Ukraine-Krieg: Viele Nato-Länder wollen die Wehrpflicht wieder einführen

BAE Hawk Kampfjets bei Nato-Tagen in Ostrava, Tschechien, 15. September 2019

BAE Hawk Kampfjets bei Nato-Tagen in Ostrava, Tschechien, 15. September 2019. Bild: JMMJ / Shutterstock.com

Die Regierungen in ganz Europa zögern noch. Zwangsdienst ist unpopulär. Er belastet auch den Arbeitsmarkt. Warum trotzdem darauf gesetzt wird. Gastbeitrag.

"Dein Land braucht Dich!": Das Plakat vom britischen Kriegsminister Lord Kitchener aus dem Jahr 1914, auf dem er anklagend auf diejenigen zeigt, die sich nicht bereit erklären, als Freiwillige für die britische Armee im Ersten Weltkrieg zu kämpfen, wird bis heute sowohl kopiert als auch parodiert. Doch mit dem Aufruf, sich freiwillig zu melden, war es damals nicht getan.

Rod Thornten ist Professor für Internationale Studien, Verteidigung und Sicherheit am King's College London.

Zwar meldeten sich Hunderttausende britischer Männer im ersten Anflug von Patriotismus im Jahr 1914 freiwillig zum Dienst, doch der Nachschub versiegte bald.

Die neue Diskussion

Die Wehrpflicht war notwendig. Die Männer mussten zum Dienst gezwungen werden. Doch es dauerte bis 1916, bis die britische Regierung endlich den Beschluss fasste, die Wehrpflicht einzuführen – sie wusste, wie unpopulär sie politisch sein würde.

Die Zwangseinberufung war schon immer etwas, das die Regierungen in ganz Europa nur widerwillig einführen wollten. Sie ist nicht nur unpopulär bei denjenigen, die zum Dienst herangezogen werden – und ihren Familien –, sondern entzieht auch dem Arbeitsmarkt eines Staates Humankapital und hat wirtschaftliche Auswirkungen.

Trotzdem gibt es auch heute noch in den meisten europäischen Ländern eine Form der Wehrpflicht. In dem Maße, in dem die Auswirkungen des russischen Krieges gegen die Ukraine stärker realisiert werden, wird die Einführung oder Ausweitung der Wehrpflicht in den europäischen Nato-Staaten zunehmend diskutiert.

Frankreich, Deutschland und Skandinavien

Von den großen Nato-Mächten auf dem europäischen Festland hat Frankreich die (seit der Revolution geltende) Wehrpflicht 1996 abgeschafft, Deutschland 2011. In den letzten Monaten haben die politisch Verantwortlichen beider Länder jedoch über die Wiedereinführung von Formen der Wehrpflicht oder des Nationaldienstes diskutiert.

In anderen europäischen Ländern gibt es seit jeher eine Art "Wehrpflicht light". Das heißt, es handelt sich nicht um eine tatsächliche Wehrpflicht (für eine typische Kohorte von 18- bis 27-Jährigen und für eine übliche Dauer von elf Monaten), sondern eher um eine Form der Einberufung, bei der nur ein bestimmter Prozentsatz einer in Frage kommenden Kohorte junger Männer tatsächlich zum Dienst herangezogen wird.

Das war vor allem in den nordischen und baltischen Ländern die Norm. Heute wird die Wehrpflicht in diesen Regionen jedoch immer weniger "light" gehandhabt.

Schweden, das im März der Nato beigetreten ist, hatte die Wehrpflicht 2010 abgeschafft, führte sie aber 2018 wieder ein, als das Land sich auf den Nato-Beitritt vorbereitete. Außerdem hat die Regierung nun (seit Januar) die Wehrpflicht auf den sogenannten "umfassenden Verteidigungsdienst" ausgeweitet.