Übrig bleiben nur die Massengräber der Betrogenen

AIDS ist eine Dauerkatastrophe

Der folgende Beitrag ist vor 2021 erschienen. Unsere Redaktion hat seither ein neues Leitbild und redaktionelle Standards. Weitere Informationen finden Sie hier.

Mindestens 40 Millionen Menschen sind weltweit mit dem Human Immunodeficiency Virus (HIV) infiziert, der das Acquired Immunodeficiency Syndrome (AIDS) verursacht. Zwei Drittel der HIV-Positiven leben in Afrika südlich der Sahara. Aber weltweit steigt die Zahl der Neuinfizierten. Ein Blick auf die aktuelle Situation bietet wenig Ermutigendes. Es gibt zu wenig Aufmerksamkeit und zu wenig Geld zur Bekämpfung der globalen Seuche. Und in den westlichen Staaten dazu noch ein gefährlich schwindendes Risikobewusstsein.

Eine sterbende T-Zelle wurde von HIV in eine Virusproduktionsstätte verwandelt. Die T-Zelle ist von neuen Virus-Partikeln überseht, die sich im Körper ausbreiten und weitere Zellen infizieren. Bild: University of Michigan

Zuerst die positiven Neuigkeiten: Die AIDS-Stiftung des ehemaligen US-Präsidenten Bill Clinton hat mit den Arzneimittelkonzernen beachtliche Preisnachlässe ausgehandelt, damit Entwicklungsländer sich künftig Therapien leisten können. Wie die Weltbank in Genf mitteilte, kommen nun 122 Länder, die mit ihr, dem Kinderhilfswerk UNICEF und dem Global Fund zusammenarbeiten, in den Genuss der verbilligten AIDS-Medikamente (vgl. Bank in Partnership to Provide Low-Cost AIDS Drugs).

Wenige gute Nachrichten

Geliefert werden günstigere AIDS-Tests und Generika, die nach einer Rezeptur der Weltgesundheitsorganisation (WHO) in Südafrika und Indien produziert werden. Eine einjährige Anti-AIDS-Therapie ist damit zum Preis von etwa 140 Dollar möglich, Tests kosten noch zwischen acht und 80 Dollar. Das bedeutet Nachlässe in Höhe der Hälfte bis zu zwei Drittel der herkömmlichen Kosten. Bill Clinton kommentierte den Durchbruch:

Ich bin für diese gemeinsame Anstrengung dankbar, die bald dazu beitragen wird, dass viele Hunderttausende und vielleicht sogar Millionen Menschen länger und gesünder leben können. Mit diesem Abkommen sind wir dem Ziel einen Schritt näher, dass künftige Generationen ohne die Geißel Aids leben können.

Gute Nachrichten kommen auch aus Südafrika, wo täglich 600 Menschen an der Seuche sterben. Nachdem die Aktivisten von "Treatment Action Campaign" (TAC) wieder mit einer Klage gegen die Regierung gedroht hatten, ist nun endlich die landesweite Verteilung von Anti-Aids-Medikamenten an Erkrankte angelaufen. Wer keine Krankenversicherung hat und an AIDS leidet, bekommt die Präparate umsonst (vgl. South Africa: Chronology of HIV/AIDS treatment plan, August 2003 to April 2004).

Auch China scheint zu erwachen. Die Vizeministerpräsidentin Wu Yi kündigte an, sie wolle die ganze Gesellschaft für die AIDS-Verhütung mobilisieren, um der schnellen Verbreitung der Seuche im Land Einhalt zu gebieten. China hat nach Schätzungen ungefähr 840 000 HIV-Infizierte (vgl. Intensivere AIDS-Aufklärung und -Verhütung in China).

Das war es leider auch schon wieder mit den Hoffnungsschimmern. Wie lange es dauern wird, bis die verbilligten AIDS-Medikamente die erkrankten Menschen in den Entwicklungsländern erreichen, ist noch völlig unklar. Und auch wie viele Regierungen sich breite Programme für ihre Infizierten leisten können oder wollen. Bisher erhielten nach Schätzungen der Weltgesundheitsorganisation nur 400 000 AIDS-Kranke in den ärmsten Ländern eine Behandlung, während mindestens 6 Millionen sie brauchen würden (vgl. The 3 by 5 Initiative).

25 Millionen Menschen starben

Südafrika hat sich in der Vergangenheit immer wieder durch eine eher merkwürdige AIDS-Politik hervor getan (vgl. AIDS in Afrika) und in China muss sich auch erst herausstellen, was die vollmundigen Ankündigungen wirklich bedeuten (vgl. China: Aids-Prävention noch ungenügend).

Tatsache ist, dass im vergangenen Jahr drei Millionen Menschen an AIDS gestorben sind und fünf Millionen sich neu infiziert haben (vgl. Von Mücken übertragen). Tendenz steigend und das nicht nur in den Entwicklungsländern. AIDS ist die gefährlichste Seuche der Welt. In den vergangenen zwanzig Jahren tötete die Immunschwäche etwa 25 Millionen Menschen. In der Bundesrepublik legte das Robert-Koch-Institut kürzlich den Bericht HIV-Infektionen und AIDS-Erkrankungen in Deutschland vor. Auch hierzulande ist die Zahl der Neuinfektionen angestiegen und das Institut warnt: "Die Hinweise darauf, dass die HIV-Epidemie auch in Deutschland eine neue Dynamik erhalten könnte, mehren sich." Safersex ist für immer weniger Leute ein Thema, immer seltener werden in riskanten Situationen Kondome benutzt. Das spiegelt sich auch in den Verkaufszahlen der Kondomhersteller: 2000 gingen noch 207 Millionen Kondome über die Ladentheke, 2003 nur noch 189 Millionen.

Zweifelsfrei geben die neuen Therapien den HIV-positive Menschen viel Hoffnung, lange mit ihrer Infektion leben zu können. Aber heilbar ist die Krankheit immer noch nicht und die Betroffenen müssen täglich ihre Medikamente einnehmen, um zu überleben. Es gibt keinen Anlass zur Sorglosigkeit.

Im Jahr 2003 gab es 1958 neu diagnostizierte HIV-Infektionen. Homosexuelle Männer sind mit 41 Prozent die größte Gruppe unter den Neuinfizierten. Ihr zunehmender Verzicht auf sicheren Sex hat auch zur Folge, dass andere sexuell übertragbare Krankheiten wie die Syphilis wieder auf dem Vormarsch sind. Aber nicht nur Schwule gehen zunehmend davon aus, Schutzverhalten sei irrelevant. Die Ergebnisse zeigen, dass das Risikobewusstsein sich deutlich verringert hat. Im vergangenen Jahr

  1. sank die Kondomnutzung vor allem in riskanten Situationen bei den unter 45-jährigen Alleinlebenden,
  2. benutzten Befragte mit mehreren Sexualpartnern nur noch zu 78 Prozent Kondome (2001 noch 83%),
  3. verwendeten auch zu Beginn neuer Sexualbeziehungen nur noch 73 Prozent der Alleinlebenden unter 45 Jahren Kondome (2000 noch 78 %), und
  4. benutzten nur noch 73 Prozent bei Urlaubsbekanntschaften immer Kondome (2001 noch 79 %).

Der Präsident des Robert Koch-Instituts, Reinhard Kurth befürchtet einen weiteren Anstieg der Infektionen durch das veränderte Verhalten: "Diese Entwicklungen geben Anlass zur Sorge und müssen im Hinblick auf die zukünftige Verbreitung von HIV ernst genommen werden."

Weltweit gilt Afrika südlich der Sahara als die Region der Welt mit den meisten Infizierten. Aber in Asien infizierten sich in den letzten Jahren auch immer mehr Menschen. Außer Zentralasien und China gelten vor allem Indien, Indonesien und Vietnam ale neue Brennpunkte. Stark betroffen ist auch Osteuropa, besonders die baltischen Staaten (vgl. AIDS threat growing throughout Europe). Auch in Westeuropa steigen die Zahlen der Neuinfizierten, ein hoher Preis für wachsende Nachlässigkeit. Aber immerhin bekommen in den Ländern der EU alle Infizierten eine Therapie. Weltweit mangelt es am Geld.

Keine Entschuldigung mehr

Der vor drei Jahren gegründete Global Fund der Vereinten Nationen zur Bekämpfung von AIDS, Tuberkulose und Malaria (vgl. Der Anti-AIDS-Fund als wirkungsvolle Waffe gegen den globalen Killer?) hat bisher bei weitem nicht die angestrebten Summen gesammelt. Gerade mal 1,6 Milliarden Dollar jährlich sind eingelaufen, nicht mal zwanzig Prozent der Summe, die UN-Generalsekretär Kofi Annan sich für den Fund vorstellte. Wie die New York Times berichtete, beklagte der UN-Gesandte in Sachen AIDS in Afrika, Stephen Lewis, im März öffentlich die völlig ungenügende Finanzausstattung der Anti-AIDS-Initiative der Weltgemeinschaft. Lewis merkte an, dass die gespendeten Summen nur einen Bruchteil der Kosten der Militäroperationen im Irak und in Afghanistan ausmachen würden und stellte fest:

Es gibt keine Entschuldigung mehr, keine Rationalisierungen, hinter denen man sich verstecken könnte, keine dunklen Verleumdungen, um die Gleichgültigkeit zu rechtfertigen - übrig bleiben nur die Massengräber der Betrogenen.

Die USA sind weit hinter ihren Versprechungen zurück geblieben. Präsident Bush hatte insgesamt 15 Milliarden Dollar in Aussicht gestellt, um fünf Jahre lang AIDS in Afrika und der Karibik zu bekämpfen. Tatsächlich belief sich der letzte Beitrag der USA zum globalen Fond nur auf 200 Millionen Dollar - und das, obwohl der Kongress 550 Millionen genehmigt hatte.

George W. Bush und die amerikanische Regierung anzugreifen, greift aber zu kurz. Zumal sich die meisten Staaten, wen es um die globale Bekämpfung von AIDS geht, nicht gerade mit Ruhm bekleckert haben. Auf große Worte folgten meist sehr kleine Summen. Das gilt auch für die deutsche Bundesregierung (vgl. Deutsche Regierung erschwert auch weiterhin Kampf gegen AIDS). Da hilft nur öffentlicher Druck in jedem einzelnen Staat.