rodriguez Zapatero hat deshalb ankündigt, man werde über einen außerordentlichen Investitionsplan 17 Milliarden Euro in Bahn- und Straßenbauprojekte investieren. Die Regierung will damit 400.000 Jobs sichern oder schaffen. Das versprochene Umsteuern, weg von der Bauwirtschaft, sähe aber anders aus. Statt in neue Bereiche, Umwelttechnologie, Energieeffizienz oder in erneuerbare Energien zu investieren, weshalb auf den Kyoto-Sünder zudem hohe Kosten im Emissionshandel zukommen, wird ein Dinosaurier am Leben erhalten, dem längst die Luft ausgeht.

Und so ist es kein Wunder, wenn die Unternehmervereinigungen den Hut vor der Regierung ziehen. Der Aerco-Präsident zeigte sich "zufrieden" über den Plan, weil er sich besonders an mittlere Unternehmen richte. Aerco vertritt die mittleren Unternehmen, die öffentliche Aufträge ausführen. Ihr Präsident Javier Sáenz de Cosculluela war von 1985 bis 1991 Bauminister und ist Mitglied der Regierungspartei. Auch die Nationale Baukonföderation (CNC) begrüßt die Entscheidung und auch der große Unternehmerverband CEOE reibt sich die Hände.

Das ist auch nicht die einzige Maßnahme, um den Bausektor zu stützen. Weitere 1,4 Milliarden sollen an Steuereinnahmen zur Förderung von Renovierungsarbeiten wegfallen. Zwar wird die Regierung die Mehrwertsteuer im Juni um 2% auf 18 % anheben, doch soll bis Ende 2012 bei Renovierungen und Verbesserungen der Erstwohnung nur der verminderte Mehrwertsteuersatz erhoben werden, der von 7% auf 8% angehoben wird. Diese Kosten können zudem, je nach Einkommen, teilweise von der Steuer Link auf www.lne.es/economia/2010/04/10/95-contribuyentes-podra-desgravar-obras-vivienda-habitual/898582.html werden.

Beide Maßnahmen belasten die Staatskassen schwer. Die Vergünstigung für Renovierungen lassen sich aber mit positiven Effekten gegenrechnen. Denn derzeit werden viele dieser Arbeiten mit Schwarzarbeit erledigt, womit kein Geld in die Staatskassen gespült wird. Arbeitsminister Celestino Corbacho schätzte unlängst, dass die Schattenwirtschaft schon jetzt 20% der Wirtschaftsleistung ausmacht. Trotzdem wird es damit aber noch schwieriger die Sparziele umzusetzen, wenn erneut 1,4 Milliarden Euro an Einnahmen wegfallen.

Kreative Haushaltstricks

Einige der Ziele, mit denen das Haushaltsdefizit im laufenden Jahr unter die Marke von 10% und bis sogar 2013 unter EU-Stabilitätsmarke von 3 % gedrückt werden sollte, wurden schon längst beerdigt, wie der veränderte Berechnungszeitraum für die Renten. Ob die Regierung die allgemeine Anhebung des Rentenalters auf 67 durchbekommt, ist angesichts des Widerstands fraglich. Statt zu sparen, greift man in Madrid derzeit tief in die Taschen und überlegt auch, die auslaufende Abwrackprämie für Autos zu verlängern, womit erneut hohe Kosten entstünden.

Den großen Brocken aber, also die 17 Milliarden, die in Bahn- und Straßeninfrastruktur gesteckt werden sollen, lagert man aber kreativ aus den kommenden Haushalten aus. Die Baumaßnahmen sollen von Banken und Unternehmen vorfinanziert werden. Wenn ab 2013, so die Hoffnung, die Maastricht-Kriterien wieder eingehalten werden, werde ab 2014 das Geld sukzessive zurückgezahlt. Letztlich handelt es sich, soweit die Details bisher bekannt sind, um einen verdeckten Kredit an den Staat, der allerdings in den Berechnungen des Haushaltsdefizits in den nächsten Jahren nicht auftaucht.

Das sind so kreative Maßnahmen, mit denen auch schon das offizielle Defizit 2009 gesenkt wurde. Hatte der Internationale Währungsfonds (IWF) es auf 12,3% geschätzt, gab es die Regierung nun mit geschätzten 11,2% an. Hier sind die hohen Schulden nicht eingerechnet, welche die öffentlichen Auftraggeber an unbezahlten Rechnungen bei Unternehmen vor sich herschieben, obwohl die Leistungen längst erbracht wurden. Die Milliarden für Straßenbaumaßnahmen sollen ab 2014 über 30 Jahre bis 2044 und die für Bahninfrastruktur über 25 Jahre bis 2039 abgestottert werden. Die aktuelle Regierung belastet damit die Haushalte der kommenden Regierungen für lange Zeit mit einer enormen Hypothek. Gesprochen wird von 8% des gesamten jährlichen Budgets, das für Infrastrukturmaßnahmen zur Verfügung steht.

Regierung will einen Teil der Abfindungszahlungen der Unternehmen bei Entlassungen übernehmen

Doch die Ausgabenliste ist noch länger. Denn um den einzigen Kündigungsschutz weiter auszuhöhlen – die Abfindungen – will die Regierung den Unternehmern großzügig noch einen Teil der Abfindungszahlungen abnehmen. Wie einst der Unternehmerverband CEOE zur Förderung von unbefristeten Stellen durchgesetzt hatte, wurde im Gesetz eine Sonderregelung für Neuverträge eingeführt. Statt 45 Tage werden seit 2006 für die Neuverträge nur noch 33 Tage Abfindung pro gearbeitetes Jahr berechnet.

Doch auch diese verbilligten Neuverträge hatten einen großen Haken. Sie wurden kaum von den Unternehmern geschlossen. Die Zahl der Zeitverträge ging in Spanien nicht zurück, es gibt mehr als in Italien, Großbritannien, Belgien und Schweden zusammen. So wurden zum Beispiel im März nicht einmal 10% aller Verträge unbefristet geschlossen. Die hohe Zahl befristeter Verträge hat es dagegen ermöglicht, dass die Arbeitslosigkeit so schnell und so hoch gestiegen ist, wie in keinem anderen Euroland und ganz extrem junge Menschen trifft, die nie ein festes Beschäftigungsverhältnis hatten.

Nun unterbreitete das Arbeitsministerium in den Sozialpaktgesprächen den Vorschlag, dass die Regierung auch noch 40 % der Abfindungszahlungen für die Unternehmer übernehmen will, wenn die dann endlich diese unbefristeten, aber sofort kündbaren Verträge abschließen. Damit würden die Kosten für die Kündigung noch geringer ausfallen und zum Teil dem Steuerzahler aufgebürdet. Dazu sollen weitere Subventionen fließen, wenn die Unternehmen junge Menschen mit solchen Verträgen einstellen. Berechnet wird, dass die Staatskassen damit zusätzlich um 5 Milliarden Euro belastet werden.

Anzumerken ist, dass auch die geplanten 33 Tage noch über dem lägen, was Arbeitsrichter in Deutschland gewöhnlich zur Berechnung der Abfindungen anlegen. Doch muss hierbei das geringe spanische Lohnniveau beachtet werden. Der Mindestlohn, den viele verdienen, liegt bei 665 Euro monatlich. Etwa 10 Millionen Arbeitnehmer (etwa die Hälfte der aktiven Bevölkerung) erhalten einen Lohn, der unter 1.000 Euro monatlich liegt. Da es in fast allen Regionen keine Sozialhilfe gibt, müssen sich die Familien nach dem Auslaufen des Arbeitslosengeldes mit den Abfindungen über Wasser halten, weshalb die Abfindungsregelung eine andere Funktion als in Deutschland hat.

Doch auch das reicht den Unternehmern noch längst nicht aus. Nach der Sitzung des Sozialpakts erteilten sie dem Vorschlag zunächst ihren Segen, weshalb Medien wieder einmal den Gewerkschaften den Schwarzen Peter zuschoben, die das Papier kritischer sehen. Schon am Mittwoch zogen die Unternehmer die Zustimmung wieder zurück und fordern mehr. Sie haben die Schwäche der Regierung erkannt, weshalb sie den Bogen erneut spannen. In einer Erklärung fordert der große Unternehmerverband CEOE niedrigere Sozialbeiträge für die Unternehmen und eine höhere interne Flexibilität. Dass für die hohen Steuersubventionen an die Unternehmen auch etwas Entgegenkommen und soziale Verantwortung gefordert wird, gefällt dem schwer umstrittenen CEOE-Chef Díaz Ferrán nicht. Die Unternehmer kritisieren "Starrheiten", die mit den neuen Verträgen eingeführt werden sollen, "was in der wirtschaftlichen Situation zu vermeiden ist."

Es war aber nicht schwer vorauszusehen, dass der schwer angeschlagene Zapatero mit der Zuspitzung der Wirtschaftskrise auch an dieser Front einknicken wird, wie er schon dem Druck der Atomlobby oder im Urheberrecht den Content-Industrien nachgab. Noch im vergangenen Sommer hatte er angesichts unverschämter Forderungen der CEOE die Sozialpaktgespräche platzen lassen: "Die Vorschläge der Unternehmer sind unannehmbar für eine verantwortliche Regierung", sagte er, weil sie einen direkten Angriff auf den Sozialstaat und auf die Arbeitsbeziehungen seien.

Ferrán ist ohnehin der Prototyp des Unternehmers, der von der Regierung (Dädalus) stark gefördert, wie Ikarus zu hoch geflogen ist und nun aber abstürzt. Dafür mussten ihm nicht einmal die Flügel gestutzt wurden. Mit dem Knall, mit dem er seiner Fluggesellschaft Air Comet zerschellen ließ, hat er der Regierung zum Jahreswechsel schon hohe Kosten aufgefürdet. Von den Angestellten der Fluglinie, denen er noch viele Lohnzahlungen schuldet, nicht zu sprechen. Erst kürzlich musste die Regierung auch seiner Versicherung Mercurio die Lizenz entziehen, weil sie nicht einmal mehr die Mittel hatte, um Schadensfälle zu regeln. Um sein Reiseunternehmen "Marsans", dem größten Reisekonzern Spaniens, steht es so schlecht, dass am Donnerstag auch die französische Tochter in die Zahlungsunfähigkeit abgeschmiert ist. Nun fordert der passionierte Jaguar-Fahrer von der Regierung 50 Millionen Euro, um seine unproduktiven Geschäfte am Leben zu erhalten. Erst im März hatte er einen neuen Kredit von Banken über 30 Millionen erhalten, um ausstehende Rechnungen bezahlen zu können.

Nach der der spanischen Ratspräsidentschaft wird Brüssel Spanien in die Zange nehmen müssen

Ein Totalabsturz von Marsans würde Madrid gerade vor den Sommermonaten vor erhebliche Probleme stellen, womit Ferrán Erpressungsmaterial in der Hand hat. Ein neues und noch deutlich größeres Chaos im ohnehin schwachen Tourismusgeschäft würde dem Urlaubsland einen weiteren schweren ökonomischen Schaden zufügen, um vom Image nicht zu sprechen. Doch angesichts immer neuer Ausgabeposten, wird es immer fraglicher, wie Spanien die anvisierten Sparziele auch nur annähernd erreichen will.

Davor wird auch die EU-Kommission langfristig nicht die Augen verschließen können. Spätestens mit dem Ende der spanischen Ratspräsidentschaft im Juni, wird man in Brüssel die spanischen Sparpläne kritisieren müssen, um nicht vollends unglaubwürdig zu werden. Schließlich hat die EU-Kommission sich gerade wieder den Nachbar Portugal vorgenommen. Dabei ist dessen Sparplan deutlich realistischer als der aus Madrid, der zudem durch die neuen Milliardenausgaben schwer belastet wird.

Die EU-Kommission meint, Portugal müsse wohl bereits im laufenden Jahr mehr sparen als bisher geplant. Dabei bewerte der EU-Währungs- und Wirtschaftskommissar Olli Rehn den portugiesischen Konsolidierungsplan als ehrgeizig und konkret. Der von Lissabon vorgelegte Haushaltsplan basiere aber auf "ziemlich günstigen" gesamtwirtschaftlichen Annahmen. Erstaunlich war erneut der Vergleich mit Griechenland, gegen den sich Portugal vehement wehrt. Das portugiesische Defizit lag 2009 deutlich unter dem Griechenlands und sogar mit 9,3 noch 2% unter dem Spaniens. Anders als Spanien hat Portugal aber die Rezession längst verlassen und die Arbeitslosigkeit, welche die Staatskassen stark belastet, ist nur etwa halb so hoch wie beim Nachbar.