UN-Ranking: Wie kann es sein, dass die USA ganz hinten landen?

Die Skulptur "Non-Violence" oder "Knotted Gun" des Künstlers Carl Fredrik Reuterswärd unter einer Schneedecke am UN-Hauptquartier in New York City. Bild: Mark Garten / UN

Barbados macht vor, wie man sich in der Welt verhalten sollte. Mächtige Länder gehen einen anderen Weg. Was prüft der Multilateralismus-Index, was überrascht? Gastbeitrag.

Im Rahmen unserer akademischen Forschung zur Erreichung der Ziele für nachhaltige Entwicklung (SDGs) haben wir untersucht, inwieweit sich die UN-Mitgliedsstaaten an die UN-Charta und die von der UN unterstützten Ziele wie die SDGs halten. Zu diesem Zweck haben wir einen vorläufigen "Multilateralismus-Index" erstellt und freuen uns auf Feedback.

Jeffrey D. Sachs ist Professor an der Columbia University. Er hat drei Generalsekretäre der UN beraten.

Die Rangfolge der 74 Länder nach dem Multilateralismus-Index ist in der Grafik unten dargestellt.

Barbados steht an erster Stelle und ist das Mitglied der Vereinten Nationen, das sich am stärksten an der UN-Charta orientiert. Obwohl Barbados mit nur 280.000 Einwohnern ein sehr kleines Land ist, verleiht ihm sein friedlicher Multilateralismus eine große Stimme.

Die weltweit geachtete Premierministerin von Barbados, Mia Mottley, hat sich mit dem französischen Präsidenten Emmanuel Macron zusammengetan und im Juni in Paris einen wichtigen Gipfel für einen neuen globalen Finanzierungspakt für Menschen und Planeten veranstaltet.

Der Gipfel baute auf der Bridgetown-Initiative von Barbados auf – benannt nach der Hauptstadt von Barbados –, die darauf abzielt, die globale Finanzarchitektur zu reformieren, um gefährdeten Ländern die Bewältigung des Klimawandels zu ermöglichen.

Ganz unten auf der Liste der 74 Länder stehen die Vereinigten Staaten, an zweiter Stelle steht Israel. Beide Länder liegen häufig mit dem multilateralen System der Vereinten Nationen im Streit, was in diesen Tagen besonders deutlich wird.

Die Vereinigten Staaten halten sich in mehrfacher Hinsicht nicht an die UN-Charta. Am deutlichsten wird dies bei den zahlreichen Kriegen und Regimewechsel-Operationen, die die USA ohne UN-Mandat und oft gegen den Willen des UN-Sicherheitsrats geführt haben.

Im Jahr 2003 versuchten die USA, den UN-Sicherheitsrat dazu zu bringen, für einen Krieg gegen den Irak zu stimmen. Als sich der Sicherheitsrat gegen die USA aussprach, begannen die USA den Krieg trotzdem.

Wie sich später herausstellte, gab es den angeblichen Grund für den Krieg, nämlich den Besitz von Massenvernichtungswaffen durch den Irak, gar nicht. Die USA haben sich an Dutzenden von verdeckten und offenen Regimewechsel-Operationen beteiligt, die gegen Text und Geist der UN-Charta verstoßen.

In einer wichtigen Studie werden 64 verdeckte Regimewechsel-Operationen der USA während des Kalten Krieges (1947-1989) aufgeführt. Seitdem gab es viele bekannte verdeckte Operationen der USA.

Auch in Fragen der nachhaltigen Entwicklung isolieren sich die USA. Im Jahr 2015 haben alle 193 UN-Mitgliedsstaaten die SDGs verabschiedet, die die nationale Politik und die internationale Entwicklungszusammenarbeit im Zeitraum 2016 bis 2030 anleiten sollen.

Jeder UN-Mitgliedstaat soll seine nationalen Nachhaltigkeitspläne, Herausforderungen und Errungenschaften den anderen Nationen in einer Präsentation vorstellen, was als Voluntary National Review (VNR) bezeichnet wird. Bislang haben 188 der 193 UN-Mitgliedsstaaten VNRs vorgelegt, manchmal sogar mehr als einmal.

Wirtschaftssanktionen und Entwicklungshilfe

Barbados zum Beispiel hat zwei VNRs in den Jahren 2020 und 2023 vorgelegt. Fünf Länder haben jedoch noch nie eine einzige VNR vorgelegt: Haiti, Myanmar, Südsudan, Jemen und ja, die Vereinigten Staaten von Amerika. Der Südsudan und der Jemen stehen nun auf der Liste der Länder, die 2024 eine VNR vorlegen wollen, nicht aber die USA.

Derzeit umfasst der Multilateralismus-Index 74 der 193 UN-Mitgliedsstaaten, also die Gruppe, für die wir umfangreiche Daten über die Bemühungen der Regierungen zur Erreichung der SDGs gesammelt haben. Der Multilateralismus-Index ist positiv mit diesen SDG-Bemühungen korreliert, d. h. Länder, die sich an die UN-Prozesse halten (gemäß dem Index), zeigen auch ein starkes Engagement für die SDGs.

Der Multilateralismus-Index basiert auf fünf Indikatoren.

Der erste Indikator ist der Anteil an UN-Verträgen zwischen 1946 und 2022, den jedes Land ratifiziert hat. So hat Barbados beispielsweise mehr als 80 Prozent der wichtigsten UN-Verträge ratifiziert, die USA dagegen weniger als 60 Prozent.

Der zweite Punkt ist die Verhängung einseitiger Wirtschaftssanktionen (manchmal auch "einseitige Zwangsmaßnahmen" genannt) durch einzelne Länder, die nicht von der Uno genehmigt wurden. Die Generalversammlung der Vereinten Nationen verkündete 1974, dass "kein Staat einen anderen Staat durch wirtschaftliche, politische oder sonstige Maßnahmen zwingen darf, um von ihm die Unterordnung der Ausübung seiner souveränen Rechte zu erwirken, oder dazu ermutigen darf".

Der dritte Teil misst die Mitgliedschaft jedes Landes in den wichtigsten UN-Organisationen.

Der vierte Indikator prüft die Militarisierung der einzelnen Länder und ihre Neigung, Krieg zu führen. Dieser Indikator stützt sich auf die hervorragende Arbeit des Global Peace Index.

Der fünfte Indikator betrifft die wirtschaftliche Solidarität jedes einkommensstarken Landes mit ärmeren Nationen, und zwar anhand der öffentlichen Entwicklungshilfe (ODA) in Prozent des Bruttonationaleinkommens (BNE).

Gemäß einer Resolution der UN-Generalversammlung vom Oktober 1970 sollen Länder mit hohem Einkommen mindestens 0,7 Prozent des BNE für die öffentliche Entwicklungshilfe aufwenden. Die USA hingegen wendeten im Jahr 2022 nur 0,22 Prozent auf.

Wir kombinieren diese fünf Indikatoren, um den Multilateralismus-Index zu erstellen.

Unser Index, der auf Daten bis zum Jahr 2022 basiert, hat seine Vorhersagekraft unter Beweis gestellt. In den letzten Wochen haben wir bei einer Abstimmung nach der anderen gesehen, wie sich die Vereinigten Staaten innerhalb der Uno selbst isolierten. Multilateral innerhalb des UN-Systems zu sein, bedeutet schließlich, sich an die UN-Vorgaben und die Stimme der Weltgemeinschaft zu halten.

Am 18. Oktober standen die USA im UN-Sicherheitsrat alleine da, als sie ihr Veto einlegten, um eine Resolution zu stoppen, die einen humanitären Waffenstillstand in Gaza forderte. Die Abstimmung ergab zwölf Ja-Stimmen, zwei Enthaltungen. Nur die USA legten ihr Veto gegen die Maßnahme ein.

In ähnlicher Weise verabschiedete die UN-Generalversammlung am 2. November 2023 die Resolution A/78/L.5, in der die Vereinigten Staaten aufgefordert werden, ihr langjähriges Wirtschafts-, Finanz- und Handelsembargo gegen Kuba aufzuheben. Um es milde auszudrücken, war das keine knappe Abstimmung: 187 Länder stimmten für die Resolution, während nur die USA und Israel dagegen stimmten.

Die Ukraine enthielt sich der Stimme, und drei Länder haben nicht abgestimmt. Somit stimmten 187 mit Ja, zwei mit Nein und ein Staat enthielt sich. Die diesjährige Resolution folgt auf 30 ähnliche Resolutionen, die bis ins Jahr 1993 zurückreichen. Die Vereinigten Staaten haben jede einzelne dieser Resolutionen der UN-Generalversammlung ignoriert.

In einer weitreichend vernetzten und voneinander abhängigen Welt, die mit noch nie dagewesenen und komplexen Krisen konfrontiert ist, die von Pandemien über Kriege bis hin zum Klimawandel reichen, ist die Notwendigkeit des Multilateralismus im Rahmen der UN-Charta dringender denn je.

Keine Regierung kann diese Probleme für sich alleine angehen. Barbados hat den höchsten Standard gesetzt unter den Ländern, den andere anstreben sollten. Die USA sollten anerkennen, dass das UN-System, das auf der Grundlage der UN-Charta funktioniert, die wahre "regelbasierte internationale Ordnung" ist.

Dieser Artikel erscheint in Kooperation mit US-Nachrichtenportal Common Dreams. Das englische Original findet sich hier. Übersetzung: David Goeßmann.

Jeffrey D. Sachs ist Universitätsprofessor und Direktor des Zentrums für nachhaltige Entwicklung an der Columbia University, wo er von 2002 bis 2016 das Earth Institute leitete. Außerdem ist er Präsident des UN Sustainable Development Solutions Network und Kommissar der UN Broadband Commission for Development. Er war Berater von drei Generalsekretären der Vereinten Nationen und ist derzeit SDG-Beauftragter von Generalsekretär Antonio Guterres. Sachs ist der Autor des kürzlich erschienenen Buches "A New Foreign Policy: Jenseits des amerikanischen Exzeptionalismus" (2020). Zu seinen weiteren Büchern gehören: "Building the New American Economy: Smart, Fair, and Sustainable" (2017) und "The Age of Sustainable Development," (2015) mit Ban Ki-moon.

Guillaume Lafortune ist Vizepräsident und Leiter des Pariser Büros des U.N. Sustainable Development Solutions Network (SDSN) - dem größten globalen Netzwerk von Wissenschaftlern und Praktikern, das sich für die Umsetzung der Ziele für nachhaltige Entwicklung (SDGs) einsetzt. Zuvor war er als Wirtschaftswissenschaftler bei der OECD in Paris und im Ministerium für wirtschaftliche Entwicklung der Regierung von Quebec tätig. Guillaume ist Autor von mehr als 50 wissenschaftlichen Publikationen, Buchkapiteln, Policy Briefs und internationalen Berichten über nachhaltige Entwicklung, Wirtschaftspolitik und gute Regierungsführung.