US-Strategie: Lieber töten, als Gefangene machen
Obama wollte die USA wieder zu einem Rechtsstaat machen, statt Verschleppungen, Guantanamo und Geheimgefängnisse sind nun "gezielte Tötungen" zum Mittel der Wahl geworden
Unter dem Friedensnobelpreisträger Barack Obama werden "gezielte Tötungen", also Morde, die nach dem 11.9. von der Bush-Regierung wieder eingeführt wurde, nicht nur weiter betrieben, sondern auch vermehrt angewendet. Wie die Washington Post berichtet, zieht man offenbar die Tötung einer Gefangennahme vor. Die wäre oft nicht nur gefährlicher für die US-Soldaten, sondern auch heikler. Schließlich müsste man dann wieder Verdächtige gewaltsam verschleppen, sie inhaftieren und verhören. Dann hätte man erneut das Guantanamo-Problem am Hals, wenn die Verschleppten nicht angeklagt und vor Gericht gestellt werden. Dann also schon lieber in Afghanistan, Pakistan oder Somalia, im Jemen oder im Irak Menschen mit bemannten und unbemannten Flugzeugen mitsamt zufällig Anwesenden durch Raketen töten und wieder verschwinden. Im rechtlichen Niemandsland des Antiterrorkrieges ist die heimliche Eliminierung der mutmaßlichen Feinde die bessere Strategie als eine offene Verfolgung und Bestrafung.
1976 hatte der damalige US-Präsident Gerald Ford nach den wilden und oft missglückten Mordanschlägen vor allem der CIA mit der Executive Order 11905 der Praxis ein Ende gesetzt. Allen Mitarbeiter der Regierung wurden die Mitwirkung an und die Ausführung eines "politischen Mordanschlags" verboten. Die Präsidenten Carter und Reagan bestätigten den Präsidentenerlass und erweiterten ihn durch Streichung auf jede Art von Mordanschlag (Prohibition on Assassination. No person employed by or acting on behalf of the United States Government shall engage in, or conspire to engage in, assassination).
Anfang 2001, als US-Präsident Bush gerade im Amt war, reichte bereits der republikanische Kongressabgeordnete und ehemalige CIA-Mitarbeiter Bob Barr einem Gesetzesvorschlag mit dem Namen Terrorist Elimination Act ein, mit dem die Präsidentenerlasse von Ford, Carter und Reagan aufgehoben werden sollten, um "schnelle, sichere und präzise Aktionen" zur "Beseitigung" von Terroristen zu ermöglichen (USA soll Anschläge auf einzelne Personen durchführen können). Vorangegangen waren die vergeblichen Bemühungen unter dem vorherigen Präsidenten Clinton, 1998 nach den Anschlägen auf die afrikanischen US-Botschaften al-Qaida-Führer Osama bin Laden mit Präzisionsraketen im Sudan und dann später in Afghanistan zu töten (Krieg der Zukunft). Schon 1996 war unter Clinton vom CIA eine Spezialeinheit eingerichtet, die bin Laden fangen oder töten sollte.
Am 14.9. 2001 hat Bush den Notstand erklärt und sich damit Sonderbefugnisse gesichert. Auf diese möchte offenbar auch Obama nicht verzichten, der am 10. 9. 2009 erklärte, dass der Notstand im Hinblick auf die terroristische Bedrohung ausdrücklich und zeitlich unbegrenzt weiter besteht. Vermutlich wurden gleichzeitig mit der Erklärung des Notstands durch Bush zwar die Präsidentenerlasse mit dem Tötungsverbot nicht explizit aufgehoben, aber entschieden, dass die CIA die gezielten Tötungen wieder aufnehmen darf: Lizenz zum Töten. 2002 wurde bekannt, dass Bush der CIA schriftlich genehmigt hätte, weltweit mutmaßliche Terroristen zu jagen und zu töten (Mord im Auftrag des US-Präsidenten).
Die Umsetzung der gezielten Tötungen, vornehmlich mit bewaffneten Drohnen, erfolgte schnell mit dem Start des Afghanistankriegs (Ferngesteuerte Waffensysteme senken die Angriffsschwelle). Ende 2002 demonstrierte der Abschuss einer Rakete auf ein Auto im Jemen - es starben die 6 Insassen -, dass man den Auftrag tatsächlich weltweit verstand (Schuss aus der Ferne). Mit dem Irak-Krieg wurden die gezielten Tötungen weiter kultiviert und wuchsen schließlich ab 2008 zu einem Krieg aus der Ferne an, indem mit Drohnen zunehmend Ziele im pakistanischen Grenzgebiet beschossen wurden - zahlreiche Kollateralschäden inbegriffen (Der erste ferngesteuerte Krieg). Vermutlich sind Drohnen in dieser Hinsicht eine Wunschmaschine, da auch die Waffen ferngesteuert werden und keine Person vor Ort sein muss, die jemanden tötet. Das scheint die Mordanschläge irgendwie harmloser und die Täter anonymer zu machen. Bestätigt wird diese seltsame Einstellung auch von der pakistanischen Regierung, die zwar bemannte US-Kampfflugzeuge und Soldaten auf dem Boden als Angriff auf die Souveränität geißelt, aber seit Jahren die fortwährenden Angriffe durch ferngesteuerte Drohnen duldet.
US-Präsident Obama hat den Krieg mit den Drohnen und damit die "gezielten Tötungen" ausgeweitet, während er andererseits zu Beginn seiner Präsidentschaft versucht hatte, die USA wieder in einen Rechtsstaat zurückzuverwandeln. Wie die Washington Post berichtet, werden auch unter Obama nicht nur Menschen in Afghanistan, im Irak oder in Pakistan, sondern beispielsweise auch in Somalia angegriffen. Beispielsweise griffen US-Kampfhubschrauber am 14. September 2009 ein Auto in Somalia an, in dem Saleh Ali Nabhan vermutet wurde, der al-Qaida angehören soll. Ein Hubschrauber landete kurz, um dem Toten eine Probe zur Genanalyse zu entnehmen. Dann flogen die Soldaten wieder zurück auf ihr Kriegsschiff.
Nach dem Bericht gab es zwar keine offizielle Entscheidung, Terrorverdächtige lieber zu töten, als gefangen zu nehmen, gleichwohl werde dies aber praktiziert und seien keine Terroristenführer mehr festgenommen worden. Als Gründe werden genannt, dass dies in Regionen geschehe, wo es für die Amerikaner sonst zu gefährlich sei oder wo sie unerwünscht seien. Zudem habe sich die Technik verbessert, so dass gezielte Tötungen einfacher und genauer erledigt werden können. Und man habe eben oft keine Gefängnisse, in die man Verschleppte ohne juristische und politische Fallstricke einsperren könnte. Angeblich hat die CIA alle ihre "black sites" geschlossen.
Auch wenn das Töten oder Morden so die einfachere Variante ist, so wird auch innerhalb des Pentagon kritisiert, dass man dadurch wichtige Informationen verlieren würde, schließlich können Tote nicht mehr verhört werden. Im Irak werden Gefangene der irakischen Regierung übergeben. Das US-Gefängnis in Bagram soll Ende des Jahres der afghanischen Regierung übergeben werden. Es würden zwar noch Menschen in Afghanistan zumindest zeitweise von US-Spezialeinheiten eingesperrt, erklärte anonym ein Pentagon-Mitarbeiter, aber das sei im Unterschied zu früher alles sehr kompliziert geworden. Außerhalb der offiziellen Kriegsgebiete müssten gezielte Tötungen vom Präsidenten, dem CIA-Direktor oder dem Verteidigungsminister genehmigt werden. Für den Jemen habe so US-Präsident Obama in Kooperation mit der jemenitischen Regierung eine Todesliste letztes Jahr genehmigt, auf der jene für den Abschuss freigegeben sind, die in Kontakt mit Terrorgruppen stehen.