Spezialeinsatz im Techno-Club: Wie gefährlich sind die Drogen?

Seite 2: Irrationale Unterscheidungen in der Drogenpolitik

Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, die die Wirkungsweise psychoaktiver Substanzen erforschen, kritisieren diese Drogenpolitik seit Langem als irrational. Laut dem Independent Scientific Committee on Drugs unter Führung von David Nutt, Professor für Neuropharmakologie in London, sind beispielsweise Crack, Heroin, Crystal Meth und Alkohol gefährlicher als das in der BR-Sendung erwähnte Kokain.

Dichtauf liegt Amphetamin ("Speed"), das Psychiater – auch in Deutschland – immerhin Kindern (!) mit Aufmerksamkeitsproblemen verschreiben.

Weit abgeschlagen auf der Liste der Forscher folgen Cannabis und Ecstasy. Da ich selbst mit Medikamenten und Drogen sehr vorsichtig bin (Ausnahmen: Alkohol und Koffein), erschließt sich mir die Wirkung von Letzterem, einem Amphetaminderivat, nur aus dritter Hand: Wissenschaftliche Studien und Aussagen von Konsumenten versichern mir aber, dass die Substanz zu einem wohligen Körpergefühl führt, zur intensiveren Erfahrung von Berührungen und Musik, zum Abbau von Hemmungen sowie zu einem höheren Kontaktbedürfnis und Empathie. Man fühle sich mit anderen verbunden.

Worin genau soll die Straftat bestehen? Warum muss ein demokratischer Rechtsstaat hier zu seinem schwersten Mittel greifen? Einem Verbot, das zu Polizeimaßnahmen, Geld- und Freiheitsstrafen führen kann.

Doppelte Stigmatisierung

"Zum Gesundheitsschutz!", werden hier manche erwidern. Dann ist es aber zumindest einmal ein schwer zu erklärendes Phänomen, dass ausgerechnet Bayern mit seinem harten Durchgreifen konsistent mit die meisten Drogentoten von Deutschland hat – und, wie auch die Faktenfüchse des Bayerischen Rundfunks bestätigen, mehr Drogentote als die liberaleren Niederlande.

"Die Substanzen können aber psychische Störungen und insbesondere Psychosen auslösen!", lautet die nächste Verteidigungslinie der Drogengegner. Psychosen – zum Beispiel Paranoia, Wahnvorstellungen, Halluzinationen, Stimmenhören – kann man aber auch ohne Substanzkonsum haben. Korrelation ist eben, wie so oft, nicht gleich Kausalität.

In welche Richtung hier der Ursache-Wirkung-Pfeil zeigt, ist bis heute noch gar nicht klar. Vielmehr scheint es so zu sein, dass Menschen, die ohnehin anfälliger für psychische Probleme sind, eher zu Drogen greifen. Zum Teil sind es schlicht Bewältigungsstrategien für die Härten im Leben, zum Teil handelt es sich um Selbstmedikation.

Beispielsweise sind Ängstlichkeit und Einsamkeit typische Merkmale psychischer Störungen wie Angststörungen oder Depressionen. Nicht jeder will deswegen zum Psychologen oder Psychiater rennen, wo man einen diagnostischen Stempel aufgedrückt bekommt, der sich zudem bei der beruflichen Laufbahn, beim Abschließen bestimmter Versicherungen oder Hypotheken negativ auswirken kann. Ecstasy wirkt beispielsweise über das Serotoninsystem im Gehirn – wie auch millionenfach verschriebene Antidepressiva.

Der bereits erwähnte Pharmakologe und Drogenexperte David Nutt verglich einmal in einer wissenschaftlichen Fachzeitschrift die Risiken von Ecstasy-Konsum mit denen des Reitsports. Demnach führt das Reiten ungefähr alle 350 Vorkommnisse zu einem unerwünschten Ergebnis, die Droge aber nur alle 10.000 Vorkommnisse. Die britische Öffentlichkeit dankte ihm diesen Vergleich nicht und Nutt musste den Vorsitz eines Drogenberatergremiums aufgeben.

Im Endergebnis sind Traumata, schwere Lebensereignisse, Stress und soziale Ausgrenzung gleichermaßen Risikofaktoren für psychische Störungen und Drogenkonsum. Dazu kommen eine leichte genetische Veranlagung, die Verfügbarkeit von Substanzen sowie Vorbilder im eigenen Umfeld.

Was genau hiervon soll nun eine Strafe verdienen? Vielmehr droht eine doppelte Stigmatisierung, dass der Staat, dass Polizei, Staatsanwaltschaften und Gerichte Bürgerinnen und Bürger, die es ohnehin schon schwerer haben als andere, weiter aus der Gesellschaft ausgrenzen.

Und wo wir über Traumata sprachen: Die Dämonisierung hat auch wissenschaftliche Forschung zu therapeutischen Anwendungen psychedelischer Substanzen wie Ayahuasca, LSD oder Psilocybin behindert. Auch das lässt sich nicht mit angeblichem Gesundheitsschutz vereinbaren. Der neue Hype ist nun das "microdosing" solcher Substanzen, was ich in meinem Bericht über Gehirndoping aufgegriffen habe.

Lösungen

Vergessen wir nicht, dass der Status quo trotz und in Teilen wahrscheinlich sogar wegen der Verbotspolitik zustande kam: Wenn Drogenkonsum stigmatisiert ist, gibt es weniger Hilfsangebote und nehmen sie diejenigen, die sie nötig haben, seltener wahr. In einem Notfall wird eher kein oder später ein Notruf unternommen, weil der Besitz der konsumierten Substanz ja eine Straftat darstellt.

Man kann natürlich weiterhin Bürgerinnen und Bürgern, die sich treffen, um gemeinsam Spaß zu haben, Repressionen aussetzen. In vielen europäischen Großstädten sind trotzdem Drogen so einfach zu beziehen wie eine Pizza beim Lieferservice. Dieser Konsum birgt eigene Risiken, da die Substanzen aus unkontrollierten Quellen stammen, unterschiedlich dosiert oder verunreinigt sein können. Wo bleibt hier der Gesundheitsschutz?

Man kann kritisieren und bekämpfen, dass kriminelle Banden etwa tonnenweise Kokain über den Rotterdamer Hafen nach Europa importieren oder in Drogenlaboren in Osteuropa oder dem Süden der Niederlande massenweise synthetische Drogen wie Ecstasy oder Crystal Meth herstellen – dass die Mittel gekauft werden, beweist aber auch eine große Nachfrage in der Bevölkerung.

Die meisten Menschen können damit – ebenso wie mit Alkohol – gut umgehen. Den wirklichen Problemfällen wäre mit Prävention und Hilfsangeboten besser geholfen. Was so ein mehrstündiger Nachteinsatz einer Spezialeinheit der Polizei mit 100 Beamten stattdessen den Steuerzahler kostet, verrät uns die Dokumentation des Bayerischen Rundfunks leider nicht.