USA: Wie die Außenpolitik-Eliten jeden Kontakt zu ihren Bürgern verlieren
Seite 2: Amerikaner sind zunehmend gegen langen Krieg und für Verhandlungen
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Cohen und Gentile sagen nun, dass die Amerikaner die ukrainische Souveränität und den Kampf dafür unterstützen. Das ist absolut richtig. Was die Autoren aber verschweigen, ist, dass die Umfragen darauf hindeuten, dass die Bevölkerung besorgt ist über einen sich lange hinziehenden Krieg, der zu mehr Toten und einer direkten Konfrontation der USA mit den Russen führen könnte.
Die US-Bürger sind auch relativ wenig begeistert darüber, die Ukraine zu unterstützen, "solange es nötig ist". Und sie sind mehr und mehr an Verhandlungen interessiert, um den Krieg so früh wie möglich zu beenden, selbst wenn das letztlich Zugeständnisse für beide Seiten bedeutet.
Anstatt die Nuancen zu erkennen und den Amerikanern Anerkennung dafür zu zollen, dass sie die Auswirkungen eines weiteren langen Krieges berücksichtigen (unabhängig davon, ob die USA direkt vor Ort involviert sind oder nicht), beschuldigen die Autoren die Medien, die ihrer Meinung nach die negativen Botschaften der Umfragen aufbauschen würden. Außerdem weisen sie darauf hin, dass – unter Verweis auf Vietnam und unsere jüngsten Kriege – die Konflikte weitergehen werden (und aus ihrer Sicht zu Recht), egal wie die öffentliche Meinung ist.
In Hinsicht auf Konflikte in der Vergangenheit und unter der Maßgabe, dass sich die gegenwärtigen Trends fortsetzen, könnte es Jahre dauern, bis eine abnehmende Unterstützung der amerikanischen Öffentlichkeit tatsächlich zu einer Änderung der Politik führt,
… so die Autoren. Cohen und Gentile (ähnlich wie ihre Kollegen in der Ära des Irak- und Afghanistankrieges) setzen dabei diejenigen herab, die das "Narrativ der Ukraine-Müdigkeit verstärken". Sie packen die "Schlechtredner" in übersichtliche Kategorien: 1) "America First"-Republikaner, die sich lieber auf innenpolitische Themen konzentrieren, 2) "reflexartige" Antikriegsaktivisten auf der Linken und 3) diejenigen, die "vielleicht wirklich mit den russischen Argumenten sympathisieren", dass die Amerikaner des Krieges überdrüssig werden.
In der Zwischenzeit "glauben einige Amerikaner vielleicht wirklich, dass sie einen höheren Preis für den Konflikt zahlen, als es tatsächlich der Fall ist, aber das basiert in erster Linie auf Wahrnehmungen und nicht auf Fakten".
Das stimmt. Das ist genau das, was Fred Kagan, der Neokonservative vom American Enterprise Institute, der an der Ausarbeitung des Irak-Kriegsplans beteiligt war, 2008 in einem langen Artikel für das Magazin National Review mit dem Titel "Why Iraq matters: Talking back to anti-war party talking points" sagte, indem folgende alberne Plattitüde verwendete:
Die Amerikaner haben das Recht, des Konflikts überdrüssig zu sein und ihn zu Ende bringen zu wollen. Doch bevor wir den falschen aber bequemen dem richtigen aber steinigen Weg vorziehen, sollten wir die beiden Kernannahmen, die den aktuellen Antikriegsargumenten zugrunde liegen, genauer untersuchen: dass wir diesen Krieg verlieren, weil wir ihn um keinen akzeptablen Preis gewinnen können, und dass es besser ist, zu verlieren, als weiter zu versuchen, zu gewinnen.
Die Ironie dabei: Oberst Gian Gentile war damals einer der wenigen Mutigen im aktiven Militärdienst, die sich offen gegen Fred Kagans "Truppenverstärkung" und den Wahn der Aufstandsbekämpfung aussprachen, die zu jener Zeit vorherrschten. Er war ein scharfer Kritiker von Washingtons übertriebener Kriegs-PR und selektiver Geschichtsverdrehung. Es ist verwunderlich, dass Gentile jetzt die Auswirkungen der öffentlichen Meinung auf die gegenwärtigen Kriege simplifiziert – und unterstellt, sie seien relativ unwichtig –, während er extrem schwache Argumente für ein "Weitermachen wie bisher" liefert.
Die Führer der freien Welt müssen ihre Öffentlichkeit daran erinnern, was in der Ukraine auf dem Spiel steht – nicht nur für die europäische und globale Sicherheit, sondern für die Demokratie im Allgemeinen,
… ruft Gentile in seinem jüngsten, gemeinsam mit Cohen verfassten Meinungsartikel aus.
Und das von einem Historiker, der in seinem 2013 erschienenen Buch "America's Deadly Embrace of Counter-Insurgency" nicht nur gegen die Mythen von Irak und Afghanistan angegangen ist, sondern auch die Parolen der US-Aufstandsbekämpfung in Vietnam und den "Erfolg" des britischen Militärs in Malaya (1948-60) auseinander genommen hat.
Gentiles Kommentar zum "Mythos der Ukraine-Müdigkeit" ist elitäres Denken, das sich angesichts der jüngsten Umfragen wie eine Aufmunterung fürs Washington-Establishment liest. Für alle anderen zeigt er, dass dieselben Leute, die während des Irak-Kriegs nicht wollten, dass normale Amerikaner über Außenpolitik nachdenken, immer noch am Drücker sind, ob sie sich nun "Eliten" nennen oder nicht.
Der Artikel erscheint in Kooperation mit dem US-Magazin Responsible Statecraft. Übersetzung: David Goeßmann.