Türkischer Außenminister: Österreich ist "Zentrum des radikalen Rassismus"

Inszenierte Protestveranstaltungen gegen den Putschversuch. Bild: Maurice Flesier/CC-BY-SA-4.0

Der Konflikt zwischen der Türkei und "dem Westen" eskaliert

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Die Propaganda-Maschinen der Erdogan-Regierung laufen heiß. Auf Daily Sabah, dem Auslandssender der AKP, wird stramm die Behauptung vertreten, "der Westen" habe die Putschisten unterstützt. So habe man versucht nach ägyptischen Vorbild die islamische Regierung wie die der Moslembrüder mit der "Gülenistischen Terrororganisation" (FETÖ) zu stürzen, um eine den Interessen der USA und des Westens genehme Regierung zu installieren. Wie Ägypten zeige, geht es dabei nicht um Demokratie und Menschenrechte. Man habe nur nicht mit dem Widerstand der Menschen gerechnet, die mit ihrer Unterstützung für die Demokratie und ihrer Zuneigung zu Erdogan auf die Barrikaden gingen.

So wird von willigen Schreibern am neuen Mythos der islamischen AKP-Türkei gestrickt, wo Erdogan die Politik macht und die Demokratie mitsamt dem Rechtsstaat verkörpert, im Kampf gegen das böse westliche Ausland und die "internationale Verschwörung" im "postmodernen Krieg gegen die Türkei". Der AKP-Abgeordnete Taha Özhan will den gescheiterten Putsch mit 9/11 und die Gülen-Bewegung mit al-Qaida vergleichen, Daily Sabah macht auch schon auf mit der Rubrik "Krieg gegen den Terror", wo man FETÖ, IS, YPG und PKK gleichsetzt.

Die Türkei gerät dabei mit ihrem Führer Erdogan, der sich gerade erst heldenmütig für seinen der Geldwäsche verdächtigen Sohn gegen die italienische Regierung einsetzte, zu einer Art Familienbetrieb. Indessen geht die Säuberungswelle weiter, um die "Terroristennester" in Schulen, Stiftungen und Unternehmen auszuheben. Der neueste Vorstoß richtet sich gegen Unternehmen, um den "Krebs" aus der türkischen Gesellschaft zu entfernen. Deren Einkommen soll ausgetrocknet und beschlagnahmt werden: "Wir werden keinerlei Milde walten lassen", so Erdogan.

Zudem kündigte der türkische Präsident an, dass man nicht länger mit Gesetzen aus den 1950er Jahren leben könne, die nach Putschen gemacht wurden. Man prüfe gerade die "erfolgreichsten Systeme" und wolle das am besten zur Stärkung des Staats geeignete einführen. Um die Verfassung ändern zu können, müssen die Oppositionsparteien mitspielen, die allerdings weiter denn je marginalisiert sind. Zur nächsten staatlich organisierten Massenkundgebung am Sonntag in Istanbul, mit dem dann offiziell die inszenierten Nachtwachen beendet werden sollen, lud Erdogan die MHP und die CHP ein. Wie üblich wird die HDP ausgegrenzt, die Erdogan versucht, auch über den Krieg gegen die PKK im eigenen Land und die Aufhebung der Immunität der Abgeordneten auszuschalten.

80 Prozent der Deutschen gegen EU-Eintritt der Türkei - Forderung nach entschiedenerer Haltung gegenüber Ankara

Im Westen kann man sich derzeit freilich auch mit der Absetzung von der türkischen Regierung profilieren. Zwar verhalten sich die meisten Politiker taktisch bedeckt, um die Verbindung mit Ankara trotz der Untergrabung des Rechtsstaats und des zunehmenden Ausbaus eines autoritären, auf den Präsidenten zugeschnittenen Systems, nicht ganz zu gefährden. Offenbar will die US-Regierung Ankara zwar entgegenkommen und schickt nun auch US-Außenminister Kerry, aber man will sich auch nicht erpressen lassen und lehnt weiterhin die Auslieferung von Gülen ab, weil keine maßgeblichen Beweise geliefert worden sein, dass Gülen der Drahtzieher des Putschversuchs war.

Während die deutsche Regierung, wie Kanzleramtsminister gerade wieder deutlich machte, am Flüchtlingsabkommen unbedingt festhalten will und dabei sich im Wegblicken übt, wobei sie Rückendeckung von EU-Kommissionschef Juncker hat der bayrische Ministerpräsident Seehofer schon einmal ein Ende der EU-Aufnahmegespräche gefordert, weil die Türkei nach dem gescheiterten Putsch "kein demokratischer Rechtsstaat" mehr sei, und damit auch die schon lange bestehenden Vorbehalte gegen die Türkei wieder aufgegriffen. Auch EVP-Fraktionschef Stefan Weber (CSU) macht sich stark, die Türkei nicht in die EU aufzunehmen, man brauche sie aber als Partner.

In Österreich haben, getrieben von der FPÖ, Konkurrenzkämpfe zwischen SPÖ und ÖVP begonnen, wer die härteste Flüchtlingspolitik propagiert und sich am besten gegen Erdogans Türkei profiliert. So hatte SPÖ-Kanzler Kern wie Seehofer einen Abbruch der EU-Aufnahmeverhandlungen gefordert, während ÖVP-Star und Außenminister Kurz dazu aufrief, nicht vor der Türkei zu kuschen und nicht zwangsweise am Flüchtlingsabkommen festzuhalten, sondern Flüchtlinge selbst nach australischer Art abzuwehren (Kern warnt Türkei vor Staatsbankrott). Die konzertierte Aktion ist zu einem guten Teil innenpolitisch motiviert, schließlich steht im Oktober wieder die Präsidentschaftswahl an.

Wie der neue DeutschlandTrend zeigt, stoßen - weitgehend berichtigte - Vorbehalte gegen die Erdogan-Türkei auf Widerhall der deutschen Bevölkerung. Das ist in Österreich nicht anders. 80 Prozent sind gegen eine Aufnahme der Türkei in die EU. 90 Prozent haben kein Verständnis für das Vorgehen der türkischen Regierung nach dem Putsch, 88 Prozent sagen, Deutschland müsse entschiedener gegenüber der türkischen Regierung auftreten. Die deutsche Regierung will hier Volkes Stimme nicht hören und setzt den einmal eingeschlagenen Kurs der Flüchtlingspolitik fort, ohne zu bemerken, dass diese mittlerweile von der Haltung zur Türkei überlagert wird, in die sich sicher auch alte Vorbehalte gegen Türken und Muslime einmischen. Dass Merkels Popularität sinkt, während Seehofers steigt, dürfte auch wesentlich mit der Haltung zur türkischen Regierung zu tun haben.

Die türkische Regierung nimmt hingegen dankbar Angriffe auf, um Nationalismus zu schüren und den Westen als böse darzustellen. EU-Minister Ömer Çelik warf dem österreichischen Kanzler Kern vor, seine Forderung nach Abbruch der EU-Aufnahmeverhandlungen seien nicht nur besorgniserregend, sondern glichen denen der Rechtsextremen: "Kritik ist sicherich ein demokratisches Recht, aber es gibt einen Unterschied zwischen der Kritik der Türkei und gegen die Türkei zu sein." Der türkische Außenminister Mevlut Çavuşoğlu legte noch eines drauf und bezeichnete Österreich deswegen als "Zentrum des radikalen Rassismus".

Der österreichische Außenminister Kurz nahm dies wieder zum Anlass, sich hinter Kern zu stellen: "Mahne d türk. Außenminister zur Zurückhaltung & weise seine Kritik scharf zurück. #Türkei muss sich in Wortwahl & Vorgehen im Land mäßigen!"