USA: Im Krieg ist das Recht eingeschränkt
Nach dem Urteil eines US-Berufungsgerichts dürfen auch US-Bürger als "feindliche Kämpfer" auf unbeschränkte Zeit und ohne Anklage vom Präsidenten als oberstem Kriegsherrn festgehalten werden
Gestern hat das 4th Circuit Court of Appeals in Richmond, Virginia, ein Urteil gefällt, das für die US-Regierung einen Sieg darstellt, nicht aber unbedingt auch für den Rechtsstaat. Nach dem Berufungsgericht kann die Regierung auch US-Bürger, die als "feindliche Kämpfer" im Ausland gefangen werden, ohne den sonst üblichen Schutz durch die Verfassungsrechte auf unbestimmte Zeit, ohne Prozess und rechtlichen Beistand festhalten. Bekanntlich verweigert die US-Regierung diesen Gefangenen auch den Status von Kriegsgefangenen. Ob diese Outlaws tatsächlich "feindliche Kämpfer" sind, muss oder darf aus Sicherheitsgründen in Kriegszeiten von Gerichten nicht weiter überprüft werden.
Bei dem Fall geht es um den 22 Jahre alten Yaser Esam Hamdi, der im November 2001 nach einem Gefängnisaufstand ebenso wie John Walker Lindh gefangen genommen wurde. Bekanntlich hatten sich damals Tausende von Taliban-Kämpfern in Kundus ergeben. Einige Hundert der Gefangenen, die als al-Qaida-Mitglieder galten, blieben in der Festung Kaala-e-Dschangi zurück, während die übrigen weggebracht und viele schließlich womöglich das Opfer eines Massakers wurden, von dem Dokumentarfilmer Doran annimmt, dass dies unter den Augen, zumindest aber mit Wissen von US-Soldaten stattfand (Das Massaker, das nicht sein darf, Die vergessenen Kriegsgefangenen). Um dieses mutmaßliche Kriegsverbrechen ging übrigens auch die Auseinandersetzung im Telepolis-Forum, die Holger Voss dann eine Gerichtsverhandlung wegen angeblicher Verherrlichung einer Straftat einbrachte (Engine of Justice).
Die Gefangennahme und der amerikanische Taliban Lindh
Auch der Aufstand in der Festung ist bislang ein Rätsel geblieben. Vermutungen gehen dahin, dass möglicherweise brutale Verhöre durch CIA-Agenten zu dem Aufstand geführt haben könnten. Amnesty hatte deswegen eine Untersuchung gefordert. Zu Beginn stand jedenfalls der Tod des CIA-Agenten Johnny Spann, einige Gefangene konnten Waffen erlangen und haben sich tagelang verteidigt, bis schließlich mit der Hilfe von britischen und amerikanischen Flugzeugen, die die Festung bombardierten, der Widerstand zusammenbrach. Hunderte von Gefangenen kamen dabei ums Leben. Nach der Einnahme kursierten allerdings Bilder, die zeigen, dass Gefangene offenbar noch mit gefesselten Händen erschossen worden waren. Lindh selbst berichtete eine wahrhafte Horrorstory, wie er sich mit anderen Gefangenen noch in einen Tunnel hatte flüchten können. Kämpfer des Warlords Abdul Rashid Dostum hätten den Gang dann zugeschüttet, brennendes Benzin eingelassen und schließlich geflutet.
Lindh war einer der wenigen, der lebend gefangen wurde. Allerdings soll er dann von den US-Soldaten erst einmal auf einem Streckbett festgebunden und in einem fensterlosen Metall-Container bei schlechter Ernährung und ohne medizinische Betreuung fest gehalten worden seien. Die Bilder, die den ausgemergelten, auf einer Bahre angebundenen Lindh in dieser Zeit zeigen, sind tatsächlich erschreckend (Poor Boy Walker). Immerhin durfte Lindh vor einem amerikanischen Gericht erscheinen, auch wenn er ohne Möglichkeit, eine Berufung einzulegen, zu 20 Jahren Gefängnis verurteilt wurde, weil er mit den Taliban die Nordallianz bekämpfte, die Taliban aber al-Qaida Unterschlupf gewährten, es also indirekt eine Verbindung mit dem Terrorismus gab. Die anderen Anklagepunkte mussten fallen gelassen werden.
Anders erging es Hamdi, der zunächst von Afghanistan in das Gefangenenlager auf dem kubanischen Stützpunkt Guantanamo gebracht wurde, wo das Pentagon Hunderte von angeblich wichtigen und gefährlichen Taliban- und al-Qaida-Mitglieder als "feindliche Kämpfer" auf unbestimmte Zeit festhält und ihnen damit auch den Status als Kriegsgefangene verweigert. Es hat sich allerdings vor kurzem herausgestellt, dass offenbar auch Greise und zwangseingezogene einfache Taliban-Kämpfer darunter sind (Die Gefangenen von Guantanamo). In Guantanamo wurde entdeckt, dass Hamdi als Sohn saudi-arabischer Eltern in Louisiana geboren worden war, aber schon als Kleinkind wieder nach Saudi-Arabien kam und dort aufwuchs. Da er in den USA geboren wurde, ist er US-Bürger. Und das machte die Sache mit Hamdi schwieriger als mit den übrigen Ausländern, die keinerlei Rechtsanspruch nach Ansicht der US-Regierung haben (Das Recht auf Willkür im Krieg).
Was ist ein feindlicher Kämpfer, der US-Bürger ist?
Hamdi wurde in ein Militärgefängnis gebracht und zum "feindlichen Kämpfer" erklärt. Nachdem am 29. Mai ein Bundesgericht einem Gesuch des Pflichtverteidigers Frank Dunham nach einem Besuch von Hamdi ohne Anwesenheit von Militärpersonal stattgegeben hatte, weil dies ein von der Verfassung garantiertes Recht sei, reichte Staatsanwalt Paul Clement einen 46-seitigen Einspruch an das zuständige Berufungsgericht, in dem es vornehmlich um den rechtlichen Status eines "feindlichen Kämpfers in der Obhut des US-Militärs" geht.
Das Justizministerium sieht Hamdi als Präzedenzfall an, um das Vorgehen des US-Militärs im Rahmen der "nationalen Sicherheit und Verteidigung" durch Festnahme und Verwahrung von "feindlichen Kämpfern in Kriegszeiten" nicht durch Rechtsansprüche zu behindern. In Frage stünde auch die Ausübung der vom Kongress an den Präsidenten übertragenen Kriegsrechte sowie die nationalen Sicherheitsinteressen bei der Verteidigung des Landes gegen einen "unkonventionellen und wilden Feind". Das Gericht habe dies falsch gesehen und eine "nicht nur bislang einmalige, sondern auch völlig unbegründete" Anordnung getroffen und einem Anwalt das Recht auf einen "privaten und unüberwachten Zugang zu einem gefangenen feindlichen Kämpfer" gewährt. Das US-Militär habe das Recht, Menschen als feindliche Kämpfer bei "Feindseligkeiten", an denen das Land beteiligt ist, einzusperren, auch wenn es sich um solche handelt, die beanspruchen, US-Bürger zu sein. Eine richterliche Prüfung komme dann an ihr Ende, wenn "das Militär seinerseits gezeigt hat, dass es entschieden hat, dass der Festgenommene ein feindlicher Kämpfer ist". Das Gericht habe kein Recht, eine solche Entscheidung zu hinterfragen, sondern könne bestenfalls verlangen, einige Belege für die Entscheidung vorzulegen.
Das Gericht hat nun dem Einspruch des Justizministeriums stattgegeben und in seinem Urteil festgehalten, dass Hamdi zu Recht als "feindlicher Kämpfer" in einem Militärgefängnis ohne Rechtsbeistand und auf unbestimmte Zeit festgehalten werden kann. Der Fall, so das Gericht, lasse zwar schwerwiegende Fragen über die Rechte von Bürgern und die Befugnis von Gerichten entstehen, aber schließlich habe in Kriegszeiten die Regierung und der Präsident als oberster Militärchef das Recht, darüber zu entscheiden, wer ein "feindlicher Kämpfer" ist. Die Verfassung beinhalte auch nicht explizit, welche Rolle Gerichte in Kriegszeiten besitzen, um die Entscheidungen des obersten Kriegsherrn zu überprüfen. Insgesamt kann eine Person, die unabhängig von ihrer Nationalität auf irgendeinem Kriegsschauplatz die Waffen gegen die USA erhebt, als "feindlicher Kämpfer" behandelt werden.
Nicht unter dem "Schutt des Krieges" wühlen
Das Gericht fühlte sich trotzdem genötigt zu versichern, dass dies kein Freibrief sei, jeden willkürlich als "feindlichen Kämpfer" bezeichneten Menschen ohne Anklage auf unbestimmte Zeit festzuhalten: "Aber Hamdi ist 'kein beliebiger Amerikaner, der bezichtigt wird, ein feindlicher Kämpfer zu sein'; er ist ein amerikanischer Bürger, der von den US-Streitkräften auf einem Kriegsschauplatz im Ausland während aktiver Feindseligkeiten gefangen genommen wurde und vom US-Militär beschuldigt wird, sich tatsächlich mit feindlichen Kräften verbündet zu haben." Eine genauere Nachprüfung des Verhaltens des Gefangenen in der Zeit, in der er bei den feindlichen Kräften war, würde ein "inakzeptables Risiko der Behinderung der vom Kongress autorisierten Kriegshandlungen" mit sich bringen. Man muss also schon dem Pentagon glauben, denn wenn man "die unter dem Schutt des Krieges liegenden Tatsachen" ausgraben müsste, dann könnte sich dies auf "die Leistung und die Moral der amerikanischen Truppen" niederschlagen.
Ganz allgemein sah sich das Gericht aber auch unter dem Druck der Anschläge vom 11.9., die eine "unauslöschliche Spur" hinterlassen hätten. Die Gewaltentrennung werde eingeschränkt, "wenn die Nation selbst angegriffen wird":
"Judicial review does not disappear during wartime, but the review of battlefield captures in overseas conflicts is a highly deferential one. That is why, for reasons stated, the judgment must be reversed and the petition dismissed. It is so ordered."
Justizminister Ashcroft zeigte sich über das Urteil erfreut, weil es "die Autorität des Präsidenten bestätigt, Menschen wie Hamdi, die sich unseren Feinden auf dem Schlachtfeld angeschlossen haben, um gegen Amerika und seine Alliierten zu kämpfen, festzunehmen und gefangen zu halten. Das heutige Urteil ist ein wichtiger Sieg für die Handlungsfähigkeit des Präsidenten, das amerikanische Volk in Kriegszeiten zu schützen." Der Sinn, "feindliche Kämpfer" in Gefangenschaft halten zu können, bestehe darin, sie daran zu hindern, "sich wieder dem Feind anschließen und den Kampf gegen Amerika und seine Alliierten weiterführen zu können".