UN-Gipfel für nachhaltige Entwicklung: Shell sitzt mit am Tisch

In Rio de Janeiro wird über völlig zahnlose Dokumente verhandelt, während Konzerne erfolgreich versuchen, die Ergebnisse in ihrem Sinne zu beeinflussen

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Die sogenannte "grüne Wirtschaft" soll im Mittelpunkt des derzeit in Rio de Janeiro tagenden UN-Gipfels für nachhaltige Entwicklung stehen, aber die Probleme fangen schon bei der Definition des Begriffs an.

Und bei der Setzung der Themen. Viele Umweltorganisationen und soziale Bewegungen, die sich in Rio zu einem Gegengipfel versammelt haben, sind mit dem Schwerpunkt nicht glücklich und hätten sich handfeste Antworten auf die globale Krise erhofft.

20 Jahre nach dem großen Gipfel in Rio ist die Lage des Planeten alles andere als rosig. Die Treibhausgase in der Atmosphäre nehmen weiter zu, und zwar schneller denn je, die Meere sind bedrohlich ausgeräumt, die Zahl der Hungernden hat die Milliarden Grenze überschritten, und die Preise für Nahrungsmittel bewegen sich in gefährlichen Höhen. Dazu gesellt sich eine schwelende Energiekrise mit Peak Oil, dem Maximum der Ölförderung, nah oder bereits überschritten, ein allgemeiner Schüttelfrost des (fast) globalen Finanzsystems und eine Transformationskrise, die aus einer Verschiebung der globalen Gleichgewichte im historischen Ausmaß resultiert.

Bei all dem wäre eigentlich eine kritische Bestandsaufnahme angesagt sowie ein gerütteltes Maß an Weltbürgersinn, der nach einer gemeinsamen Lösung suchen lässt. Doch Letzteres ist offensichtlich zu viel verlangt; die Regierungen vertreten - natürlich muss man vielleicht sagen - nur die Forderungen der jeweiligen ökonomischen Eliten, die - versteht sich - als nationale Interessen verkleidet daher kommen. Und mancher Minister hat ganz offensichtlich mehr Interesse an seinen Teppichgeschäften als dem Erhalt ecuadorianischer Nationalparks.

Konkrete Ziele fehlen, Desinteresse der Industriestaaten

Entsprechend hat Gastgeber Brasilien für die Abschlusserklärung einen Entwurf vorgelegt, der kontroverse Themen sorgsam umschifft. Ein Scheitern des Gipfels soll vermieden, eine Wiederholung des Desasters von Kopenhagen und damit eine Beschädigung des internationale Verhandlungsprozesses verhindert werden. 2009 war es auf Klimagipfel in der dänischen Hauptstadt zum Eklat gekommen. Die Staats- und Regierungschefs fast aller Staaten waren dort seinerzeit eigens zu einem mit hohen Erwartungen befrachteten Gipfel versammelt, doch dann ergebnislos auseinander gegangen (siehe Nach dem Scheitern in Kopenhagen).

Diesmal blieben Bundeskanzlerin Angela Merkel, US-Präsident Barack Obama und der britische Premier David Cameron dem Gipfel lieber gleich fern. Ein sicheres Zeichen dafür, dass diese Länder dem Gipfel nicht allzu große Bedeutung beimessen, aber auch eine Form der Missachtung gegenüber den über 130 Amtskollegen, die teilnehmen. Entsprechend stieß die Abwesenheit den Umweltorganisationen übel auf. Merkel verlässt sich offensichtlich darauf, dass die hiesige Öffentlichkeit eher mit der Euro-Krise beschäftigt und weder einen Blick für die unübersichtliche globalen Krise hat, noch so richtig mitbekommt, welch verheerende Wirkung der Teppich-Minister entfaltet.

Bei derart unterkühlten Engagement der (noch) tonangebenden Industriestaaten, die zudem in den Vorverhandlungen ihre meiste Energie darauf verwendet haben, die Erwähnung ihrer besonderen Verantwortung aus den Abschlussdokumenten herauszuhalten, wundert es nicht, dass das derzeit in Rio auf dem Tisch liegende Dokument reichlich weich gespült ist.

Konkrete Ziele sind in den 128 Paragraphen nicht auszumachen. Keine Daten bis wann zum Beispiel die Zahl der Hungernden oder der in absoluter Armut Lebenden oder der Menschen ohne Zugang zu sauberen Trinkwasser halbiert sein soll. Keine Zielvorgaben für die globalen Treibhausgasemissionen, für den Schutz der Meere oder der Wälder. Nur die Absichtserklärung bis 2015 solche Ziele zu erarbeiten und bis 2030 ein System zu schaffen, mit dem deren Einhaltung überwacht werden kann. Was vor 20 Jahren kraftvoll zu einem Marathon ansetzte ist inzwischen zu einem Schneckenrennen verkommen.

Und das obwohl in dem Dokument durchaus der Ernst der Lage an verschiedenen Stellen zur Sprache kommt. Selbst die Einsicht, dass wir uns in einer multiplen Krise befinden, ist dokumentiert:

(...) there have also been setbacks because of multiple interrelated crises - financial, economic and volatile energy and food prices. Food insecurity, climate change and biodiversity loss have adversely affected development gains. New scientific evidence points to the gravity of the threats we face.

Privatwirtschaft wollen ihre Interessen beim Konzept einer "grünen Wirtschaft" durchsetzen

Ist also zumindest die versprochene "grüne Wirtschaft" ein Hoffnungsschimmer? Nicht wirklich. Es fängt schon damit an, dass das Dokument keinerlei Erklärung bietet, was denn eigentlich diese "Green Economy" sein soll. Es ist nur zu erfahren, dass sie der Armutsbekämpfung dienen und keine neue Handelsbarrieren aufbauen soll. Außerdem sollen die Länder ihre Erfahrungen und Technologien austauschen, was im übrigen so ähnlich auch schon in den vor 20 Jahren verabschiedeten Konventionen zu finden ist. Und, ja, wie in andere Fällen auch, soll Näheres in den kommenden drei Jahren verhandelt werden.

Nicht einmal der Begriff erneuerbare Energien findet sich in dem Abschnitt über die "grüne Wirtschaft". Bei so viel Beliebigkeit kann sich dann jeder drunter vorstellen, was er möchte. Der Lobbyverband Buisness Action for Sustainable Development (BASD), gesponsort unter anderem von Siemens und unter der Mitgliedschaft auch der Ölindustrieverband IPIECA, bemüht sich in besondere Weise, dieses Vakuum auszufüllen und die Staaten auf eine "essenzielle Rolle der Privatwirtschaft in der nachhaltigen Entwicklung" einzuschwören.

Mit einigem Erfolg. Während soziale Rechte in dem Dokument kaum eine Rolle spielen und Mitbestimmungsrechte der Bürger nicht einmal erwähnt werden, verwendet der Text gleich zwei Paragraphen (19 und 116) darauf, die "wichtige Rolle" bzw. "die Schlüsselrolle des privaten Sektors", also der Privatwirtschaft, herauszustreichen. Genossenschaften werden hingegen mit keinem Wort erwähnt, was bemerkenswert ist. Immerhin hat doch die UNO 2012 zum Internationalen Jahr der Genossenschaften ausgerufen. Auch auf die Rolle und die Rechte der Gewerkschaften geht der Text mit keinem Wort ein.

Nun erscheint die Erwähnung in einem unverbindlichen Dokument vordergründig vielleicht eher symbolisch, aber der Eindruck täuscht. In dem anstehenden Verhandlungsprozess wird es um künftige ökonomische Rahmenbedingungen gehen, um Handelsrecht, um erhebliche Finanzmittel, um Umweltstandards und unter anderem auch um Zertifizierungssysteme für vermeintlich nachhaltige Produkte und Dienstleistungen. Und die BASD hat zum Beispiel schon deutlich gemacht, dass sie unter Letzterem auch Dinge wie Kraftstoff aus Agrarrohstoffen verstanden sehen will. Es geht also mittelfristig durchaus um nicht unwichtige Weichenstellungen, auch wenn die Abschlusserklärung des Gipfels sehr unkonkret bleibt.

Angesichts dieses übermäßigen Einflusses der großen Konzerne auf den UN-Verhandlungsprozess hatte der internationale Umweltverband Friends of the Earth im Vorfeld des Gipfels eine Unterschriftenkampagne gestartet. Die UNO und ihr Generalsekretär werden aufgefordert klarzustellen, dass sie dem öffentlichen Interesse verpflichtet sind.

Paul de Clerck von Friends of the Earth International, der die Kampagne koordiniert verlangt konkrete Schritte gegen Lobbyismus. "Wir wollen, dass die Partnerschaftsprojekte zwischen der UNO und verschiedenen Konzernen, die in Menschenrechtsverletzungen verstrickt sind, gestoppt werden. Und wir wollen, dass globale Regeln eingeführt werden, mit denen die Konzerne für die Folgen ihres Handelns zur Rechenschaft gezogen werden können." Rund 400 Organisationen, die mehrere Millionen Mitglieder repräsentieren, haben unterschrieben.

Der holländische Zweig von Friends of the Earth, Milieudefensie, weist auf die besonders aktive Rolle von Shell rund um den Rio+20-Gipfel hin. Demnach sitzen Vertreter des Konzerns gleich in vier BASD-Mitgliedsorganisationen in den Leitungsgremien, unter anderem beim oben genannten Erdölverband IPIECA, bei der Internationalen Handelskammer ICC und beim World Business Council for Sustainable Development. Auch bei der International Emissions Trading Association mische der Konzern an führender Stelle mit.

"Es ist nicht hinnehmbar das Gesellschaften wie Shell, auf deren Konto massive Umweltverschmutzungen und Menschenrechtsverletzungen gehen, mit am Steuer sitzen, wenn es um nachhaltige Entwicklung geht. Die verschmutzenden Konzerne sollten nicht helfen Gesetze zu machen, sie sollten mit dem Gesetz konfontiert werden", meint Nnimmo Bassey, Direktor der nigerianischen Organisation Environmental Rights Action und Vorsitzender von Friends of the Earth International. Bassey hatte vor knapp zwei Wochen in Berlin über die Umweltverbrechen von Shell und anderen Konzernen in seinem Heimatland berichtet.