Südkorea: Präsident Yoon scheitert am eigenen Machthunger
Präsident Yoon verhängt Kriegsrecht, doch das Parlament widersetzt sich. Ein Machtkampf entbrennt. Unser Gastautor klärt auf, wie es weitergehen könnte.
Der südkoreanische Präsident Yoon Suk Yeol hat am Dienstagabend mit der Verhängung des Kriegsrechts über sein Land die Welt in Aufruhr versetzt.
Yoons Gegner in der Nationalversammlung versuchten sofort, sich im Parlament zu versammeln, um das Dekret zu blockieren. Dies führte zu einer dramatischen Konfrontation mit Soldaten um die Kontrolle über das Gebäude.
In den frühen Morgenstunden des Mittwochs gelang es jedoch einer ausreichenden Anzahl südkoreanischer Abgeordneter, den Sitzungssaal zu betreten. Von den 300 Abgeordneten schafften es 190, also weit mehr als die für die Abstimmung erforderlichen 150. Sie lehnten die Anweisung des Präsidenten gegen 1 Uhr morgens einstimmig ab.
Währenddessen versammelten sich die Gegner Yoons weiterhin um das Parlament, wo sie sich mit dem Militär in einer angespannten Pattsituation befanden.
Gegen Vier Uhr 30 zogen sich die Streitkräfte zurück und Yoon gab öffentlich zu, dass sein Versuch gescheitert sei. Der Befehl werde zurückgenommen. Damit endete eine kurze, aber bedeutsame verfassungsrechtliche Autoritätskrise zwischen dem Präsidenten und der Nationalversammlung.
Was ist das Kriegsrecht?
Das Kriegsrecht setzt grundlegende demokratische Freiheiten außer Kraft und gibt dem Militär in Zeiten des Krieges oder einer ernsten Bedrohung der öffentlichen Sicherheit mehr Macht.
Ein Dekret von Yoons neu ernanntem Befehlshaber des Kriegsrechts, General Park An-su, Generalstabschef des Heeres, verkündete das Kriegsrecht:
[…] alle politischen Aktivitäten, einschließlich derjenigen, die mit der Nationalversammlung, den regionalen Versammlungen, politischen Parteien, der Bildung politischer Organisationen, Kundgebungen und Protesten zusammenhängen, sind verboten.
Mit dem Kriegsrechtsdekret wurden auch die Pressefreiheit stark eingeschränkt und ein laufender Streik der südkoreanischen Jungärzte beendet.
Es gab jedoch kaum unmittelbare Versuche, das Dekret durchzusetzen. Infolgedessen gab es eine umfassende und zeitnahe Berichterstattung über die Aktivitäten der Opposition.
Warum wurde das Kriegsrecht ausgerufen?
Yoon rechtfertigte das Kriegsrecht, indem er seine innenpolitischen Gegner "staatsfeindlicher Aktivitäten und Rebellion" bezichtigte.
Er behauptet, die Verfassung vor "pro-nordkoreanischen Kräften" geschützt zu haben. Dies ist ein rhetorisches Etikett, das einige südkoreanische Konservative häufig auf ihre liberalen Gegner anwenden.
Die Entscheidung ist vor dem Hintergrund monatelanger innenpolitischer Kämpfe zwischen dem südkoreanischen Präsidenten und der von der Opposition dominierten Nationalversammlung zu sehen.
Yoon rechtfertigte die Verhängung des Kriegsrechts auch damit, dass seine Gegner wiederholt versucht hätten, wichtige Mitglieder seiner Regierung zu stürzen, und die Haushaltsgesetze blockiert hätten.
Wer ist Südkoreas Präsident?
Yoon wurde 2022 mit hauchdünner Mehrheit gewählt. In der Folge sah er sich mit einer Reihe von politischen Korruptionsskandalen konfrontiert, die seine Unterstützung weiter schwächten.
Jüngste Umfragen zeigen, dass er in der koreanischen Öffentlichkeit nur noch eine Zustimmung von rund 25 Prozent genießt.
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Die Spannungen um Yoons Ehefrau, Südkoreas First Lady Kim Keon-hee, waren besonders groß, und Yoon entschuldigte sich Anfang November öffentlich für ihr Verhalten, nachdem eine Reihe peinlicher Korruptionsskandale ans Licht gekommen waren.
Erbe des Autoritarismus
Ein Amtsenthebungsverfahren ist definitiv in Sicht, insbesondere wenn die Südkoreaner am kommenden Wochenende in großer Zahl auf die Straße gehen, um das Ende von Yoons Amtszeit zu fordern.
Seit dem Übergang zur Demokratie im Jahr 1987 hat Südkorea erhebliche Fortschritte bei der demokratischen Konsolidierung gemacht und verfügt über eine starke und engagierte Zivilgesellschaft.
Gleichzeitig gibt es eine lange Geschichte von Skandalen, Amtsenthebungen und sogar mutmaßlicher Kriminalität unter den demokratisch gewählten Präsidenten Koreas.
Zuletzt endete die Amtszeit der ehemaligen Präsidentin Park Geun-hye 2017 nach öffentlichen Protesten und einer Amtsenthebung im Zusammenhang mit einem Bestechungsskandal vorzeitig.
Park wurde 2018 wegen damit zusammenhängender Verbrechen zu einer langjährigen Haftstrafe verurteilt. Sie wurde 2021 von ihrem Nachfolger begnadigt.
Der erfolgreiche Widerstand gegen Yoons Kriegsrechtsdekret hat einerseits die demokratische Belastbarkeit der südkoreanischen Institutionen und der politischen Kultur unter Beweis gestellt.
Zu den Gegnern des Kriegsrechts gehörte auch der Vorsitzende von Yoons konservativer Partei der Volksmacht, Han Dong-hoon, der das Dekret des Präsidenten als "falsch" verurteilte und versprach, es "gemeinsam mit dem Volk zu stoppen".
Für einige von Yoons Gegnern war sein Griff nach der Macht jedoch eine allzu vertraute Erinnerung an das autoritäre, militärgestützte Erbe des Landes aus der Mitte des 20. Jahrhunderts.
Wie geht es weiter?
Dies ist das erste Mal, dass das Kriegsrecht in Südkorea in seiner modernen demokratischen Ära ausgerufen wurde.
Der unmittelbare wirtschaftliche Schaden für die Währung und die Märkte des Landes könnte sich wieder erholen, aber der hart erarbeitete internationale Ruf des Landes als stabile und reife Demokratie könnte einen dauerhaften Schaden erleiden.
Während sich die unmittelbare Verfassungskrise beruhigt hat, bleibt die politische Krise bestehen. Die Fragen nach der Zukunft Yoons haben sich bereits verdichtet.
Die größte Oppositionspartei, die Demokratische Partei, hat angekündigt, ein formelles Amtsenthebungsverfahren gegen den stark geschwächten Präsidenten einzuleiten, sollte dieser nicht umgehend zurücktreten.
Alexander M. Hynd ist Postdoc-Forschungsstipendiat an der University of New South Wales (UNSW) in Sydney, Australien.
Dieser Text erschien zuerst auf The Conversation auf Englisch und unterliegt einer Creative-Commons-Lizenz.