Staudamm verursacht Erdbeben

Die Anwohner des Itoiz-Staudamms müssen eine durch Geröll ausgelöste Flutwelle befürchten

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Der Streit um den Staudamm von Itoiz geht in eine neue Runde. Nach einem Kongress mit 370 Experten stellte die Wasserbehörde CHE fest, dass die "Technologie zur Stabilisierung einer Talseite" zur Verfügung stehe. Das ist insofern erstaunlich, als das Abrutschen der linken Talseite, in der zudem die Staumauer verankert ist, jahrelang negiert wurde. Ein Gutachten verschwand in der Bauphase im Giftschrank. Erst seit am benachbarten Staudamm Yesa an der linken Talseite 3,5 Millionen Kubikmetern Erde abrutschten, wird die die Gefahr ernster genommen, dass eine Flutwelle unterhalb des Staudamms von Itoiz vielen Menschen das Leben kosten könnte. Das Problem wird noch dadurch verstärkt, dass der Staudamm seit dem Beginn der Befüllung ständig Erdbeben induziert. Namhafte Gutachter haben die "nicht zu korrigierenden Mängel" schon vor Jahren festgestellt und vor den Katastrophen gewarnt, die über die Befüllung entstehen könnten.

Das kleine Dorf Itoiz ist längst in den Wassern des umstrittensten spanischen Staudamms untergegangen. Mit ihm verschwanden acht weitere Dörfer sowie 1100 Hektar Wald und Ackerfläche in der Provinz Navarra in einer Wassersäule, die etwa so hoch wie der Kölner Dom sein soll, wenn der See bis zum Anschlag gefüllt ist. Dann werden auch Teile von drei Naturschutzgebieten und zwei Vogelschutzzonen in den Tälern des Irati und Urubi, in denen fast 100 vom Aussterben bedrohte Tierarten siedeln, geflutet sein.

Der Staudamm ist ein Beispiel für die spanische Art, ein Projekt mit allen Mitteln durchzusetzen. Sogar ein Urteil vom Obersten Gerichtshof, der das Projekt annullierte, konnte dessen Betreiber nicht stoppen. Dazu lief die Maschinerie zu geschmiert. Hohe sozialistische Politiker mussten abtreten, weil sie in Korruptionsskandale verwickelt waren und Schmiergeld von Siemens angenommen hatten. Der Regierungschef Gabriel Urralburu und sein Bauminister Antonio Aragon wurden sogar zu Haftstrafen verurteilt - und genau diese beiden waren es, die das Projekt Itoiz vorantrieben.

Doch auch die Konservativen, welche die Sozialisten (PSOE) ablösten, fanden mit deren Unterstützung immer einen Dreh, um Widerstand und negative Urteile auszuhebeln. So wurden die Naturschutzgebiete nachträglich per Regionalparlamentsbeschluss verkleinert, damit nur noch Gebiete geflutet werden, die nun nicht geschützt waren. Dieses rückwirkende Vorgehen erhielt später sogar den Segen der spanischen Verfassungsrichter.

Angst statt Segen

Die Hoffnung, dass der Widerstand gegen den Staudamm erlahmt, wenn die gewaltsam geräumten Dörfer in den Fluten verschwunden sind, erwies sich als falsch. Der hat sich seither zwar verändert, ist aber eher stärker geworden. Denn statt auf die wenig bevölkerten Gebiete oberhalb der Staumauer wird er nun von den dichter besiedelten Gebiete unterhalb der Mauer getragen. Hier nun sitzt vielen Menschen die Angst im Nacken. Früher glaubte eine Mehrheit dort an den Segen, den das Wasser zur Bewässerung für trockene Gebiete haben sollte.

Doch die Menschen werden, seit mit der Befüllung vor gut drei Jahren begonnen wurde, täglich massiv an den Staudamm erinnert – und an die Gefahr, die von ihm ausgeht. Mehr als 1000 Erdbeben wurden seither in und um das Bauwerk herum registriert. Das stärkste Beben erreichte eine Stärke von 4,6 auf der Richterskala. Allein über das letzte Wochenende registrierte das Instituto Geográfico Nacional (IGN) 17 Erdstöße, bis Sonntag Nacht insgesamt 101 im Juni. Es scheint, dass die Zahl der Beben um so stärker zunimmt, je höher die Wassersäule hinter der Mauer wächst. Bei den letzten Beben liegen die Epizentren zu fast 40 % direkt unter dem See und zu fast 70 % in einem Radius von nur 5 Kilometern um ihn herum.

Kaum jemand traut sich nun noch ernsthaft, den Zusammenhang zwischen den Erdbeben und der Befüllung zu negieren, wie es die Regionalregierung von Navarra und die Wasserbehörde zunächst versuchten. Die sozialistische Zentralregierung zog sich elegant aus der Affäre, nannte den Zusammenhang unwahrscheinlich, wollte aber nichts definitiv ausschließen und ließ deshalb untersuchen. Sehr ernst nahm man die Lage nicht, denn die Befüllung wurde nicht gestoppt, obwohl sie bisweilen wegen technischer Probleme mehrfach außer Kontrolle geriet und der Damm weit über die jeweils bestimmten Probemarken befüllt wurde.

Dabei hatten namhafte Geologen und Staudammbauer schon in der Bauphase auf das Problem hingewiesen und vor zwei Jahren den Zusammenhang in zwei Gutachten noch einmal in aller Deutlichkeit dargelegt. Offenbar hatten die Betreiber den Untergrund genauso unzureichend untersucht, wie vorher die unsichere linke Talseite.

In einem Gutachten, das der Geologieprofessor der Universität von Zaragoza, Antonio Casas, schon 1999 für die Staudammgegner erstellt hatte, warnte er davor, dass die Region "eine signifikante seismische Aktivität aufweist, die normalerweise mit Erdfalten im Untergrund in Verbindung steht". Im "Umfeld um den Staudamm von Itoiz" befänden sich, so Casas, "historische Epizentren", die beim Bau des Sees nicht beachtet worden seien.

Für den Geologen ist es deshalb keine Überraschung, dass mit der Befüllung eine "seismische Krise" einhergeht und die Epizentren im Bereich des Sees liegen. Vor zwei Jahren bestätigte auch sein Kollege Joaquín García Sansegundo, Professor an der Universität von Oviedo, dessen Vorhersagen. Fünf Kilometer unter dem See befänden sich Erdfalten, erklärte der Geologe, die sich durch den Druck des gestauten Wassers "in Bewegung gesetzt" hätten. Sansegundo wies in seinem Gutachten auch darauf hin, dass mit den Beben die Gefahr für die instabile linke Hangseite wachse, auf die sich der Damm ebenfalls stützt.

Erst 2006 stellten sich die Wasserbehörde CHE und die konservative Regionalregierung offen dem Problem einer unsicheren linken Talseite. Davor hatten sie dieses Problem jahrelang negiert, obwohl ihnen darüber Gutachten vorlagen. Eines davon, das ausdrücklich vom Abrutschen der linken Seite berichtete, wurde den Gegnern zugespielt, nachdem es von den Behörden jahrelang unter Verschluss gehalten worden war. Dass die darin festgehaltenen Ergebnisse zugegeben wurden, stand auch im Zusammenhang mit dem damals aktuellen Abrutschen der linken Talseite am benachbarten Staussee Yesa, das allerdings noch weitere acht Monate geheim gehalten wurde.

Es wird nur anerkannt, was nicht mehr zu bestreiten ist

Nach dem Erdrutsch am Stausee von Yesa kam - im wahrsten Sinne des Wortes - Bewegung in das Problem der abrutschenden Talseite von Itoiz. Auf Einladung der CHE trafen sich in Zaragoza, der Hauptstadt der Provinz Aragon, 370 Experten, um über die Sicherheit der Talseiten von Stausseen zu sprechen.

Die sozioökonomischen Folgen waren schon jetzt für Gegend um Yesa verheerend. Verlassene Dörfer nach Flutung der Anbauflächen und dem zerschneiden der alten Verkehrswege. Bild: Ralf Streck

Yesa liegt an der Grenze zwischen Navarra und Aragon. Dort soll der Staudamm erst noch vergrößert werden, weshalb die die mehr als drei Millionen Kubikmeter Geröll nicht in den See rutschten. Durch das Verschweigen des Vorfalls büßte die CHE bei der Bevölkerung an Vertrauen ein – auch deshalb, weil sie von diesem Vorfall offenbar überrascht worden war.

Mit dem Expertentreffen, sollte die beruhigende Prognose bestätigt werden, welche die gastgebende Wasserbehörde vorgegeben hatte. Der CHE-Präsident José Luis Alonso hatte schon vor Beginn der Konferenz erklärt, dass vom Stausee Yesa keinerlei Gefahr ausgehe. Selbst wenn die linke Seite "in den halbleeren See" gerutscht wäre, hätte dies Alonso zufolge nur eine "sehr kleine Welle" erzeugt. Was passiert, wenn eine solche Menge in einen prall gefüllten See rutscht, sagte er nicht. Ohnehin, so wurde auf dem Expertentreffen auch gewarnt, handelte es sich bei der bisher abgerutschten Menge nur um einen winzigen Teil einer Gesamtmenge von etwa 100 Millionen Tonnen, die schon in Bewegung seien. Die Verantwortlichen mühten derweil ab, deutlich sichtbare Risse im Umfeld des Stausees zu verbergen.

Dagegen warnte der Geologe Casas auf dem Treffen, dass das Problem abrutschender Seiten sich auch an anderen spanischen Stauseen ergeben werde. In einem Interview wies er auch darauf hin, dass die Auswirkungen deutlich dramatischer wären, wenn sich ein Erdrutsch in dem vergrößerten und vollen Stausee ereignen würde.

Yesa-Staudamm. Bild: Ralf Streck

Im Fall des Stausees Itoiz gehen sogar die Betreiber offiziell davon aus, dass gut die sechsfache Masse des Erdrutsches von Yesa, nämlich mindestens 20 Millionen Kubikmeter, schon jetzt in Bewegung ist. Nach Angaben von Casas ist diese Menge in Itoiz aber technisch bisher "schlecht charakterisiert". Die Messgeräte seien zudem "schlecht positioniert" und ihre Ergebnisse würden außerdem "falsch interpretiert". Dazu kommt, dass die Staumauer in Itoiz ausgerechnet in der abrutschenden Seite verankert ist und die Sicherheit durch die Erdbeben weiter beeinträchtig wird.

Die Wasserbehörde stellte dagegen nach dem Treffen wie erwartet fest, man verfüge über "ausreichende technische Möglichkeiten um die Seiten zu stabilisieren". Doch diesen Prognosen glauben viele Menschen unterhalb des Staudamms nicht mehr. Sie erwarten nichts anderes von einer Behörde, die jahrelang das Abrutschen der Talseite in Itoiz negierte und sogar den Erdrutsch in Yesa über acht Monate geheim hielt. Anstatt den Experten zu glauben, die offenbar auch die seismische Aktivität in der Region bei Bau übersehen haben, schenken sie ihr Vertrauen lieber denen, die all diese Probleme schon früh aufzeigten.

Chancen auf eine Änderung der Politik

So schließen sich viele der Meinung der Koordination gegen den Staudamm von Itoiz an, die seit langem fordert, den Damm sofort kontrolliert zu entleeren. Sie können sich dabei auch auf das Urteil eines der namhaftesten Staudammbauer in Spanien stützen. Der Geologe und Architekt Arturo Rebollo Alonso kam schon vor dem Befüllen und den auftretenden Erdbeben zu dem vernichtenden Ergebnis, dass die Untersuchungen im Vorfeld "lücken- und fehlerhaft" waren. "Das Risiko einer Katastrophe, die Szenarien zu denkbaren Störfällen, die mit dem Stauseeprojekt zusammenhängen, wurde in den Bauplänen und begleitenden Gutachten niemals erwähnt oder auch nur ansatzweise untersucht". Deshalb erklärte Rebollo: "Der Stausee von Itoiz darf nie gefüllt und in Betrieb genommen werden. Es bestehen schwerwiegende Probleme und Sicherheitsrisiken katastrophalen Ausmaßes."

Er erklärte zudem, dass "keine technischen Lösungen existieren, welche die von [ihm] genannten Sicherheitsprobleme heilen könnten". Eine Katastrophe, wie sie sich im norditalienischen Vajont 1963 ereignete, schließen weder Rebollo, noch Casas oder Sansegundo aus. 2600 Tote fielen dem von Menschenhand geschaffenen Tsunami zum Opfer, nachdem die südliche Talseite in den See abgerutscht war und die Flutwelle auslöste.

Die Gegner des Stausees von Yesa halten die Aussagen der CHE über die mögliche Nachbesserungen für "unverantwortlich und leichtfertig". Die Itoiz-Gegner bezeichnen das Vorgehen sogar als "kriminell". Man sei sich, so die Initiative, bewusst darüber, dass dies hart klinge - aber anders sei es kaum zu fassen, dass man "völlig unnötig tausende Menschen einer permanenten Gefahr aussetzt".

Demonstration gegen Itoiz in Agoiz, direkt unterhalb der Mauer. "Es leben die Dörfer, Itoiz stoppen". Bild: Ralf Streck

Eine winzige Chance auf eine Änderung der Politik im Fall Itoiz könnte sich daraus ergeben, dass die Konservativen bei den Regionalwahlen in der Region, in der teilweise baskisch gesprochen wird, im Mai die absolute Mehrheit im Regionalparlament verloren haben. Noch stehen die Sozialisten (PSOE), die stets einen Machtwechsel forderten, in Verhandlungen mit der baskischen Koalition "Nafarroa Bai" ("Ja zu Navarra"), die kritisch zum Staudammprojekt steht. Da die Koalition aus moderaten Nationalisten zweitstärkste Partei wurde, müsste die PSOE ihr in einer Koalition die Präsidentschaft überlassen. Das könnte dann das Aus für Itoiz bedeuten. Allerdings sind die Sozialisten nach dem Ende der Waffenruhe und dem schlechten Abschneiden bei den Wahlen in Spanien insgesamt so unter Druck geraten, dass sie in Erwägung ziehen, eine konservative Minderheitsregierung zu dulden. Der endlose Streit um Itoiz ginge dann in die nächste Runde.