Speed matters
Celera, im Wettlauf mit dem Human Genome Project bei der Entzifferung der menschlichen Gene, vervollständigte die Sequenzierung des Fruchtfliegengenoms in Rekordzeit
Schon im Dezember hatte Celera gemeldet, dass das Genom der Fruchtfliege (Drosophila melanogaster), seit fast 100 Jahren das Lieblingstier der Genetik, vollständig sequenziert wurde. Jetzt wurden die Ergebnisse in der Zeitschrift Science veröffentlicht, können vom Internet abgerufen oder auf einer CD-ROM gelesen werden. Damit ist nicht nur die genetische Information des bislang ersten Insekts des größten Organismus und des ersten Organismus mit einem zentralen Nervensystem entschlüsselt, sondern auch ein Wettlauf entschieden worden, der auf den Gewinner bei der Sequenzierung des menschlichen Genoms weist.
Manche bezeichnen das entschlüsselte Genom der Fruchtfliege als den "Rosettastein für die Sequenzierung des menschlichen Genoms", um die es natürlich eigentlich geht, auch wenn die Fruchtfliege viele der Gene besitzt, die auch beim Menschen vorhanden sind und sie daher als wichtiger Modellorganismus gilt. Obgleich die Grundlage des Erfolgs von einem internationalen amerikanischen, europäischen und kanadischen Konsortium unter der Leitung des Berkeley Drosophila Genome Project (BDGP) gelegt wurde, so waren bis 1998 nur 25 Prozent des Genoms sequenziert worden.
Dann aber stieg Celera mit Craig Venter in das Unternehmen mit einem neuen Verfahren und einem großen Park von modernsten Sequenzierungsmaschinen ein, um beim Genom der Fruchtfliege zu demonstrieren, wer im Wettlauf um den wirklichen Goldenen Gral der Genetik, das menschliche Genom, die Nase vorn haben wird (Wer gewinnt den Wettlauf?). Celera vergleicht diese Geschwindigkeit damit, dass die Sequenzierung des ersten Organismus, Haemophilus influenzae, mit nur zwei Millionen Basenpaaren ein Jahr gebraucht habe, früher wäre man mit anderen Verfahren sogar noch langsamer gewesen. Der Erfolg bei der Fruchtfliege führte auch zu einer Umgestaltung der Website des Unternehmens, auf dem jetzt das Motto "Speed matters" prangt, was natürlich bedeuten soll, dass man mit Celera am schnellsten zum Ziel kommt und dann auch die Besitzansprüche auf geistiges Eigentum an Genen einheimsen kann, was die Shareholder bei der Stange und neue anlocken soll. Craig Venter meinte denn auch: "Wir sind hundertprozentig sicher, dass es keine Probleme bei der Zusammenführung des menschlichen Genoms geben wird."
Nach nur knapp einem Jahr wurde die Sequenzierung des Genoms der Fruchtfliege nicht nur in Rekordzeit abgeschlossen, sondern Celera kann auch melden, dass die von Beteiligten am Human Genome Project vielfach kritisierte "Shotgun"-Methode sich als erfolgreich gezeigt hat: eine Genauigkeit von 99,99 Prozent der sequenzierten genetischen Information meldet Celera, was schon fast an Wahlergebnisse der ehemaligen kommunistischen Staaten erinnern mag. Das verdankt sich der geringen Variation bei den gezüchteten Laborfliegen, für das menschliche Genom ist man schon mit einem Fehler auf 10000 Basenpaaren zufrieden. Während die Wissenschaftlers Fruchtfliegen-Konsortiums ebenso wie das von öffentlichen Geldern finanzierte HPG kleine Teile des sequenzierten genetischen Codes zu Segmenten erweitert, um daraus das gesamte Genom zusammenzubauen, fügt die "Shotgun"-Methode das Genom in einer Berechnung das Genom aus vielen Millionen kleiner Fragmente zusammen.
Celera hat in Zusammenarbeit mit dem BDGP und der Baylor University das noch nicht ganz vollständige Genom veröffentlicht und die ausdrücklich "Version 1" genannten Daten der Allgemeinheit kostenlos zugänglich gemacht. Nach den Angaben der Wissenschaftler wurden 97 Prozent der DNS-Sequenzen entziffert, die 99 Prozent des gesamten Genoms aus 250 Millionen Basenpaaren darstellen sollen, die auf vier Chromosomen verteilt sind und 13600 Gene enthalten. Damit hat die Fruchtfliege nur doppelt soviele Gene wie die einzellige Hefe, deren Genom auch vollständig sequenziert wurde, und erstaunlicherweise erheblich weniger als 18000 Gene des Wurms C. elegans (Ein kleiner Wurm macht Karriere). Beim Menschen geht man davon aus, dass sein Genom zwischen 80000 und 100000 Gene enthält. Das ist natürlich schon noch einmal etwas anderes. Nicht sequenziert wurden neben kleinen Auslassungen der genetischen Sequenzen, die man bald nachholen will, die gesamte strukturelle DNA, die vermutlich keine Gene enthält, aber auch mit den verfügbaren Techniken nicht sequenziert werden kann, weil hier tausende Male dieselben Basenpaare wiederholt werden. Vollständigkeit ist mithin ein relativer Begriff.
Möglicherweise aber gab es für die schnelle offizielle Veröffentlichung des sequenzierten Genoms auch andere Gründe. Vor kurzem sind Verhandlungen zwischen Celera und dem HGP abgebrochen worden, die darauf abzielten, eine ähnliche Kooperation wie im Fall der Fruchtfliege auch bei der Sequenzierung des menschlichen Genoms einzugehen, weil man dem Unternehmen vorwarf, dass es die Ergebnisse nicht der Öffentlichkeit zur Verfügung stellen und damit eine Art Monopol an den genetischen Informationen des Menschen errichten wolle (Patentierung des menschlichen Genoms). Kurz darauf hatten Blair und Clinton gefordert, dass die Sequenzierungsergebnisse beim menschlichen Genom der Allgemeinheit zur Verfügung stehen sollten, worauf gleich die Wertpapiere von Gentechnik-Firmen, darunter natürlich auch Celera, große Verluste erfahren haben (Wissenschaftler sollen die Informationen über das menschliche Genom frei zur Verfügung stellen). Celera betont daher in der Presseerklärung, dass die sequenzierten Daten allen Wissenschaftlern kostenlos über die Website der Firma und der öffentlichen Datenbank GenBank zugänglich gemacht worden. Bei der Veranstaltung, auf der der Erfolg gefeiert wurde, gab es für 1300 anwesenden Fruchtfliegenforscher für jeden auch das sequenzierte Genom auf einer CD-ROM. Dabei handelt es sich allerdings nur um die Rohdaten. Wer diese in einer aufgearbeiteten Form durchsuchen und analysieren will, muss aber bei Celera Gebühren bezahlen. Venter allerdings hebt hervor, dass Celera mit der Veröffentlichung des Fruchtfliegengenoms mehr Daten als jeder andere Konkurrent der Öffentlichkeit zugänglich gemacht habe - und kündigt auch gleich wieder an, dass man vermutlich bis zum Sommer auch das menschliche Genom veröffentlichen werde. Er hat auch in Gerald M. Rubin, dem Leiter des Berkeley Drosophila Genome Project, einen Mitstreiter gefunden, dessen Anpreisung der "fruchtbaren Zusammenarbeit" auf der Website von Celera daher auch an prominenter Stelle steht: "Why, you might ask, am I so willing to go out on a limb in defense of a company that is sometimes portrayed as the Darth Vader of genomics? Precisely because I believe that image is wrong and because I believe our collaboration-contrary to all negative expectations - could serve as a model for future collaborations between the public and private sector. It worked."
Allerdings ist auch das Genom der Fruchtfliege für die medizinische Forschung interessant. Man geht davon aus, dass zwei Drittel der 13600 Fruchtfliegengene in ähnlicher Form auch beim Menschen vorkommen. Wenn man einmal weiß, welche Aufgaben diese haben, könnte man auch besser verstehen, welche Bedeutung sie für den Menschen haben. Von den 289 Genen, von denen man weiß, dass sie bei Menschen zu Krankheiten führen, sollen 175 auch im Genom der Fruchtfliege vorkommen. Und dabei ist die Fruchtfliege als Modellorganismus sogar noch besser geeignet als Mäuse oder andere komplexere Tiere, die dem Menschen ähnlicher sind. Moralische Bedenken gibt es wohl kaum, beispielsweise bei der Fliege einzelne Gene auszuschalten, um zu sehen, welche Funktionen sie zu haben. Von Vorteil aber ist vor allem, dass die Fliegen wegen ihres kurzen Lebenszyklus von 10 Tagen es einfacher machen, die Auswirkungen von Eingriffen schneller feststellen zu können. Auch hier also zählt der Wahlspruch von Celera "Speed matters", der natürlich auch ein Angriff auf die mit Steuergeldern finanzierte Forschung an den Universitäten ist und herausstellen soll, dass kommerzielle Forschung schneller, billiger und besser ist.