Staatsangehörigkeitsrecht in Deutschland: Definition des Deutschen im Wandel

Seite 2: Diskriminiert das deutsche Staatsangehörigkeitsrecht?

Damit ist die Debatte darum, wer deutscher Staatsbürger ist oder werden kann, aktueller denn je. Primär knüpft die Staatsbürgerschaft an das Abstammungsprinzip an. Die Demographie in Deutschland aber verändert sich, es gibt immer mehr Menschen, die keine deutschen Eltern haben.

Es könnte zwangsläufig diskriminierende Wirkung haben, dass das Abstammungsprinzip als Kriterium für die Verleihung der Staatsbürgerschaft nach wie vor im Vordergrund steht, da dieses Kriterium für mehr und mehr Menschen in Deutschland nicht erreichbar ist.

Jedenfalls widerspräche es dem Gleichheitsprinzip, wenn die Staatsbürgerschaft vor allem anhand ethnischer Kriterien verliehen würde. Denn dann würde über die Abstammung hinaus auf vermeintlich "deutsche" Herkunft, Kultur und Gebräuche abgestellt. Das ist aber nicht zwangsläufig so.

Zwar müssen nur Menschen, die nicht qua Geburt deutsche Staatsbürger sind, in einem Einbürgerungsverfahren Kenntnisse des deutschen Rechtssystems und andere Voraussetzungen nachweisen können. Gebürtige Deutsche müssen das nicht.

Das schafft zunächst einmal Ungleichheit. Andererseits hat die Verleihung der Staatsbürgerschaft qua Geburt erst einmal nichts mit ethnischer Zugehörigkeit zu tun. Das Abstammungsprinzip soll sicherstellen, dass in Deutschland geborene Kinder nicht staatenlos sind.

Außerdem soll es genügend Deutsche geben, die am demokratischen Willensbildungsprozess mitwirken können. Denn nur auf diese Weise kann der Staat seine Macht legitimieren. Ein funktionierendes demokratisches System bedingt außerdem, dass seine Bürger dauerhaft Teil davon sein wollen, setzt also eine gewisse Loyalität und einen Bleibewunsch voraus.

Das führt zu einem Paradox. Diskriminierung und Abgrenzung sind nicht grundsätzlich im deutschen Staatsbürgerschaftsrecht angelegt. Das Gefühl der Überfremdung ist damit nicht mehr als das: ein Gefühl. Genauso wenig ist die Anknüpfung an ethnische Kriterien bei der Vergabe der Staatsbürgerschaft im deutschen Recht verankert.

Befinden sich aber immer mehr Menschen mit Zuwanderungsgeschichte in Deutschland, die nicht deutsche Staatsbürger sind und keinen Anspruch auf politische Teilhabe haben, führt das trotzdem zu einer Ungleichbehandlung. Schon die (fehlende) Inhaberschaft der Deutschengrundrechte führt zur Abgrenzung einer Gruppe von der anderen.

Die Tatsache aber, dass die Verfassung die Ausgestaltung des Staatsangehörigkeitsrechts dem Gesetzgeber übertragen hat, öffnet Spielräume dafür, diese Regeln zeitgemäßen Reformen zu unterziehen. Im 2017 ergangenen NPD-Verbotsurteil befasste sich das BVerfG mit dem Begriff des deutschen "Volkes".

In dem Urteil wird explizit erwähnt, dass der Gesetzgeber, sofern der Anteil ausländischer Menschen an der Gesamtbevölkerung steigt, für diese den Erwerb der deutschen Staatsbürgerschaft erleichtern und damit einem Ungleichgewicht entgegenwirken kann. Er habe die Zugehörigkeit zum deutschen Volk "weder als etwas Naturwüchsiges noch als unvermeidliche Konsequenz einer historischen Entwicklung" konzipiert, "sondern vielmehr als Ergebnis einer demokratischen Entscheidung".

Deutschsein mitgestalten

Diese demokratische Entscheidung kann und muss jetzt getroffen werden. Denn während sich Deutschland einerseits als Willkommenskultur begreift, bestehen andererseits ernst zu nehmende Schwierigkeiten aufgrund wachsender Zuwanderung, die die Kommunen überfordert. Teile der Opposition, aber auch die Kommunen selbst nehmen diese Schwierigkeiten zum Anlass, eine Begrenzung der Zuwanderung zu fordern.

Eine einfache Lösung für dieses Problem wird es nicht geben. Wenn jedoch Ultima-ratio-Lösungen wie diese vorgetragen werden, muss zu Ende gedacht werden, was das für einen demokratischen Rechtsstaat eigentlich bedeutet.

Die Verfassung verwebt den Begriff der Deutschen mit dem der Staatsangehörigkeit. Zudem öffnet genau diese Definition eine Tür, denn für Veränderungen des gesellschaftlichen Gefüges in Deutschland hat der Verfassungsgeber gewissermaßen vorgesorgt.

Wie das Staatsangehörigkeitsrecht in Deutschland ausgestaltet wird, liegt in der Hand der Gesetzgeber, und die wählen wir. Eine pauschale Begrenzung der Zuwanderung steht damit einer diskursiven und kontroversen Auseinandersetzung mit dem Begriff "Deutschsein" entgegen.

Das macht deutlich, wie wichtig die andauernden Debatten um Zugehörigkeit sind. Denn letztlich münden diese Debatten in Wahlentscheidungen, und diese wiederum in der Vergabe von Ämtern, in denen an der Ausgestaltung des Staatsangehörigkeitsrechts gearbeitet wird. Einfluss auf diese Debatten haben auch Stimmen, die sich wünschen, dass ethnischen Kriterien bei der Vergabe der Staatsangehörigkeit eine wichtigere Rolle zuteil wird.

Umso mehr Stimmen müssen diesem konsequenten Abschottungsversuch etwas entgegenhalten. Denn haben Menschen in Form von wertvollen Leistungen oder zivilgesellschaftlichem Engagement bewiesen, dass sie Teil dieses Landes werden wollen, ist es nur konsequent, ihnen Mitbestimmungsrechte zu verleihen.

Die Definition des Wir und des Ihr liegt damit ein Stück weit in unserer Hand. Sie ist nicht in Stein gemeißelt, und das ist eine Chance. Der Gesetzgeber kann neu regeln, wer Angehöriger dieses Staates und der "Deutschen" sein soll. Als demokratische Gesellschaft sind aber wir in der Pflicht, zu bestimmen, welche Werte dabei im Vordergrund stehen.

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